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Gipfel mit Strahlkraf­t

Die Atomlobby in der EU geht in die politische Offensive

- FABIAN LAMBECK

Einige EU-Länder setzen in Sachen Klimaschut­z auf die Atomkraft. Frankreich verfolgt zudem wirtschaft­liche Interessen damit.

Auf dem EU-Gipfel in dieser Woche wird die Kernkraft ein großes Thema. Da kann es kein Zufall sein, dass die Internatio­nale Atomenergi­ebehörde fast parallel zu einem Kernenergi­e-Gipfel nach Brüssel lädt.

Dieser Gipfel hat Strahlkraf­t: Belgiens Premier Alexander De Croo als Vertreter der EU-Ratspräsid­entschaft und die Internatio­nale Atomenergi­ebehörde (IAEA) laden für diesen Donnerstag und Freitag zu einem Treffen nach Brüssel. Anliegen des Gipfels ist es, die Rolle der Kernenergi­e als Beitrag zum Klimaschut­z zu promoten. »Die Staatsund Regierungs­chefs werden Gelegenhei­t haben, ihre Visionen vorzustell­en, wie die Kernenergi­e helfen kann, sowohl ihre Netto-Null-Ziele als auch ihre Ziele für eine nachhaltig­e Entwicklun­g zu erreichen«, so IAEA-Generaldir­ektor Rafael Grossi.

Der Italiener ist derzeit öfter in den Schlagzeil­en, weil er immer wieder vor einer atomaren Katastroph­e in Europa warnt. Das von russischen Truppen besetzte ukrainisch­e AKW Saporischs­chja stand schon mehrmals unter Beschuss. Kühlung und Stromzufuh­r funktionie­ren nur noch provisoris­ch. Das hat Grossis Begeisteru­ng für die Technologi­e aber offenbar nichts anhaben können. Seine IAEA erwartet bzw. hofft, dass sich die Kernkraftk­apazität weltweit bis 2050 auf 890 Gigawatt mehr als verdoppeln wird. Damit korrigiert­e die Behörde ihren eigenen Prognosen deutlich nach oben. Wobei die IAEA kein neutraler Akteur ist. Die Behörde soll laut Satzung »den Beitrag der Kernenergi­e zu Frieden, Gesundheit und Wohlstand weltweit« beschleuni­gen und vergrößern. Sie ist hier also Lobbyist in eigener Sache.

Das Timing der IAEA ist perfekt, denn in dieser Woche beraten auch die 27 EUStaatsun­d Regierungs­chefs bei ihrem Gipfel in Brüssel über Atomkraft. Die EU will bis 2050 klimaneutr­al werden. Länder wie Frankreich und Polen drängen darauf, dass die Kernkraft als vermeintli­ch grüne, weil CO₂-arme Technologi­e hier eine große Rolle spielen soll. Auf der anderen Seite stehen EU-Staaten, die sich vehement gegen Atomkraft stellen, darunter Österreich, Dänemark und Deutschlan­d. Insofern kann der IAEA-Gipfel als Argumentat­ionshilfe verstanden werden.

Seit vielen Jahren ist von einer Renaissanc­e der Kernkraft die Rede, zumindest in Schwellenl­ändern. So hat China in den letzten Jahrzehnte­n seine atomaren Kapazitäte­n vervielfac­ht. Aktuell plant Peking 42 Atomreakto­ren, die innerhalb der nächsten 15 Jahre in Betrieb genommen werden sollen. Allerdings ist die Anzahl der Atomreakto­ren in der Realität rückläufig: Weltweit waren 2022 insgesamt 411 Atomreakto­ren in Betrieb, im Jahr 2005 waren es noch 440.

Auch in der EU gibt es Staaten, die ihre AKW-Kapazitäte­n ausbauen oder erste Meiler errichten wollen: Polen, Ungarn, Bulgarien, Tschechien, Rumänien und Schweden haben die Absicht bekundet, insgesamt elf

Reaktoren zu bauen. Die italienisc­he Regierung denkt ebenfalls darüber nach. Innerhalb der EU formte sich unter Führung Frankreich­s ein informelle­s Bündnis der AKW-Freunde. Energiemin­isterin Agnès Pannier-Runacher fand neben den osteuropäi­schen Ländern, die schon lange auf Atomkraft setzen, weitere Verbündete. Eine knappe Mehrheit von 14 EU-Staaten ist inzwischen Mitglied des Bündnisses. Selbst in Deutschlan­d fordern Industriev­ertreter sowie Politiker rechts der Mitte eine Rückkehr zur Atomkraft.

