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Regenbogen­fahnen am Pirnaer Rathaus

Buntes Bündnis protestier­t gegen Vereidigun­g von Deutschlan­ds erstem AfDOberbür­germeister

- HENDRIK LASCH

In Pirna amtiert mit Tim Lochner der erste von der AfD aufgestell­te Oberbürger­meister. Gegen seine Vereidigun­g protestier­ten über 1000 Menschen mit Plakaten und Regenbogen­fahnen vor dem Rathaus.

Hannah Schulze will ihre Genugtuung nicht verhehlen. »Ich freue mich, so viele Regenbogen­fahnen vor dem Rathaus zu sehen – trotz Tim Lochner!«, ruft die junge Frau in die rund 1000-köpfige Menge. Die Sprecherin der Initiative »SOE gegen rechts« steht auf einer großen Bühne vor dem Gebäude der Stadtverwa­ltung. Diese wird seit Februar angeführt von Tim Lochner, vormals Tischlerme­ister, jetzt der erste von der AfD aufgestell­te Oberbürger­meister bundesweit. Er hatte angekündig­t, dass es mit ihm in der sächsische­n Kreisstadt keine kostenlose­n Parkplätze für Elektroaut­os mehr geben werde – und keine Regenbogen­fahnen am Rathaus. Diese sind Symbol der queeren Community und einer gesellscha­ftlichen Vielfalt, welche die AfD ablehnt.

Zu der Kundgebung am Dienstag hatte ein Aktionsbün­dnis aufgerufen, dem Parteien, Gewerkscha­ften, die Diakonie und viele Vereine und Initiative­n angehören. Man wolle damit »Lochner den Feierabend versauen«, wie das Zentrum Interkultu­relle Verständig­ung auf dem Twitter-Nachfolger

X schrieb. Anlass für die Versammlun­g war Lochners zunächst für Dienstag geplante Vereidigun­g im Stadtrat. Diese war kurzfristi­g allerdings auf Montag vorgezogen worden. Offiziell wurde das mit einem großen Publikumsi­nteresse begründet, was zur Verlegung vom Ratssaal in die am Dienstag anderweiti­g belegte Herderhall­e geführt habe.

Auf dem Pirnaer Markt äußerte man sich überzeugt, dass Lochner der öffentlich­en Kritik an seiner Wahl aus dem Weg gehen wollte. Als der neue OB am Montag den Amtseid ablegte, verließen Teile des Publikums aus Protest den Saal.

Lochner hatte sich bei der Oberbürger­meisterwah­l im Dezember in zwei Wahlgängen durchgeset­zt. In der entscheide­nden Runde lag er mit 38,5 Prozent deutlich vor seinen Konkurrent­en von CDU und Freien Wählern, die sich nicht auf ein abgestimmt­es Vorgehen hatten einigen können. Lochner ist formal parteilos, gehörte aber der Stadtratsf­raktion der Partei an und wurde auch zur OB-Wahl von der AfD aufgestell­t. Diese wird in Sachsen vom Verfassung­sschutz als »gesichert rechtsextr­emistisch« eingestuft. Der 53-Jährige Rathausche­f erklärte bei einer Pressekonf­erenz zu seinem Amtsantrit­t, er habe damit kein Problem. Er selbst gilt als moderat; indes ließ seine Ankündigun­g aufhorchen, die Rathausmit­arbeiter auf »Loyalität« prüfen zu wollen.

In der Stadtgesel­lschaft wecken derlei

Äußerungen große Befürchtun­gen. Bei der Kundgebung schilderte ein Schüler die täglichen Anfeindung­en durch rechtsextr­eme Altersgefä­hrten, die ihn in der Schule permanent als »Zecke« beschimpft­en und ihn auf dem Schulweg drangsalie­rten: »Diese Menschen feiern Tim Lochner und seine Wahl.« Er erinnerte auch daran, dass Lochner im Februar seinen Dienstantr­itt verschoben hatte, um an einer Veranstalt­ung der AfD in Baden-Württember­g teilzunehm­en. Dort habe er als Geschenk einen Kalender überreicht bekommen, der die »12 schönsten Abschiebef­lieger« zeige.

Eine Rednerin mit Migrations­hintergrun­d berichtete bei der Kundgebung von offen rassistisc­hen Anfeindung­en auf der Straße in Pirna und erklärte: »Ich fühle mich unwohl, fassungslo­s und besorgt bei dem Gedanken, einen Oberbürger­meister von der AfD aushalten zu müssen.«

Ähnlich geht es vielen. Im Aufruf des Aktionsbün­dnisses hatte es geheißen: »Rückwärtsg­ewandte, einfache Lösungen, die rechtsextr­eme Parteien wie die AfD in

Sachsen anbieten, gefährden unsere Gesellscha­ft. Sie helfen nicht bei der Bewältigun­g aktueller Herausford­erungen, sondern schüren Angst, Abwehr und Hass.«

Lisa Thea Steiner, Regionalch­efin des NSOpferver­bandes VVN-BdA, warnte bei der Kundgebung vor Gefahren für die Demokratie: »Faschisten brauchen nur eine Wahl, um sie zu besiegen.« In Anspielung auf ein häufiges Argument, das die Zusammenar­beit mit AfD-Kommunalpo­litikern rechtferti­gen soll, sagte sie: »Demokratis­ch gewählt bedeutet eben nicht unbedingt auch: demokratis­ch gesinnt.« Jakob Springfeld, linker Aktivist aus Zwickau und Autor eines Buches über antifaschi­stisches Engagement in der ostdeutsch­en Provinz, fragte, wie trotz rechtsextr­emer Morde in Kassel, Hanau und Halle ein Vertreter der ebenfalls rechtsextr­emen AfD Oberbürger­meister werden könne: »Wie kann das sein?!«

Springfeld lobte zugleich das Engagement derjenigen, die Protest gegen Lochner organisier­ten. »Ihr macht mir Hoffnung«, sagte er und appelliert­e: »Lasst uns nicht den Mut verlieren!« Dazu rief auch Hannah Schulz von »SOE gegen rechts« auf. Sie freue sich, so viele junge Leute und ehemalige Schulkamer­aden auf der Kundgebung zu sehen, die ihre Stadt nicht widerstand­slos einer rechten Mehrheit überlassen wollten. »Wir gehen nicht weg aus Pirna«, sagte sie, »auch wenn es in Berlin vielleicht einfacher ist.«

Zu der Kundgebung hatte ein Aktionsbün­dnis aufgerufen, dem Parteien, Gewerkscha­ften, die Diakonie und viele Vereine und Initiative­n angehören.

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Über 1000 Menschen protestier­ten in Pirna gegen die Vereidigun­g des ersten bundesdeut­schen AfDOberbür­germeister­s Tim Lochner.

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