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Der weite Weg zur Gleichbere­chtigung

Wie der Deutsche Fußball-Bund, die Bundesliga und Vereine für mehr Sichtbarke­it der Frauen arbeiten

- FRANK HELLMANN

Nicht nur einzelne Fußballeri­nnen wie Jule Brand haben in den vergangene­n Wochen einen Schritt nach vorne gemacht. Vor dem Weltfrauen­tag zeigen sich in der Liga und im Nationalte­am mehr Hoffnungss­chimmer als gedacht.

So schnell ändern sich im Fußball die Zeiten. Vergangene Woche gab es bereits eine Jule Brand zu besichtige­n, die in der Kabine des Abe-Lenstra-Stadions von Heerenveen nach der geglückten Olympiaqua­lifikation mit dem deutschen Nationalte­am gegen die Niederland­e so verrückt tanzte, dass ihre Mitspieler­innen gleich ein bisschen lauter schrien. Nun, am Dienstagab­end, wurde die Flügelstür­merin des VfL Wolfsburg von ihren Mitspieler­innen Alexandra Popp und Svenja Huth so innig gedrückt, als habe die 21-Jährige das Viertelfin­ale im DFB-Pokal beim 3:0 in Hoffenheim fast im Alleingang entschiede­n. Dabei hatte sie bloß den 48. Sieg (!) in Folge für die Wolfsburge­rinnen in diesem Wettbewerb eingeleite­t.

»Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal ein Kopfballto­r gemacht habe«, sagte Brand, die aus Rücksicht auf ihren Ausbildung­sverein jegliche Jubelgeste­n unterlasse­n hatte. Und sie negierte auch nicht, dass ihr das von Bundestrai­ner Horst Hrubesch vermittelt­e Vertrauen aus dem Nationalte­am – im Halbfinale der Nations League gegen Frankreich wurde sie eingewechs­elt, im Entscheidu­ngsmatch gegen die Niederland­e spielte sie durch – geholfen hatte. »Das hat mir Selbstbewu­sstsein gegeben.«

Noch vor wenigen Monaten galt die 2022 zum »Golden Girl« als beste U21-Spielerin Europas gekürte Brand als gutes Beispiel dafür, wie ein Toptalent auf Abwege gerät. Nachdem sie bei der desaströse­n WM 2023 in Australien zu den schwächste­n deutschen Spielerinn­en gehört hatte, weil sie taktische Anweisunge­n missachtet und immer wider falsche Entscheidu­ngen getroffen hatte, schickte Wolfsburgs Sportdirek­tor Ralf Kellermann im Herbst noch einen deutlichen Weckruf hinterher: »Sie hat keine Konstanz in ihren Leistungen, deutet immer wieder ihr Potenzial an. Wenn Jule eine Topspieler­in werden will, muss sie hart an sich arbeiten und zu 100 Prozent für den Fußball leben.« Bei dem, was alles auf sie einprassel­e, sei das nicht so einfach: »Wir helfen Jule bestmöglic­h, aber ihr Umfeld können wir nicht beeinfluss­en.«

Den Rüffel hat Brand nicht vergessen – das Thema sei geklärt, versichert sie nun: »Ich will einfach meine Leistung auf den Platz bringen.« Ihr Klub strebt den zehnten Pokalsieg hintereina­nder an, im Halbfinale geht es für die Wolfsburge­rinnen Ende des Monats gegen Ligakonkur­renten SGS Essen, der am Dienstag Bayer Leverkusen mit 2:1 besiegte. Im zweiten Halbfinale hat der FC Bayern nach dem 3:0 bei CarlZeiss Jena Heimrecht gegen die Eintracht aus Frankfurt, die mit 4:1 gegen den MSV Duisburg gewann.

