Gendern ist Husten
Über den Sinn von Sternchen
Wir atmen, wie wir sprechen: unbemerkt. Verständlich daher die Abwehr gegen eine Bewegung, die für Husten sorgt, wo es zuvor scheinbar glatt lief. Doch genau die Ruhestörung ist es, die aufhorchen lässt: Sie bringt ein Problem zum Vorschein, das zuvor unsichtbar gehalten wurde. Doch klingt Gendern in manchen Ohren unangenehm, so ist das ästhetische Unbehagen bloß Anzeichen eines realen Unbehagens in der Gesellschaft, da Sternchen und Doppelpunkte wie Stolpersteinchen diejenigen Unebenheiten anzeigen, die im echten Leben stattfinden. Geschlechtergerechte Sprache kann als Spiegel funktionieren, der eine Asymmetrie im Leben durch Differenzen in der Sprache wiedergibt – keine finale Lösung für Ungleichheiten, sondern Instrument, um sich dieser bewusst zu werden.
Denn die männliche Dominanz zeigt sich laut dem Soziologen Pierre Bourdieu darin, dass sie »der Rechtfertigung nicht bedarf«, also unbewusst bleibt. Die »androzentrische Sicht zwingt sich als neutral auf« und erscheint »in der sozialen Wahrnehmung wie in der Sprache als nicht weiter gekennzeichnet, gleichsam neutral, im Gegensatz zum weiblichen, das explizit charakterisiert wird«, wie er 1998 in »Die männliche Herrschaft« analysiert.
Eine Sprache, die Differenzen sichtbar macht, statt sie weiterhin unter angeblicher Gleichheit zu verschleiern, fördert nur Blindheit gegenüber Ungleichheiten, nicht deren Überwindung. Insofern passt es zum Beispiel, dass der französische Präsident Macron dem Schauspieler Gérard Depardieu den Ehrenlegionsorden nicht entziehen will. Depardieu, gegen den erst am Mittwoch erneut Ermittlungen wegen sexueller Übergriffe eingeleitet wurden. Macron zeigt also die gleiche Ignoranz gesellschaftlich wie sprachlich, wenn er auch egalitäre Sprache für offizielle Dokumente verbietet – fraternité statt égalité.
In der Verstrickung von Sprache und Gesellschaft fällt der ungleiche Status der Geschlechter auf – gerade da, wo es nichts zu gendern gibt. So in allen politischen Entscheidungen bis vor etwa fünfzig Jahren; in der Schweiz spricht man erst seit 1971 von Wählern UND Wählerinnen, in Liechtenstein seit 1984. Wir lernen über die Erklärung der Menschenund Bürgerrechte von 1789, wobei untergeht, dass es keine Bürgerinnen gab.
Mitgemeint sind heute zwar meistens alle, das unterdrückende System bleibt darin jedoch mit verschleierter Wirkung bestehen. Dass das generische Maskulinum keineswegs frei von geschlechtlicher Assoziation ist, liegt an der Normalisierung des Männlichen, die seit der Antike am Werk ist. So konzipierte Aristoteles das weibliche Geschlecht als Negativ des männlichen; nicht fern vom christlichen Schöpfungsmythos, worin Adam als erster Mensch im Ebenbild Gottes geschaffen und Eva wiederum aus dessen Abbild, eine Kopie der Kopie. Im Mittelalter wird aus dem negativen Komplement die invertierte Fehlbildung: In Anatomiebüchern erscheint die Vagina als umgestülpter Penis, treu ausgerichtet nach dessen Form und Funktion. Dadurch erweist sich die Symmetrie – etwa bei Formularen mit Kreuzen bei »m« oder »w« als scheinbar gleichwertige Optionen nebeneinander – als Asymmetrie.
Es dürfte demnach kein Problem darstellen, auf das generische Femininum umzusteigen und unter Lehrerinnen auch Lehrer mitzumeinen; dass diese Umkehrung seltsam klingt, zeugt jedoch vom verfestigten Status des Männlichen als Maß aller Dinge. Das beweisen strukturelle Ungleichheiten bis heute: Ob beim Design von Autositzen, der Erforschung von Medikamenten oder der Diagnose von Schlaganfällen – den Orientierungswert bildet der Mann. Von Städteplanung bis Biologie herrscht ein männliches Modell als Norm, das Frauen das Leben kosten kann, wenn fehldosiert wird. Nicht, um diese Differenzen aufrechtzuerhalten, sondern, um sie sichtbar zu machen, kann die Sprache Zeichen senden.