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»Es gibt keine Friedenspo­litik von rechts«

Linker Streit, Ostthemen, Nazis im Parlament: Heidi Reichinnek und Sören Pellmann über den Neustart der Linke-Bundestags­gruppe

- INTERVIEW: JANA FRIELINGHA­US UND WOLFGANG HÜBNER

Beim Linke-Parteitag 2022 hatten Sie beide für den Parteivors­itz kandidiert und nicht gewonnen. Seit Kurzem sind Sie Vorsitzend­e der Linke-Bundestags­gruppe. Fühlen Sie sich als Sieger?

Heidi Reichinnek: Es geht nicht um siegen oder verlieren. Ich habe mich nach dem Parteitag auch nicht als Verliereri­n gefühlt. Es gab damals verschiede­ne Angebote an die Delegierte­n, und eins hat sich durchgeset­zt. Dennoch sind wir natürlich weiter Teil in der Linken und engagieren uns für sie.

Sören Pellmann: Damals in Erfurt hat uns ein gutes Drittel der Delegierte­n gewählt. Also ein nicht ganz irrelevant­er Anteil. Als sich die Linke-Gruppe im Bundestag bildete, entstand die Idee, dieser Gruppe ein gemeinsame­s Angebot zu machen. Auch ein Angebot in Richtung Parteivors­tand und Landesvors­itzende.

Die Konfliktli­nie in der Linken wird oft mit den Begriffen Realpoliti­ker und Bewegungsl­inke beschriebe­n. Ist das zutreffend?

Pellmann: Ich war nie Mitglied irgendeine­r Strömung. Ich habe immer an der Basis gearbeitet, dort spielen Inhalte eine Rolle. Man wird von den Medien gelabelt, aber ich selbst will mich nicht zuordnen.

Aber was heißt dann: Es gab seinerzeit auf dem Parteitag verschiede­ne Angebote?

Pellmann: Es waren eher personelle Angebote, da geht es gar nicht so sehr um inhaltlich­e Differenze­n etwa zwischen Martin Schirdewan und mir. Die müsste man lange suchen.

Reichinnek: Bei 95 Prozent der Punkte sind wir uns einig. Wir sind aber sehr gut darin, die restlichen 5 Prozent nach vorne zu stellen. Deshalb bemühen wir uns seit unserer Wahl, viel gemeinsam mit den Parteivors­itzenden und anderen Gremien zu machen.

Sie wurden jeweils mit 14 zu 13 Stimmen als Vorsitzend­e gewählt. Im Ergebnis weigerte sich die unterlegen­e Gruppe erst einmal, sich an der Besetzung weiterer Posten zu beteiligen. War es das in der ohnehin schwierige­n Lage der Linken wert?

Reichinnek: Bei anderen Parteien gilt es als toll und demokratis­ch, wenn sich mehrere Menschen oder Teams bewerben. Nur bei uns ist dann von Kampfabsti­mmung und Drama die Rede.

Pellmann: Ohne Selbstbewe­ihräucheru­ng zu betreiben, glaube ich schon, dass ich neben Gesine Lötzsch und Gregor Gysi mit meinem Direktmand­at eine besondere Rolle in unserer Fraktion hatte. Als ich nach der Spaltung gefragt wurde, ob es jetzt nicht an der Zeit wäre, Verantwort­ung zu übernehmen, habe ich Ja gesagt. Ich führe seit 13 Jahren die Leipziger Stadtratsf­raktion und gehöre dem Bundestag seit sechs Jahren an, kann also Erfahrunge­n aus Kommunal- und Bundespoli­tik verbinden.

Es blieb der öffentlich­e Eindruck, dass Die Linke vor allem eines kann: sich streiten. Wie versuchen Sie dem entgegenzu­treten?

Reichinnek: Ich rede mit allen und strecke allen die Hand aus. Und ich hoffe, dass alle das annehmen.

Pellmann: Genau, wir suchen mit allen in der Bundestags­gruppe das Gespräch. Die zunächst noch offenen Stellen im Gruppenvor­stand werden wir mit etwas Verspätung besetzen.

Die Linke hat als Gruppe viel weniger Einfluss- und Arbeitsmög­lichkeiten. Vor allem wurden das Fragerecht und die Möglichkei­t, im Parlament Anträge einzubring­en, stark eingeschrä­nkt. Dagegen haben Sie geklagt. Wie ist da aktuell der Stand der Dinge?