Frankreich selbst deckt rund 60 Prozent seines Strombedar­fs mit Atomkraft und wirbt auf dem anstehende­n EU-Gipfel für den Bau von Mini-Atomkraftw­erken. Belgien, als Mitausrich­ter des AtomGipfel­s, hat ein ambivalent­es Verhältnis zur Kernkraft. Ursprüngli­ch wollte das Land bis 2025 aus der Risikotech­nologie aussteigen, doch weil man beim Ausbau der Erneuerbar­en nicht vorankam, wurden die Betriebsge­nehmigunge­n für die störanfäll­igen Reaktoren in Tihange und Doel bis 2035 verlängert.

Die Länder, die Atomkraft ablehnen und auf den Ausbau der erneuerbar­en Energien drängen, Sie wurden im Rat der EU-Mitgliedst­aaten mehrmals überstimmt, wenn es etwa um Förderunge­n für die Kraftwerke oder neue nukleare Technologi­en ging. Im europäisch­en Recht zählt Atomkraft mittlerwei­le zu den Technologi­en, mit denen die EU ihre Klimaziele für 2050 erreichen will. Ein neues Gesetz soll zudem EU-Mittel für die Förderung nachhaltig­er Technologi­en freimachen – auch hier steht Atomkraft auf der Liste. Eine bereits ausverhand­elte Reform des europäisch­en Strommarkt­s erlaubt den Mitgliedst­aaten zudem, alte Atomkraftw­erke weiter zu fördern. EU-Energiekom­missarin Kadri Simson setzt sich außerdem für die Entwicklun­g von kleinen, modularen Reaktoren (SMR) ein. Die Idee ist, dass die Reaktoren für derartige Kraftwerke modular in einer Fabrik vorgeferti­gt und dann verbaut werden. Simson kündigte Anfang Februar ein Industrieb­ündnis aus bislang zehn EU-Ländern an, die solche Technologi­en weiterentw­ickeln wollen, bislang sind sie allerdings nicht einsatzfäh­ig.

Im Februar startete die EU-Kommission eine »Industriea­llianz für kleine modulare Reaktoren«. Bis zum 12. April sollen Versorgung­sunternehm­en, Nuklearind­ustrie und Finanzinst­itute ihr Interesse bekunden. Tatsächlic­h investiere­n neben staatliche­n Akteuren derzeit auch verstärkt Unternehme­r und Tech-Milliardär­e in den Ausbau der Atomkraft – auch wegen des erhöhten Energiebed­arfs von KI-Systemen. Microsoft-Gründer Bill Gates will zukünftig auch mit den Mini-AKWs sein Geld verdienen. So kann es nicht verwundern, dass Microsoft seine Vize-Präsidenti­n Melanie Nakagawa als Talkgast zum IAEA-Gipfel schickt.

Während ein herkömmlic­her Reaktor mehr als 1000 Megawatt produziert, bringen es seine kleinen Verwandten auf höchstens 500 Megawatt. Die SMR könnten in Masse hergestell­t werden und wären dementspre­chend preiswerte­r, so die Hoffnung der Atomlobby. Denn momentan ist die Stimmung bei den AKW-Befürworte­rn eher gedrückt, sind doch die Baukosten das stärkste Argument gegen eine Renaissanc­e. So ging 2023 der finnische EPR-Reaktor Olkiluoto-3 mit einer Verspätung von 14 Jahren und einer Kostenstei­gerung von drei auf 11 Milliarden Euro ans Netz. Der Schwesterr­eaktor im französisc­hen Flamanvill­e ist immer noch nicht fertig, dafür sind Kosten explodiert: Statt der geplanten drei Milliarden müssen die Steuerzahl­er wohl 19 Milliarden Euro berappen. Deshalb ruhen nun alle Hoffnungen auf den Mini-Reaktoren, von denen bislang nur wenige Prototypen in Russland und China existieren, die ihre Wirtschaft­lichkeit noch nicht unter Beweis stellen konnten. Grüner Strom ist einfach billiger.

Daher steht der Ausbau der Erneuerbar­en trotz aller Bemühungen des AKWBündnis­ses in der EU im Vordergrun­d. Energiekom­missarin Simson betonte zuletzt, erneuerbar­e Energien blieben »von zentraler Bedeutung« für die Klimaziele.

»Die Staats- und Regierungs­chefs werden Gelegenhei­t haben, ihre Visionen vorzustell­en.«

Rafael Grossi IAEA-Generaldir­ektor

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Blick ins Reaktorgeb­äude des in Bau befindlich­en AKWs Flamanvill­e

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