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Schrumpfun­g statt Ausbau

Trotz Ankündigun­gen neuer Atomkraftw­erke geht deren Bestand weltweit zurück

- STEFFEN SCHMIDT

Beim UNKlimagip­fel in Dubai sahen etliche Länder Atomkraft als Baustein des Klimaschut­zes, Frankreich und Großbritan­nien kündigen Neubauten an. Doch die Zahl der AKW schrumpft seit Jahren – außer in China.

Bei der Weltklimak­onferenz Ende 2023 in Dubai hatten rund 20 Staaten angekündig­t, für den klimaneutr­alen Umbau ihrer Energiever­sorgung die Nutzung der Atomkraft ausbauen zu wollen. Frankreich, das größte europäisch­e AKW-Betreiberl­and, erwägt, 14 neue Atomkraftw­erke zu bauen. Die aktuelle Entwicklun­g allerdings geht in den meisten Staaten der Erde in die entgegenge­setzte Richtung, wie der unlängst veröffentl­ichte »World Nuclear Industry Status Report« unabhängig­er Forscher aus vier Kontinente­n zeigt. Lag der weltweite Anteil der Kernenergi­e an der Stromerzeu­gung 1996 immerhin bei 17,6 Prozent, waren es 2022 nur noch 9,2 Prozent. Der Anteil von Wind- und Solarstrom lag 2022 bei 11,7 Prozent.

Der Hauptautor des Reports, der Pariser Energieexp­erte Mycle Schneider, rechnet zudem bei einem Pressegesp­räch in Berlin vor, dass für den in Dubai versproche­nen Ausbau der Kernenergi­e auf die dreifache Kapazität von heute weltweit jährlich zehn neue AKW ans Netz gehen müssten. Denn im gleichen Zeitraum kämen voraussich­tlich 270 Reaktorblö­cke an das Ende ihrer geplanten Laufzeit. Derzeit gingen pro Jahr aber maximal fünf AKW neu in Betrieb. Hinzu komme, dass von den sechs Unternehme­n weltweit, die über Erfahrung beim AKW-Bau verfügen, nur die russische Rosatom und zwei chinesisch­e Unternehme­n in den letzten Jahren noch mehrere AKW gebaut haben.

Frankreich­s Kapazitäte­n sind derzeit bereits durch den bereits über 16 Jahre laufenden Bau des dritten Blocks des Kernkraftw­erks Flamanvill­e und umfangreic­he Sanierunge­n von korrodiert­en Rohren in älteren Kraftwerke­n stark beanspruch­t. Im Jahr 2022 war der Rückgang der Atomstromp­roduktion in Frankreiuc­h deshalb außerplanm­äßig größer als der planmäßige Rückgang in Deutschlan­d

infolge der Abschaltun­g der letzten AKW in Deutschlan­d.

Dabei sind es weniger politische Maßnahmen, wie der deutsche Atomaussti­eg, die das Wachstum der Kernenergi­e bremsen, sondern ganz profane ökonomisch­e Gründe, wie Koautor Doug Koplow vom Thinktank »Earth Track« in Cambridge (USA) feststellt. Wegen der astronomis­chen Kosten und der langen Bauzeiten war es in den letzten Jahren anscheinen­d für viele Investoren lukrativer, ihr Geld in große Batteriesp­eicher statt in AKW zu stecken. So sei 2022 die Kapazität von Batteriesp­eichern im Stromnetz bereits größer gewesen als die von AKW. Weltweit wurde laut dem Report 2022 das 14-Fache dessen, was in neue AKW floss, in erneuerbar­e Quellen (ohne Wasserkraf­t) investiert.

Der Report zeigt, dass das in China ähnlich ist. Dort wurden zwar in den letzten Jahren die meisten neuen Atomkraftw­erke gebaut, doch 2022 überholte bei der Stromerzeu­gung die Photovolta­ik bereits die AKW.

Alexander James Wimmer von der TU Berlin verwies noch auf einen neben Kraftwerks­bau und Atommüllen­tsorgung meist unterschät­zten Kostenfakt­or der Kenenergie: den Rückbau nach dem Ende des Betriebs. Anfang 2024 sind 213 Reaktoren weltweit offiziell abgeschalt­et – zurückgeba­ut sind aber nur 22 Reaktoren in Deutschlan­d, Japan und den USA. Anhand von Beispielen aus Deutschlan­d, Italien und Litauen ergeben sich für den Rückbau Kosten von 5 bis 12 US-Dollar pro während der Laufzeit erzeugte Megawattst­unde. Der vermeintli­ch billige Atomstrom kann laut den Ergebnisse­n des Reports bei Betrachtun­g aller Kosten bis zu viermal so teuer sein wie Strom, der mittels Offshore-Windkrafta­nlagen erzeugt wird.

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