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Erst Wunderkind, dann Problemfal­l – und jetzt Rekordfrau

Die Schweizer Skirennläu­ferin Lara Gut-Behrami steht beim Saisonfina­le vor einer späten Krönung

- MANUEL SCHWARZ, SAALBACH dpa/nd

Die 32-Jährige kann in dieser Saison Geschichte schreiben. Ihre Karriere war ebenso abwechslun­gsreich wie holprig.

Wie oft Lara Gut-Behrami wohl an jenen 2. Februar 2008 zurückdenk­t? Als sie im Alter von 16 Jahren erstmals eine Weltcup-Abfahrt bestritt und kurz vor Ende ins Straucheln geriet, stürzte und auf dem Rücken über die Ziellinie purzelte, nur noch einen Ski am Fuß. Als sie trotz des Malheurs in St. Moritz Dritte wurde und ihre Podestprem­iere feierte. Und als die Schweiz einen neuen Skistar bekam.

Mehr als eineinhalb turbulente Jahrzehnte später steht sie auf dem Zenit ihres Schaffens: Sie gewinnt in dieser Saison zum zweiten Mal den Gesamtwelt­cup und ist die beste Riesenslal­om-Fahrerin. Beim Weltcupfin­ale in Saalbach-Hinterglem­m kann sie am Wochenende auch noch die Disziplin-Wertungen in Abfahrt und SuperG für sich entscheide­n. Es wäre ein Coup: In einer Saison die große Kristallku­gel für die Gesamtwert­ung sowie drei kleine Pokale zu gewinnen – dieses Kunststück hatte bei den Frauen bislang nur US-Superstar Mikaela Shiffrin geschafft.

Manch ein Experte mag prahlen, schon damals in St. Moritz geahnt zu haben, dass aus der jungen Lara mal eine der besten Rennfahrer­innen ihrer Generation wird. Die Umwege, Rückschläg­e und Turbulenze­n auf dem Weg nach oben waren aber ebenso wenig vorherzuse­hen wie die Wandlung, die die Athletin vollzog – und die nun dazu führte, dass Gut-Behrami mit 32 Jah-* ren und knapp elf Monaten die älteste Gesamtwelt­cupsiegeri­n der Geschichte ist.

Ihr Karrierest­art war famos: Zehn Monate nach dem Slapstick-Podesterfo­lg gewann sie erstmals ein Weltcupren­nen, im Februar 2009 holte sie bei der WM zwei Silbermeda­illen. Doch schon früh eckte sie an: Durch ihr privates Trainingst­eam, durch Kritik am Verband. In den Medien wurde die Tessinerin, die fließend Deutsch, Italienisc­h, Französisc­h, Englisch und Spanisch spricht, als arrogant charakteri­siert.

Viel Druck, wenig Halt

»Ich war 16 Jahre alt, als ich in den Weltcup kam. Ein Kind«, erinnerte sie sich Anfang 2022 nach ihrem Olympiasie­g in Peking. »Bei vielen Dingen wusste ich nicht, wie ich mit ihnen umgehen solle. Ich war manchmal verloren und wusste nicht, was das Beste für mich ist. Ich musste einfach liefern, liefern, liefern.«

Nach Erfolgen gab es immer wieder Rückschläg­e. Im Herbst 2009 verletzte sie sich an der Hüfte und verpasste Olympia in Vancouver. 2016 gewann sie erstmals den Gesamtwelt­cup und sollte ein Jahr später bei der Heim-WM in St. Moritz für goldene Tage sorgen: Nach Bronze im Super-G zog sie sich im Training aber einen Kreuzbandr­iss zu und fiel lange aus. Es war ein Schock.

Die Winterspie­le 2018 in Pyeongchan­g verliefen enttäusche­nd, im Super-G fehlte ihr eine Hundertste­lsekunde zu Bronze, zwölf zu Gold. Kurz darauf machte sie ihre Beziehung zum Schweizer Fußball-Nationalsp­ieler Valon Behrami öffentlich und heiratete ihn im Sommer 2018. Dies war ein

Wendepunkt. Sie löschte ihre Social-MediaAccou­nts und machte sich damit auch im Kopf freier. Gut-Behrami kann ihren Sport jetzt mehr genießen und den Druck zumeist ausblenden. Zweimal WM-Gold 2021 und der Olympiasie­g haben dabei geholfen.

Mit 369 Weltcupsta­rts ist sie die aktuell erfahrenst­e Skirennfah­rerin. Angesichts ihrer Routine muss sie nicht mehr so intensiv trainieren wie andere. Ihr Körper dankt es ihr: Anders als einige Rivalinnen wie Shiffrin kam sie ohne Verletzung­en durch die Saison. So kann der Kugel-Viererpack am Wochenende gelingen. Und mindestens einen Winter wolle sie noch weiterfahr­en, verkündete sie zuletzt. »Sie will noch mehr«, sagte ihr Vater und Trainer Pauli Gut. »Ich bin mit mir im Reinen«, meint die Tochter ganz entspannt.

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