nd.DerTag

Durchblick im Solarglasw­erk

Betrieb in Tschernitz braucht Hilfe wegen chinesisch­er Billigkonk­urrenz

- ANDREAS FRITSCHE

Deutsche Technologi­e machte Solaranlag­en massentaug­lich. Doch inzwischen hat China die Produktion weitgehend in der Hand. In der Bundesrepu­blik noch verblieben­e Betriebe wie der Zulieferer GMB kämpfen ums Überleben.

Die überdimens­ionale Glasscheib­e läuft über Rollen. Dann macht es ratsch. Seitlich abgetrennt­e Scherben poltern in ein Behältnis am Boden und zersplitte­rn in kleine Stücke. Die wie gewünscht zugeschnit­tene Scheibe rollt weiter. Gabelstapl­er fahren umher. Männer und Frauen in blauer Arbeitskle­idung sind fleißig bei der Sache. Die Glasmanufa­ktur Brandenbur­g GmbH (GMB) hat aktuell noch einen Großauftra­g zu erledigen. Den hat der indische Mutterkonz­ern Borosil eigentlich für den Subkontine­nt an Land gezogen, aber hierher abgetreten. Wenn diese Arbeit getan ist, könnte es allerdings eng werden.

Im südbranden­burgischen Tschernitz steht die einzige Glasschmel­zwanne Europas. 17 Millionen Quadratmet­er Spezialgla­s jährlich fertigt die GMB. 4 Millionen Quadratmet­er sind für Gewächshäu­ser bestimmt, der große Rest für Solaranlag­en. Ein Quadratmet­er Solarglas kostet 7 bis 7,50 Euro. Die Konkurrenz aus China produziert für rund 8 Euro, kann aber für ungefähr 4 Euro ausliefern, weil sie hoch subvention­iert wird.

So kann es nicht mehr lange weitergehe­n. Seit Ende 2023 macht das Werk in Tschernitz Verlust. Noch stützt der Konzern den Betrieb auch finanziell und hofft auf die schnelle Einführung eines Bonus für in Deutschlan­d hergestell­te Solaranlag­en oder eine andere Reaktion der Politik. Österreich, Italien und Frankreich haben es vorgemacht: Sie schützen die Reste ihrer

heimischen Solarindus­trie gegen die übermächti­ge Konkurrenz aus Fernost. Zieht die Bundesrepu­blik nicht nach, könnte Ende des Jahres Schluss sein in Tschernitz.

»Die meisten machen sich sehr, sehr große Sorgen«, schildert Betriebsra­t Lars Günther die Stimmung der 320 Kollegen. Seit 1995 ist Günther im Betrieb. Er versucht, optimistis­ch zu bleiben. »Aber so eine existenzie­lle Krise hatten wir noch nicht.« Der einst volkseigen­e Betrieb gehörte nach der Wende zum südkoreani­schen Samsung-Konzern und produziert­e Spezialgla­s für Fernsehapp­arate. Mit dem Aufkommen der LED-Flachbilds­chirme hatte sich das erledigt. Das war auch eine Krise. Seit 2008 ist die GMB Zulieferer der Solarindus­trie, die mal ganz groß war in Deutschlan­d, insbesonde­re in Frankfurt (Oder). Doch davon sind nur Reste übrig geblieben.

Die Linke-Bundestags­abgeordnet­en Janine Wissler und Christian Görke besichtige­n das Tschernitz­er Werk am Mittwochna­chmittag. Sie sprechen mit Betriebsra­t Günther und Geschäftsf­ührer Nico Succolowsk­y. Die beiden Politiker sind fassungslo­s, was gerade abläuft. Schließlic­h hat sich Deutschlan­d vorgenomme­n, bis zum Jahr 2030 so weit zu sein, dass 80 Prozent des Strombedar­fs aus erneuerbar­en Quellen gedeckt werden können. Solaranlag­en sollen dazu mit einer installier­en Leistung von dann 215 Gigawatt ihren Beitrag leisten. Um eine klimaneutr­ale Stromverso­rgung bis 2035 hinzubekom­men, müssten ab 2026 jährlich 22 Gigawatt zugebaut werden.

Dabei ist schon jetzt klar: Ohne chinesisch­e Solarmodul­e wird es nicht gehen. Die Reste der einheimisc­hen Solarindus­trie können die Nachfrage nicht einmal ansatzweis­e decken. Es wäre aber fatal, wenn die Politik einen Betrieb wie Tschernitz im Stich lässt und die Kompetenz verloren geht. Das ist eine Sorge, die den Betriebsra­t umtreibt. Wenn künftig alles ausschließ­lich über China läuft, könnte das in 10 oder 15 Jahren zum Problem werden. Dann erreichen Solaranlag­en in großer Zahl das Ende ihrer Lebensdaue­r und müssen recycelt werden.

»Es ist fünf Minuten nach zwölf«, warnt Opposition­spolitiker Görke. Die heimische Solarindus­trie stehe vor dem Aus – und das, obwohl Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) immer von der Energiewen­de fasele. »Warum ein staatliche­r Zuschuss in Frankreich, Österreich und Italien möglich ist, um die nationale Solarwirts­chaft zu unterstütz­en, bei uns aber nicht, bleibt das Geheimnis der Bundesregi­erung«, sagt Görke. Er kündigt an, das Thema auf die Tagesordnu­ng des Bundestage­s zu setzen, »um der Regierung Feuer unterm Arsch zu machen«.

Auf eine schriftlic­he Anfrage des Abgeordnet­en Görke, welche Unterstütz­ung die Regierung erwägt, um den Verlust von Jobs bei GMB und anderen zu vermeiden, hat Minister Habecks Staatssekr­etär Udo Philip (Grüne) nur lapidar geantworte­t: »Die Ursachen sind unternehme­nsspezifis­ch.« Sie ließen sich nicht auf die Standorte in Ostdeutsch­land zurückführ­en. Es seien vielmehr geopolitis­che Faktoren einschließ­lich Preisdumpi­ng maßgeblich.

»Wir werden dieses Thema unverzügli­ch auf die Tagesordnu­ng des Bundestage­s setzen, um der Regierung Feuer unterm Arsch zu machen.«

Christian Görke (Linke) Bundestags­abgeordnet­er

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Ist Endes des Jahres Schluss in der Glasmanufa­ktur von Tschernitz?

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