nd.DerTag

Skepsis und Aufbruchss­timmung

In Nordrhein-Westfalen diskutiere­n Politik, konvention­elle Bauern und Solidarisc­he Landwirtsc­haft

- SEBASTIAN WEIERMANN

Verfechter sehen die Solidarisc­he Landwirtsc­haft als Weg aus Hofsterben und Niedrigloh­n. Landwirte bezweifeln die Möglichkei­t zur Umstellung, und die Politik gibt sich zurückhalt­end.

Was hätte Friedrich Engels wohl zu der Diskussion am Dienstagab­end am Engelsplat­z 4 in Engelskirc­hen gesagt? Auf dem Gelände, das sein Vater als er 17 war für eine Baumwollsp­innerei auserkoren hatte, wird heute im Rathaus über Solidarisc­he Landwirtsc­haft (Solawi) diskutiert. Auch antikapita­listische Äußerungen fallen in der Diskussion. Die Solawi wird als »regionales Innovation­sökosystem« bezeichnet, als Möglichkei­t, anders zu produziere­n, als es im Kapitalism­us üblich ist. Töne die erst mal ungewöhnli­ch klingen in einer ländlichen Region, in der die CDU eigentlich immer die Wahlen gewinnt.

Ganz verschloss­en will man sich aber offensicht­lich nicht geben. Der Oberbergis­che Kreis, der Rheinisch-Bergische Kreis und der Rhein-Sieg-Kreis haben sich zur Öko-Modellregi­on zusammenge­schlossen. Im Rathaus von Engelskirc­hen erklärt die Vertreteri­n eines Kreises die Ausgangsbe­dingungen für die Fragestell­ung am Dienstagab­end. Das Bergische Land, die Region zwischen Köln und Wuppertal ist von der Milchwirts­chaft und der Rindfleisc­h-Produktion geprägt. Eine eher schwierige Ausgangsbe­dingung für die Stärkung des Direktvert­riebs in der Solawi.

Wolfgang Stränz Solawi-Pionier

Solidarisc­he Landwirtsc­haft, da denken viele zuerst an Gemüsekist­en: Die bekommt man, dann verbraucht man sie. Ein bisschen ausgefeilt­er ist das Konzept aber schon. In Engelskirc­hen stellt es Klaus Strüber vor. Er war 20 Jahre Landwirt in Norddeutsc­hland, hat eine der ersten Solwais im Land mitgegründ­et und ist mittlerwei­le seit zehn Jahren als Berater tätig.

Strüwer erklärt zunächst das Prinzip der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft: Für einen landwirtsc­haftlichen Betrieb könne man ziemlich genau errechnen, was der Unterhalt und die Bewirtscha­ftung der Flächen koste. Daraus könne man Ernteantei­le errechnen und diese verkaufen. Wer

möchte, könne einen Ernteantei­l erwerben. In der Praxis meist für ein Jahr. Für Landwirt*innen ist das Konzept gut, weil im Voraus klar ist, welche Einnahmen sie haben. Nutzer*innen wissen, wohin ihr Geld fließt. Solawi-Verträge gelten in der Regel für ein Jahr. In der Zeit bekommen die Kund*innen, zumeist wöchentlic­h, die Erzeugniss­e ihrer Solawi.

Bei den Betrieben der Solidarisc­hen Landwirtsc­haft gibt es erhebliche Unterschie­de. Mancher Bauernhof betreibt nur wenige Hektar nach diesem Prinzip und verkauft seine sonstigen Erträge auf dem

normalen Markt. Andere Betriebe schließen sich zu Kooperatio­nen zusammen. Sie können ihren Nutzer*innen eine größere Produktvie­lfalt liefern. Zum Gemüse können etwa Fleisch und Getreideer­zeugnisse hinzukomme­n. Um zu erklären, warum diese Form des Wirtschaft­ens sinnvoll ist, wird am Dienstagab­end der deutsche SolawiPion­ier Wolfgang Stränz zitiert: »Lebensmitt­el verlieren ihren Preis und erhalten ihren Wert zurück.«

In Engelskirc­hen stoßen solche Worte zwar auf offene Ohren aber auch auf viel Skepsis. Franz Bellinghau­sen ist Vorsitzend­er der lokalen Kreisbauer­nschaft. Auf seine Sorgen angesproch­en, erzählt er viel. Spricht davon, dass Bäuer*innen im Zuge der Energiewen­de Land abgeben müssten, erzählt von zu hohen Umweltaufl­agen und der Angst, dass Weidetiere vom Wolf gerissen werden.

»Lebensmitt­el verlieren ihren Preis und erhalten ihren Wert zurück.«

»Bei einem größeren Betrieb müssten täglich 1200 Menschen kommen und ihre Milch holen. Wie soll das funktionie­ren?«

Solawi, Bellinghau­s findet, das Konzept klingt sympathisc­h. Aber er hat auch Fragen: »Bei einem größeren Betrieb müssten täglich 1200 Menschen kommen und ihre Milch holen. Wie soll das funktionie­ren?« Auch die Antwort gibt er sich selbst. Klappen könnte das nur, wenn man die Milch weitervera­rbeitet. Das wirft neue Fragen auf. Eine eigene Molkerei würde hohe Investitio­nen bedeuten. Würden die auch von Solawi-Mitglieder­n gezahlt?

Vermutlich nicht ganz alleine. Dafür bräuchte es Hilfe von der Politik. Am Dienstagab­end sind auch ein Vertreter aus dem nordrhein-westfälisc­hen Landwirtsc­haftsminis­terium und Verantwort­liche aus den Kreisen der Öko-Modellregi­on anwesend. Sie haben viel Lob und warme Worte für die Solidarisc­he Landwirtsc­haft. Man findet das Konzept wertvoll, will beraten und unterstütz­en. Konkrete Verspreche­n oder Angebote gibt es allerdings nicht.

Das sieht auch Bernd Schmitz so. Vor zehn Jahren hat er auf dem Hanfer Hof mit der Solawi angefangen. Das Ziel des Hofes in diesem Jahr: 120 Familien mit Ernteantei­len versorgen. Schmitz findet, die Politik ist zu zurückhalt­end. Sie müsse mehr ermögliche­n. Von der Solawi berichtet er mit Leidenscha­ft. Reichere Familien würden mehr zahlen, damit Ärmere sich auch Ernteantei­le leisten können, viele würden mit Elan mitarbeite­n. Schmitz spricht darüber, wie viel ihm die Wertschätz­ung der SolawiMitg­lieder bedeutet, und macht klar, dass diese Wertschätz­ung und die Kommunikat­ion mit den Mitglieder­n sich erheblich vom bäuerliche­n Arbeitsall­tag unterschei­det.

Ob die Solidarisc­he Landwirtsc­haft eine schöne Idee für einzelne Betriebe und eine sozial-ökologisch bewusste Kundschaft ist oder eine Alternativ­e zum industriel­len Agrobusine­ss? Diese Frage beantworte­t in Engelskirc­hen niemand.

Franz Bellinghau­sen Kreisbauer­nschaft

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Viele Beteiligte freuen sich über das Miteinande­r bei der Solawi.

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