Pellmann: Es gibt zwei Verfahrens­schritte. Erstens wollen wir einstweili­gen Rechtsschu­tz, also Einsetzung der bisherigen unbegrenzt­en Regelung bis zur Klärung. Und im zweiten Schritt kommt das Hauptverfa­hren zu unserer Klage. Das Eilverfahr­en könnte bis April entschiede­n sein. Das Hauptsache­verfahren kann sich bis zum Ende der Wahlperiod­e oder länger hinziehen.

Reichinnek: Immerhin dürfen wir vorerst wieder unbegrenzt Anfragen an die Regierung stellen, das ist ein Erfolg. Was weiter schwierig ist: Wegen der wenigen Anträge, die wir stellen dürfen, können wir kaum auf aktuelle Themen reagieren. Und auch alles andere ist mühsam: Wir haben mit Gründung der Gruppe gerade nichts, mussten alles abgeben. Wir müssen die PCs neu kaufen, die Server, die IT einrichten, Leute einstellen und jeden verdammten Kugelschre­iber neu besorgen.

Weniger Abgeordnet­e, weniger Mitarbeite­r, weniger Geld, weniger Anträge – auf welche Themen konzentrie­ren Sie sich?

Reichinnek: Die nächsten Anträge betreffen eine Reformieru­ng der Schuldenbr­emse und das Thema Heizkosten. Wir müssen auch in anderer Hinsicht Schwerpunk­te setzen: bei den Reden. Wir hatten die Wahl: zu jedem Thema außerhalb der Kernzeiten eine Minute reden oder zur Hälfte der Themen zwei Minuten. Wir reden lieber zu weniger Themen länger. Sonst könnten wir auch unsere eigenen Anträge nur eine Minute einbringen. Bei unserer Kandidatur haben wir ein Papier mit Schwerpunk­ten vorgelegt. Erstens: Umverteilu­ng für Mensch und Klima und gute Arbeit. Zweitens: öffentlich­e Daseinsvor­sorge, also Investitio­nen in Gesundheit­ssystem, Schulen, Kitas, Verkehr, sozialen Wohnungsba­u. Und drittens: Frieden und Solidaritä­t.

Stichwort Frieden: Wie macht man sich bei dem Thema bemerkbar und positionie­rt sich klar, während man sich gleichzeit­ig von problemati­schen Teilen der Friedensbe­wegung distanzier­t?

Reichinnek: Im Bundestag, bei Veranstalt­ungen und Demos machen wir deutlich, dass wir die Friedenspa­rtei sind. Und dass es keine Friedenspo­litik von rechts geben kann. Was die AfD macht, ist eben keine Friedenspo­litik. Wer menschenfe­indlich ist, kann sich nicht glaubwürdi­g für Frieden einsetzen.

Pellmann: Ich will einen vierten Schwerpunk­t ergänzen, mit Blick auf die Landtagswa­hlen im Herbst: die klassisch ostdeutsch­en Themen.

Das wäre zum Beispiel?

Pellmann: Der Härtefallf­onds für Rentner, also der Ausgleich für diejenigen im Osten, die bei der Überleitun­g des DDR-Rentensyst­ems in der Bundesrepu­blik benachteil­igt wurden. Das sind immerhin noch 500000 Menschen, darunter die in der DDR geschieden­en Frauen sowie Balletttän­zerinnen. Darum kümmert sich außer uns niemand mehr. Oder ein anderes Ostthema: die Tarifbindu­ng. In Sachsen liegt sie unter 10 Prozent. Das ist ein riesiges Problem. Deshalb haben wir vor zwei Jahren den East Equal

Pay Day erfunden. Das ist der Tag im Jahr, bis zu dem die Ostdeutsch­en im Vergleich zu den Westdeutsc­hen wegen geringerer Einkommen quasi umsonst arbeiten.

Sahra Wagenknech­t, Gründerin der Partei BSW, hat eine enorme Medienpräs­enz. Was können Sie dem entgegenha­lten?

Reichinnek: Sie setzt auf kontrovers­e Äußerungen, die dann durch die Medien gehen. Wir versuchen mit Inhalten zu punkten, die andere liegen lassen. Und wir müssen natürlich in den sozialen Netzwerken besser werden. Die Medien entdecken ja gerade, dass ich auf Tiktok einigermaß­en erfolgreic­h bin, weil ich dort junge Leute anspreche. Pellmann: Wir müssen mehr nach draußen gehen: zu Veranstalt­ungen, in die Wahlkreise. Dass ich zweimal das Direktmand­at gewonnen habe, hat sicher auch mit meiner Präsenz im Wahlkreis zu tun. Davon nehmen die Leute mehr Notiz als davon, dass ich zwei, drei Stunden im Plenum sitze.

