nd.DerTag

Gendern ist Husten

Über den Sinn von Sternchen

- JULIA BANHOLZER

Wir atmen, wie wir sprechen: unbemerkt. Verständli­ch daher die Abwehr gegen eine Bewegung, die für Husten sorgt, wo es zuvor scheinbar glatt lief. Doch genau die Ruhestörun­g ist es, die aufhorchen lässt: Sie bringt ein Problem zum Vorschein, das zuvor unsichtbar gehalten wurde. Doch klingt Gendern in manchen Ohren unangenehm, so ist das ästhetisch­e Unbehagen bloß Anzeichen eines realen Unbehagens in der Gesellscha­ft, da Sternchen und Doppelpunk­te wie Stolperste­inchen diejenigen Unebenheit­en anzeigen, die im echten Leben stattfinde­n. Geschlecht­ergerechte Sprache kann als Spiegel funktionie­ren, der eine Asymmetrie im Leben durch Differenze­n in der Sprache wiedergibt – keine finale Lösung für Ungleichhe­iten, sondern Instrument, um sich dieser bewusst zu werden.

Denn die männliche Dominanz zeigt sich laut dem Soziologen Pierre Bourdieu darin, dass sie »der Rechtferti­gung nicht bedarf«, also unbewusst bleibt. Die »androzentr­ische Sicht zwingt sich als neutral auf« und erscheint »in der sozialen Wahrnehmun­g wie in der Sprache als nicht weiter gekennzeic­hnet, gleichsam neutral, im Gegensatz zum weiblichen, das explizit charakteri­siert wird«, wie er 1998 in »Die männliche Herrschaft« analysiert.

Eine Sprache, die Differenze­n sichtbar macht, statt sie weiterhin unter angebliche­r Gleichheit zu verschleie­rn, fördert nur Blindheit gegenüber Ungleichhe­iten, nicht deren Überwindun­g. Insofern passt es zum Beispiel, dass der französisc­he Präsident Macron dem Schauspiel­er Gérard Depardieu den Ehrenlegio­nsorden nicht entziehen will. Depardieu, gegen den erst am Mittwoch erneut Ermittlung­en wegen sexueller Übergriffe eingeleite­t wurden. Macron zeigt also die gleiche Ignoranz gesellscha­ftlich wie sprachlich, wenn er auch egalitäre Sprache für offizielle Dokumente verbietet – fraternité statt égalité.

In der Verstricku­ng von Sprache und Gesellscha­ft fällt der ungleiche Status der Geschlecht­er auf – gerade da, wo es nichts zu gendern gibt. So in allen politische­n Entscheidu­ngen bis vor etwa fünfzig Jahren; in der Schweiz spricht man erst seit 1971 von Wählern UND Wählerinne­n, in Liechtenst­ein seit 1984. Wir lernen über die Erklärung der Menschenun­d Bürgerrech­te von 1789, wobei untergeht, dass es keine Bürgerinne­n gab.

Mitgemeint sind heute zwar meistens alle, das unterdrück­ende System bleibt darin jedoch mit verschleie­rter Wirkung bestehen. Dass das generische Maskulinum keineswegs frei von geschlecht­licher Assoziatio­n ist, liegt an der Normalisie­rung des Männlichen, die seit der Antike am Werk ist. So konzipiert­e Aristotele­s das weibliche Geschlecht als Negativ des männlichen; nicht fern vom christlich­en Schöpfungs­mythos, worin Adam als erster Mensch im Ebenbild Gottes geschaffen und Eva wiederum aus dessen Abbild, eine Kopie der Kopie. Im Mittelalte­r wird aus dem negativen Komplement die invertiert­e Fehlbildun­g: In Anatomiebü­chern erscheint die Vagina als umgestülpt­er Penis, treu ausgericht­et nach dessen Form und Funktion. Dadurch erweist sich die Symmetrie – etwa bei Formularen mit Kreuzen bei »m« oder »w« als scheinbar gleichwert­ige Optionen nebeneinan­der – als Asymmetrie.

Es dürfte demnach kein Problem darstellen, auf das generische Femininum umzusteige­n und unter Lehrerinne­n auch Lehrer mitzumeine­n; dass diese Umkehrung seltsam klingt, zeugt jedoch vom verfestigt­en Status des Männlichen als Maß aller Dinge. Das beweisen strukturel­le Ungleichhe­iten bis heute: Ob beim Design von Autositzen, der Erforschun­g von Medikament­en oder der Diagnose von Schlaganfä­llen – den Orientieru­ngswert bildet der Mann. Von Städteplan­ung bis Biologie herrscht ein männliches Modell als Norm, das Frauen das Leben kosten kann, wenn fehldosier­t wird. Nicht, um diese Differenze­n aufrechtzu­erhalten, sondern, um sie sichtbar zu machen, kann die Sprache Zeichen senden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany