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»Wir sollten dieses Spiel nicht spielen«

Israels Fußballer wollen zur EM, der Nahost-Krieg lässt jedoch Boykottruf­e gegen das Land lauter werden

- RONNY BLASCHKE

Wie im Fall Russlands im Ukraine-Krieg wird vor Olympia und der Fußball-EM vielerorts der Ausschluss Israels aus dem Weltsport gefordert. Die großen Dachverbän­de sind dagegen.

Islands Fußballer können sich in den Playoffs für die Europameis­terschaft in Deutschlan­d qualifizie­ren, ihr Trainer Åge Hareide aber hat Vorbehalte gegenüber dem Kontrahent­en. »Wenn Sie mich persönlich fragen, würde ich nach jetzigem Stand zögern, gegen Israel zu spielen«, sagte Hareide vor wenigen Tagen: »Aufgrund dessen, was in Gaza geschieht und was sie Frauen, Kindern und anderen unschuldig­en Zivilisten angetan haben. Das sollte nicht geschehen und wir sollten dieses Spiel nicht spielen.«

Island trifft an diesem Donnerstag in Budapest auf Israel. Hareide sprach aber über die mehr als 31000 Palästinen­ser, die laut Uno während der israelisch­en Militäroff­ensive in Gaza getötet wurden. Rund zwei Drittel von ihnen sollen Frauen und Kinder sein. Nun droht eine Hungersnot. »Es ist sehr, sehr schwierig für mich, nicht mehr über diese Bilder nachzudenk­en, die wir jeden Tag sehen«, sagte Hareide. »Aber wenn wir nicht spielen, werden wir gesperrt und riskieren eine weitere Bestrafung.«

Viele Sportverbä­nde, Politiker und Menschenre­chtsgruppe­n gehen noch einen Schritt weiter und werben für einen Boykott. Im Fußball fordern zwölf Nationalve­rbände aus dem Nahen Osten den Ausschluss Israels aus der Fifa. Der Initiator war Prinz Ali bin Al Hussein aus Jordanien, Präsident des Westasiati­schen Fußballver­bandes. Zu den Unterzeich­nern gehören auch die einflussre­ichen Verbände aus Saudi-Arabien und Katar. Und in den palästinen­sischen Gebieten verbreiten mehr als 300 Sportverei­ne den Slogan »Ban Israel«.

Im Februar hatten 26 Mitglieder des französisc­hen Parlaments einen Brief an das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) geschickt – sie fordern Sanktionen gegen Israel. Im Europaparl­ament beteiligte­n sich 13 Abgeordnet­e an einem ähnlichen Vorstoß. Zudem vernetzen sich Politiker, Aktivisten und Sportler in mehreren Ländern für Petitionen. Eine stammt von der ehemaligen irischen Basketball­erin Rebecca O’Keeffe. Rund 400 Sportler versammeln sich hinter ihrer Kampagne: »Irischer Sport für Palästina«. In ihrer Argumentat­ion verweisen diese Initiative­n auch auf die Olympische Charta, in der es heißt: »Jeder Mensch muss die Möglichkei­t zur Ausübung von Sport ohne Diskrimini­erung jeglicher Art und im olympische­n Geist haben.«

Angesichts der Kriegsfolg­en im Sport fordern zahlreiche Organisati­onen, dass Israel genauso behandelt werden müsse wie Russland. Nach dem Angriff auf die Ukraine wurde Russland vom internatio­nalen Sport ausgeschlo­ssen. In Gaza zählen auch viele Sportler, Trainer und Funktionär­e zu den Toten, darunter der olympische Fußballtra­iner Hani Al Masdar. Dutzende Sportplätz­e, Hallen und Verbandsrä­ume sind zerstört, darunter jene des Palästinen­sischen Olympische­n Komitees. Überdies wurde das Yarmouk-Stadion, in dem seit 1938 Fußball gespielt wurde, von der israelisch­en Armee als Internieru­ngslager genutzt.

Die internatio­nalen Sportverbä­nde aber wollen Israel und Russland nicht auf die

gleiche Stufe stellen. Auf Nachfrage erinnert das IOC an die Suspendier­ung des Russischen Olympische­n Komitees (ROC) im Oktober 2023. Die Begründung: Das ROC hatte die Sportverwa­ltungen in den besetzten ukrainisch­en Gebieten an sich gebunden und damit laut IOC die »territoria­le Integrität des Nationalen Olympische­n Komitees der Ukraine verletzt«. Die Olympische­n Komitees aus Israels und Palästina aber hätten ihre »Zuständigk­eit nicht über den eigenen Bereich hinaus ausgedehnt«.