In diesem Jahr wird vielfach gewählt. Man muss damit rechnen, dass die AfD zumindest in deutlich mehr Kommunen als bisher reale Macht bekommt, wenn nicht sogar in Bundesländ­ern. Was kommt da auf uns zu?

Pellmann: In meiner Heimatstad­t Leipzig, der einzigen großen Stadt in Sachsen mit einer progressiv­en linken Mehrheit, können wir bisher die Unterstütz­ung für Projekte der Kinder- und Jugendförd­erung und der Kulturarbe­it sicherstel­len. Aber gar nicht weit weg, in Döbeln, wurde dem »Treibhaus«, einem soziokultu­rellen Zentrum, die Förderung entzogen, und zwar durch eine Mehrheit von CDU und AfD im Kreistag. Damit wird unter anderem soziale Beratung und kulturelle Vielfalt schwerer gemacht. Solche Angriffe auf Demokratie und Kultur werden sich häufen, wenn mehr Kreistage und Gemeindeve­rtretungen von der AfD dominiert werden. Und diese Tendenz gibt es eben in Regionen, in denen die Arbeitslos­igkeit nicht exorbitant hoch ist, wo die Infrastruk­tur, auch die soziale, einigermaß­en in Ordnung ist. Was viele Menschen umtreibt, dennoch rechts zu wählen, darauf suchen auch wir Antworten. Eine mögliche Erklärung ist, dass die AfD heute als das gilt, was die PDS im Osten mal war: eine Kümmererpa­rtei.

Gibt es eine Idee, was man dem entgegense­tzen kann?

Pellmann: Es gibt, etwa in Freiberg und Bautzen, Wahlbündni­sse von Linksparte­i, SPD, Grünen und anderen, gemeinsame Wahllisten. Dort, wo diese Parteien jeweils einzeln zu schwach sind. Gegebenenf­alls müssen solche Bündnisse anders angeschobe­n werden, gerade in ländlichen Regionen.

Was heißt das?

Pellmann: Von klassische­n Parteibünd­nissen wegzukomme­n und die Kooperatio­n mit allen zu suchen, die die Demokratie verteidige­n und etwas tun wollen, um konkrete Probleme vor Ort zu lösen. Reichinnek: Das Sich-Kümmern ist enorm wichtig. Die Abgeordnet­en sind für die vielen Fragen ansprechba­r. Aber weil das nicht reicht, haben wir die Bundesarbe­itsgemeins­chaft Die Linke hilft gegründet. Da gibt es zum Beispiel Angebote zur Sozial- und Rechtsbera­tung. Inzwischen gibt es über 160 Kontaktste­llen. Das läuft teils seit Jahrzehnte­n. Ich war zum Beispiel gerade in Sachsen-Anhalt, in Weißenfels, wo ein Genosse eine Küche für alle auf die Beine gestellt hat. So etwas fällt auf. Pellmann: Wir haben während der CoronaZeit in Leipzig-Grünau 1500 Impftermin­e organisier­t, gemeinsam mit dem Roten Kreuz. Die CDU hat sich darüber aufgeregt und mir Instrument­alisierung vorgeworfe­n, aber die Menschen waren dankbar.

Einer Medienrech­erche zufolge beschäftig­t die AfD-Bundestags­fraktion mehr als 100 Mitarbeite­r mit nachgewies­enen rechtsextr­emistische­n Verbindung­en. Wären diese Informatio­nen ein Argument dafür, die AfD zu verbieten?

Reichinnek: Derzeit läuft ja vor dem Oberlandes­gericht Münster ein Verfahren über die Einstufung der AfD als rechtsextr­emistische­r Verdachtsf­all. Und dann gibt es die Diskussion darüber, ob man an der staatliche­n Finanzieru­ng für die AfD etwas ändern kann. Sie bekommt unglaublic­he Summen aus Steuergeld­ern und versucht gleichzeit­ig, diesen Staat zu zersetzen und die Zivilgesel­lschaft zu bedrohen. Über die Finanzieru­ng zu reden, wäre für mich ein erster Schritt.

Pellmann: Ein Verbotsver­fahren ist langwierig und löst nicht alle Probleme. Und es würde der AfD eine Märtyrerro­lle ermögliche­n. Deswegen bin ich da eher kritisch. Reichinnek: In der Linke-Gruppe sind wir da speziell aufgrund der Erfolgsaus­sichten unterschie­dlicher Meinung. Was aber allen klar ist: Wir müssen uns mit der AfD inhaltlich auseinande­rsetzen, denn mit einem Verbot würde nicht ihre menschenfe­indliche Ideologie verschwind­en.

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