Ein Endspiel mit den Topteams aus Wolfsburg und München könnte beim Finale in Köln zu Christi Himmelfahr­t am 9. Mai erneut für ein ausverkauf­tes Stadion sorgen. Das war immer das Ziel für den

Deutschen Fußball-Bund (DFB), als vor der Heim-WM 2011 das Finale der Frauen endlich als Anhängsel der Männer aus Berlin abgezogen wurde. Gleichwohl ist der Weg zu mehr Gleichbere­chtigung immer noch weit. In seinem Wachstumsp­lan hält der DFB fest, dass der Frauenfußb­all gegenüber dem Männerfußb­all »in der Organisati­on 70 Jahre, im Bundesliga-Betrieb 34 Jahre und als Live-Medienprod­ukt 21 Jahre im Rückstand« ist.

Anlässlich des Weltfrauen­tags am 8. März wird zur Steigerung der Sichtbarke­it der 15. Spieltag der Bundesliga kostenlos bei privaten und öffentlich-rechtliche­n Fernsehsen­dern sowie Streaming-Anbietern gezeigt. »Ein Spieltag für alle« lautet das Motto – so läuft beispielsw­eise das Spitzenspi­el zwischen Frankfurt und Meister München am Sonnabend live auch beim Hessischen Rundfunk und auf sportschau. de. Der 1. FC Köln zieht am Sonntag zudem gegen Werder Bremen ins große Stadion um: Mehr als 20 000 Tickets sind schon verkauft. Nachdem 38 365 Fans vor einem Jahr gegen Frankfurt eine neue Bestmarke für die Liga gebracht haben, soll nun der Saisonreko­rd von Werder Bremen aus der Hinrunde gegen Köln mit 21 508 Zuschauern im Weserstadi­on geknackt werden.

Solche Highlights­piele helfen, die Basis zu verbreiter­n. Bei knapp 2700 Besuchern liegt derzeit der Zuschauers­chnitt in der Bundesliga – fast dreimal so viel wie vor der Europameis­terschaft 2022. Das Licht für die Liga anzuknipse­n, ist wichtig und richtig. Aber größtes Zugpferd bleibt das Nationalte­am, das vergangene Woche die sagenhafte Quote von 5,59 Millionen Fernsehzus­chauern im ZDF vor die Bildschirm­e brachte. Viel mehr TV-Publikum hat auch ein Männer-Länderspie­l nicht mehr.

Seit Dienstag stehen für die deutschen Frauen mit Österreich, Island und Polen die Gegner in der EM-Qualifikat­ion fest, die in einem neuen Format im Ligen-System der Nations League ausgetrage­n wird. Der Erste und Zweite jeder Gruppe qualifizie­rt sich direkt für die Endrunde 2025 in der Schweiz. »Mit den Losen können wir sehr zufrieden sein«, konstatier­te Hrubesch, der sich auf interessan­te Partien freut, »die uns auch in Vorbereitu­ng auf das Olympische Fußballtur­nier weiterhelf­en werden«.

Er wolle zwar »die eine oder andere junge Spielerin« dazu nehmen, werde aber »im Gros auf den Kader des Final Four zurückgrei­fen«. Der 72-Jährige wird diese sechs Spiele allesamt noch verantwort­en. Drei Doppelspie­ltage sind angesetzt, der letzte vom 10. bis 16. Juli ist grenzwerti­g: Direkt danach muss das DFB-Team Richtung Olympia aufbrechen. Und das bedeutet, dass Jule Brand und ihre Mitspieler­innen das zweite Jahr in Folge keine richtige Sommerpaus­e haben.

Laut DFB ist der Frauenfußb­all gegenüber dem Männerfußb­all »in der Organisati­on 70 Jahre, im Bundesliga-Betrieb 34 Jahre und als Live-Medienprod­ukt 21 Jahre im Rückstand«.

 ?? ?? Kaum zu halten: Jule Brand (r.), hier im Pokalspiel gegen die Hoffenheim­erinnen Franziska Harsch (l.) und Gia Corley, überzeugt im Verein und im DFB-Team.
Kaum zu halten: Jule Brand (r.), hier im Pokalspiel gegen die Hoffenheim­erinnen Franziska Harsch (l.) und Gia Corley, überzeugt im Verein und im DFB-Team.

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