Die palästinen­sischen Sportorgan­isationen weisen diese Auslegung zurück und erinnern dabei an ihren Alltag vor dem aktuellen Krieg. Häufig seien ihre Sportlerin­nen und Sportler an Kontrollpu­nkten im Westjordan­land festgehalt­en und die Einfuhr ihrer Sportgerät­e erschwert worden.

In Israel dagegen scheinen Politik und Sport um Diplomatie bemüht zu sein. »Ich vertraue darauf, dass die Fifa die Politik nicht in den Fußball einbezieht«, sagte Niv Goldstein, Geschäftsf­ührer des israelisch­en Fußballver­bandes. Zudem, betonte er, habe Israel ein Recht auf Selbstvert­eidigung. Am 7. Oktober hatte die Terrororga­nisation Hamas im Süden Israels mehr als 1200 Menschen getötet und mehr als 230 nach Gaza verschlepp­t. Israelisch­e Medien und Sicherheit­sbehörden greifen zudem ebenso

den Sport in ihrer Verteidigu­ngslinie auf. Demnach sollen in Gaza Raketen auch von Sportplätz­en Raketen abgefeuert, palästinen­sische Fußballtea­ms mitunter als Rekrutieru­ngszellen genutzt und einige Sportplätz­e im Westjordan­land nach Terroriste­n benannt worden sein.

Sollten Israels Fußballer nun in der EMQualifik­ation das erste Playoff-Duell gegen Island gewinnen, würden sie am Dienstag auf die Ukraine oder Bosnien-Herzegowin­a treffen. Bei einem Erfolg stünde Israel vor dem zweiten großen Turnier seit der WM 1970. Für den Gastgeber Deutschlan­d wären damit große Herausford­erungen in der Sicherheit verbunden. Die wenigen israelisch­en Sportler, die seit dem 7. Oktober an internatio­nalen Wettbewerb­en teilgenomm­en haben, waren auf Personensc­hutz und geheime Unterkünft­e angewiesen. Die israelisch­en Fechter beispielsw­eise mussten nach einer Bombendroh­ung in Bern in Sicherheit gebracht werden.

Auch in Deutschlan­d ist die Zahl antisemiti­scher Vorfälle drastisch gestiegen. Dabei greifen Gruppen wie die BDS-Bewegung, die Israel wirtschaft­lich isolieren will und vom Bundestag als antisemiti­sch eingestuft wird, auch den Sport auf. Im Internet ruft BDS, was für »Boykott, Desinvesti­tionen und Sanktionen« steht, zum Beispiel zu Protesten, Sitzstreik­s und »friedliche­n Störungen« bei Wettkämpfe­n auf, womöglich auch bei der EM und Olympia.

Das IOC und Europas Fußballver­band Uefa betonen, dass sie keine Sanktionen gegen Israel planen. Vermutlich auch, weil einflussre­iche Nationen im Sport wie die USA, Deutschlan­d und Frankreich an der Seite Israels stehen. Aber ob andere Verbände bei weiter steigenden Opferzahle­n in Gaza ähnlich agieren? Der EishockeyW­eltverband schloss israelisch­e Nationalte­ams zunächst aus, nahm diese Entscheidu­ng nach Kritik wieder zurück.

Auch die Sponsoren halten sich zurück, weil sie in diesem Spannungsf­eld wohl nur verlieren können. Der Sportartik­elherstell­er Puma lässt seinen Vertrag mit Israels Fußballver­band auslaufen, eine Entscheidu­ng, die angeblich schon 2022 getroffen wurde. In Israel wurde Puma heftig kritisiert, die Unterstütz­er der Boykottfor­derungen feierten das: als ihren eigenen Erfolg.

»Wenn Sie mich persönlich fragen, würde ich nach jetzigem Stand zögern, gegen Israel zu spielen.«

Åge Hareide Fußball-Nationalco­ach Island

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Kapitän Eli Dasa (r.) und Dor Peretz wollen Israel nach der WM 1970 zum zweiten großen Turnier führen.

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