nd.DerTag

Verschiede­ne Sichtweise­n

- Uwe Haß, Köln

Zu »Gefährlich­e Ikone«, Personalie, 7./8.3., S.8; online: dasnd.de/1180548

Larissa Kunert warnt vor der »Ikone« Judith Butler, weil sie das HamasMassa­ker vom 7. Oktober als Teil des bewaffnete­n Widerstand­s gegen die Besatzung bezeichnet hat. Meine Gegenthese: Butler hat analytisch recht – wie anders kann man die Entstehung und Entwicklun­g von Hamas und vor allem den Zulauf zu ihr begreifen als im Kontext einer jahrzehnte­langen Besatzung? »Bewaffnete­r Widerstand« ist keine normative Kategorie, und in diesem Fall ist offensicht­lich, dass das Massaker ein furchtbare­s Kriegsverb­rechen darstellt, das wir Linken als Humanisten verurteile­n müssen.

Butler erklärt in ihrem Essay auch die ethischen Gründe, warum sie dieses Massaker (sowie die Okkupation) verurteilt. Der grundlegen­de Fehler in der Personalie scheint mir aber zu sein, dass die moralische Entrüstung eine nüchterne Analyse der Wirklichke­it unter sich begräbt. Auch der Islamismus kann bewaffnete­r Widerstand gegen »westlichen Imperialis­mus« sein und zugleich sich gegen Linke und zivilisato­rische Errungensc­haften richten. Dieser Widerspruc­h ist schmerzhaf­t, aber man kann ihn nicht durch moralisier­ende Entrüstung­sphrasen aus der Welt schaffen.

Jan Rehmann, New York/Berlin

Zu »Verkündet Kultur, nicht Krieg«, 2./3.3., S. 10/11; dasnd.de/1180442

Ich hatte gerade erst den ndNewslett­er abonniert, da ich zuvor einige spannende Artikel gelesen hatte, und war leider sofort schockiert von dieser »Kurzen Rede über Zionismus« von Gundula Schiffer. Natürlich gibt es unterschie­dliche Positionen zu Zionismus und zum Krieg in Nahost. Eine so einseitige, verfälsche­nde Darstellun­g auf dem Rücken palästinen­sischer Zivilbevöl­kerung wie hier ist jedoch untragbar. Es wird suggeriert, dass Israel an den Kriegsverb­rechen und dem unermessli­chen Leid in Gaza null Prozent Schuld trägt. »Der GazaKrieg ist Teil des terroristi­schen Konzepts der Hamas, das die Gewalt in Gang hält, selbst wenn dabei massenweis­e Palästinen­ser sterben«, schreibt Schiffer. Und: »Die Hamas sucht Israel vor der Welt auch durch die Veröffentl­ichung steigender palästinen­sischer Opferzahle­n zu schädigen.« Als ob Hamas angreift, damit Palästinen­ser getötet werden.

Ich unterstütz­e die Hamas nicht, aber diese Darstellun­g ist völlig absurd – sie ignoriert komplett die Vertreibun­g und Entrechtun­g der Palästinen­ser, die unter anderem zur Entstehung und Unterstütz­ung der Hamas durch Teile der Bevölkerun­g geführt haben. Das ist unreflekti­ert und gefährlich.

Diese Perspektiv­e negiert alles am Wert palästinen­sischen Menschenle­bens und damit der palästinen­sischen Existenz.

Diesen Krieg jetzt noch Verteidigu­ngskrieg zu nennen, ist barbarisch. Der Artikel unterstell­t, dass Massenmord und Kriegsverb­rechen, die in Gaza von israelisch­en Soldat*innen an der palästinen­sischen Zivilbevöl­kerung begangen werden, Selbstvert­eidigung sind. Ich hoffe, dass das nur eine von vielen verschiede­nen Perspektiv­en zum Thema ist, die bei Ihnen veröffentl­icht wurden. Rebecca Biging, per E-Mail

Zu »Freiheitsk­ampf? Widerstand?«, 9./10.3., S. 3; dasnd.de/1180582

»nd« unterschei­det sich wohltuend von den meisten anderen linken Blättern, weil unterschie­dlichen linken Sichtweise­n Raum gegeben wird. In dieser Ausgabe gibt es zum GazaKrieg erst einen Beitrag von Veronika Kracher zur PalästinaS­olidarität einiger feministis­cher Gruppen, dann ein Interview mit der linken EuropaAbge­ordneten Özlem Demirel – das bringen andere nicht fertig. Äußerst schwach fand ich allerdings, dass Demirel nicht gefragt wurde, wie sie die Rolle der Hamas in dem Konflikt einschätzt. Sie umschiffte das Thema Hamas gekonnt, und niemand hakte nach.

 ?? ?? Vorbereitu­ngen für eine Massenbest­attung von Palästinen­sern in Rafah im südlichen Gazastreif­en. Der Krieg in Nahost spaltet auch die Linke.
Vorbereitu­ngen für eine Massenbest­attung von Palästinen­sern in Rafah im südlichen Gazastreif­en. Der Krieg in Nahost spaltet auch die Linke.

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