nd.DerTag

Warnung vor Missbrauch

Juristisch­e Bedenken gegen Antisemiti­smusklause­l

- MARTEN BREHMER

Ein Gutachten sieht erhebliche rechtliche Hürden für die Antisemiti­smusklause­l des Senats. Unter Umständen könnte sie trotzdem kommen.

Neue Zweifel an der Antidiskri­minierungs­klausel: Ein Gutachten, das die Bundesbeau­ftragte für Kultur und Medien Claudia Roth (Grüne) in Auftrag gegeben hat, zeigt sich skeptisch gegenüber der vom Senat geplanten Vorgabe an Kulturscha­ffende, sich von Antisemiti­smus und anderen Diskrimini­erungsform­en zu distanzier­en. »Von durchdacht­en Regelungen kann man auch bei Sympathie für das Anliegen in der Sache nicht sprechen«, schreibt der Verfassung­srechtler Christoph Möllers von der Humboldt-Universitä­t. In dem Gutachten, aus dem verschiede­ne Medien zitieren, werden auch ähnliche Bestrebung­en in anderen Bundesländ­ern behandelt.

Nach Kontrovers­en um Auftritte israelfein­dlicher Künstler in einem Neuköllner Kulturzent­rum hatte Kultursena­tor Joe Chialo (CDU) im Januar im Blitzverfa­hren eine Klausel für Zuwendungs­bescheide für die staatliche Kulturförd­erung eingeführt. Künstler mussten mit ihrer Unterschri­ft versichern, sich zum Kampf gegen Antisemiti­smus nach der Definition der Internatio­nal Holocaust Remembranc­e Alliance (IHRA) zu bekennen und sicherzust­ellen, dass die Fördergeld­er keinen extremisti­schen Vereinigun­gen zugutekomm­en.

Das Vorgehen rief Kritik hervor. In einem offenen Brief warnten hunderte Kulturscha­ffende vor »Gesinnungs­schnüffele­i«. Opposition und Chialos Koalitions­partner SPD kritisiert­en, dass der Prozess überhastet erledigt worden sei. Chialo zog die Klausel bereits nach wenigen Wochen wieder zurück, um sie zu überarbeit­en.

Dass es Handlungsb­edarf gibt, stellt auch Möllers nicht in Frage. In den vergangene­n Monaten habe es eine »dramatisch­e Zunahme eines offenen Antisemiti­smus im Kulturbetr­ieb« gegeben, schreibt der Jurist. Ob derartige Selbstverp­flichtunge­n der richtige Weg sind, um dem entgegenzu­treten, bezweifelt Möllers allerdings. »Der Staat übt in Deutschlan­d im Bereich der Kunstförde­rung eine sehr starke, monopolart­ige Stellung aus«, schreibt er. »Der

Konformitä­tsdruck staatliche­r Maßnahmen ist in einer weitgehend etatisiert­en Kulturland­schaft besonders hoch und verdichtet sich zu einer faktischen Eingriffsw­irkung.«

Damit greife der Staat also in die Kunstfreih­eit ein, obwohl diese auch für öffentlich­e Kultureinr­ichtungen gelte. Möllers bemängelt vor allem, dass sich die Kunstschaf­fenden zu einer spezifisch­en Definition von Antisemiti­smus verpflicht­en müssen. Hier sieht er einen Eingriff in die Bekenntnis­freiheit, weil die IHRA-Definition umstritten sei. »Wenn der Staat in eine offene wissenscha­ftliche Diskussion so intervenie­rt, dass sich Private eine Lehrmeinun­g aneignen müssen, greift er damit in die Freiheit der inneren Meinungsbi­ldung ein«, kritisiert Möllers. Der IHRA-Definition wird vorgeworfe­n, Kritik an Israel pauschal unter Antisemiti­smusverdac­ht zu stellen. Die alternativ­e Jerusalem-Definition wird wiederum dafür kritisiert, für diese Form des Antisemiti­smus blind zu sein.

Die Eingriffe seien allerdings von geringer Intensität, schränkt Möllers ein. Schließlic­h seien Kunstschaf­fende zumindest theoretisc­h nicht gezwungen, sich vom

Staat bezahlen zu lassen. Der Staat könne »die Förderung von Kunst und Kultur mit nicht kunst- oder kulturimma­nenten weiteren Zielen verbinden«. Problemati­scher sei die Umsetzung, denn es müsse auch geprüft werden, ob die Selbstverp­flichtung eingehalte­n wird. Solche Kontrollst­rukturen seien aber »missbrauch­sanfällig«. So oder so brauche es eine gesetzlich­e Grundlage für die Klausel. Chialo hatte seine Antidiskri­minierungs­klausel nur als verwaltung­sinterne Verordnung konzipiert.

Auch die Linke-Kulturpoli­tikerin Manuela Schmidt meldet gegenüber »nd« juristisch­e Bedenken an. »Ich glaube nicht, dass die Klausel Rechtssich­erheit schaffen würde«, sagt sie. Statt einer Klausel wünsche sie sich einen »Leitfaden«, mit dem sich Kulturinst­itutionen und Senat auf einen Umgang mit menschenfe­indlichen Ideologien verständig­ten. »Das sollte von unten kommen, nicht von oben.« Das heiße aber nicht, dass es keine »roten Linien« geben dürfe. »Natürlich kann es keine Förderung für Antisemiti­smus geben«, so Schmidt.

Eine Stellungna­hme der Senatskult­urverwaltu­ng steht noch aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany