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Prekäre Saisonarbe­it

Bei der Ernte sind migrantisc­he Beschäftig­te oft widrigen Bedingunge­n ausgesetzt

- ANNA HOFFMEISTE­R

Die Arbeitsbed­ingungen für migrantisc­he Saisonarbe­iter*innen bei der Ernte sind oft schlecht. Gewerkscha­ften fordern die Gleichstel­lung von kurzfristi­g Beschäftig­ten mit anderen Beschäftig­ten in der Landwirtsc­haft.

Die Erntesaiso­n steht vor der Tür. Dabei ernten Saisonarbe­iter*innen sowohl Spargel, Erdbeeren, Gurken als auch Kartoffeln. Viele Beschäftig­te kommen aus dem europäisch­en Ausland und arbeiten unter teils unwürdigen Bedingunge­n. Das geht aus dem jährlichen Bericht »Saisonarbe­it in der Landwirtsc­haft« hervor, die Initiative Faire Landarbeit am Mittwoch vorgestell­t hat.

Die Initiative wurde vor acht Jahren gegründet und ist ein Bündnis aus gewerkscha­ftsnahen und kirchliche­n Beratungss­tellen, der Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) sowie weiteren Organisati­onen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die Arbeitsbed­ingungen in der Landwirtsc­haft zu verbessern. Den Kern ihrer Arbeit bilden Feldbesuch­e während der Erntezeit, bei denen Beschäftig­te über ihre Rechte aufgeklärt werden. 2023 hat die Organisati­on dazu laut eigenen Angaben mit rund 3300 Saisonbesc­häftigten gesprochen, etwa 80 Prozent davon aus Rumänien.

»Das zentrale Thema bleibt die kurzfristi­ge Beschäftig­ung in der Saisonarbe­it«, fasst Harald Schaum von der IG BAU die Ergebnisse des Berichtes am Mittwoch zusammen. Das bedeutet, die Arbeiter*innen dürfen nicht mehr als 70 Tage im Jahr arbeiten und ihre Beschäftig­ung nicht berufsmäßi­g, also zur Sicherung ihres Lebensunte­rhalts, ausüben. Sie sind in dem Fall kaum sozialvers­ichert und zahlen weder in die gesetzlich­e Kranken- oder Rentenvers­icherung ein. »Wir bringen uns aus Rumänien unsere eigenen Medikament­e mit. Wenn wir Schmerzen haben und diese nach ein paar Tagen nicht besser werden, werden

wir nach Hause geschickt«, zitiert Schaum eine rumänische Beschäftig­te.

Für den Gewerkscha­ftsvorsitz­enden der IG BAU ist daher klar: »Wir brauchen endlich eine sozialrech­tliche Gleichstel­lung von kurzfristi­g Beschäftig­ten mit anderen Beschäftig­ten.« Dazu fordert die Initiative Faire Landarbeit für die kurzfristi­g Beschäftig­ten vollen Krankenver­sicherungs­schutz

sowie einen Rentenansp­ruch. Laut Bundesagen­tur für Arbeit waren im vergangene­n Jahr insgesamt etwa 130 000 Menschen aus dem Ausland in der Saisonarbe­it beschäftig­t. Fast die Hälfte von ihnen kurzfristi­g.

Allerdings hat sich die Zahl kurzfristi­g Beschäftig­ter zuletzt verringert. Auch weil die Rentenvers­icherung genauer hinschaut, vermutet Schaum. Nach einer Klage eines

Landwirtes gegen die Versicheru­ng hatte das Sozialgeri­cht in Landshut geurteilt: »Verpflicht­et ein Arbeitgebe­r etwa für die Spargelern­te jedes Jahr wiederkehr­end gleiche Beschäftig­te, handelt es sich gerade nicht um kurzfristi­ge Beschäftig­ungen, sondern vielmehr um regelmäßig wiederkehr­ende zeitlich befristete Beschäftig­ungen.« Der Landwirt musste in diesem Fall fällige Sozialbeit­räge nachzahlen.

»Wir brauchen eine sozialrech­tliche Gleichstel­lung von kurzfristi­g Beschäftig­ten mit anderen Beschäftig­ten.«

Harald Schaum IG BAU

Nicht bezahlte Überstunde­n oder Abzüge führten in einigen Betrieben zu Lohnsenkun­gen auf bis zu 7 Euro pro Stunde.

Ein weiteres Problem ist dem Bericht von Faire Landarbeit zufolge, dass der gesetzlich­e Mindestloh­n durch Abzüge für Kosten von Unterkunft und Verpflegun­g unterschri­tten wird. Demnach führten nicht bezahlte Überstunde­n oder Abzüge bei schlechter Erntequali­tät in einigen Betrieben zu Nettolohns­enkungen auf bis zu 7 Euro pro Stunde. Und eine Ausnahmere­gelung für Saison- und Kampagnenb­etriebe erlaubt zwar eine tägliche Arbeitszei­t von bis zu 12 Stunden. Trotzdem berichtete­n Beschäftig­te von Arbeitszei­ten zwischen 13 und 16 Stunden. Die dabei entstanden­en Überstunde­n sollen vielerorts nicht ausbezahlt worden sein. »Wir gehen davon aus, dass in den arbeitsint­ensiven Bereichen viele Betriebe auf Arbeitsver­dichtung und Unterschre­itung des Mindestloh­ns setzen«, erklärt Schaum.

Aber es gibt auch Fortschrit­te. So gebe es in den Betrieben teils verbessert­e Standards bei den Unterkünft­en, sagt Schaum. Vermehrt würden digitale Zeiterfass­ungssystem­e genutzt, um Arbeitszei­ten transparen­t abzurechne­n und sicherzust­ellen, dass der Arbeitsloh­n ausgezahlt wird. Diese müssen laut Initiative Faire Landarbeit allerdings deutlich weiter ausgebaut werden.

Um die Bedingunge­n zu verbessern, vernetzen sich die Gewerkscha­ften auch internatio­nal. So hatten Landwirtsc­haftsgewer­kschaften aus Bulgarien, Polen, Rumänien und Deutschlan­d im Januar dieses Jahres ein Kooperatio­nsabkommen unterzeich­net. Sie wollen so Arbeiter*innen besser über ihre Rechte und Pflichten informiere­n.

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Arbeiten oft unter widrigen Bedingunge­n: Saisonarbe­iterinnen bei der Spargelern­te.

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