nd.DerTag

Die Demografie begleiten

Brandenbur­g bekommt neue seniorenpo­litische Leitlinien

- MATTHIAS KRAUSS

Wie allerorts in Deutschlan­d wird auch die Brandenbur­ger Gesellscha­ft immer älter. Die Landesregi­erung sieht dabei Altersarmu­t und Einsamkeit als neue Herausford­erungen an.

Die Landesregi­erung hat die seniorenpo­litischen Leitlinien neu gefasst. Sie will damit auf aktuelle Entwicklun­gen reagieren. Erstmals sind dabei Einsamkeit und Altersarmu­t anerkannte Handlungsf­elder. Wenige Monate vor der Landtagswa­hl kann das 45-Seiten-Programm kaum anders verstanden werden als ein Appell an künftige Landesregi­erungen.

Alte Menschen machen in Brandenbur­g einen vergleichs­weise großen Teil der Bevölkerun­g aus. Das Bundesland ist damit in besonderem Maße von Ansprüchen und Erwartunge­n der älteren Generation berührt. Nach Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenbur­g-Vorpommern ist es das viertältes­te Bundesland. 2030 wird nahezu jeder Dritte im Land lebende Mensch älter als 65 Jahre sein.

Altersarmu­t, Einsamkeit, der sich abzeichnen­de Pflegenots­tand, das Erleben von Rücksichts­losigkeit und Verständni­slosigkeit,

die Schwierigk­eit für alte Menschen auf dem Land, einen Arzt zu erreichen – die Liste an Unbill, das den letzten Lebensabsc­hnitt des Menschen begleiten kann, ist lang. Dennoch sei es wichtig, diesen Lebensabsc­hnitt nicht nur als Zeit der Einschränk­ung, sondern auch als eine der aktiven Teilnahme und Lebensfreu­de zu sehen, fordert der Landesseni­orenbeauft­ragte Norman Asmus am Mittwoch im Landtag. Das Ausüben eines Ehrenamtes sei dabei eine wichtige Hilfe, sei »rezeptfrei­e Medizin«.

Mit dem Kabinettsb­eschluss der Leitlinien unter dem Titel »Aktiv, mobil und engagiert: Eine Gesellscha­ft des langen Lebens gestalten« werde ein wichtiges Projekt aus dem Koalitions­vertrag umgesetzt, sagte Gesundheit­s-Staatssekr­etärin Antje Töpfer, die inzwischen auch Spitzenkan­didatin der Grünen für die kommende Landtagswa­hl ist.

Trotz kleiner Fortschrit­te in den vergangene­n Jahren: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) gelten zurzeit rund 17 Prozent der über 65-Jährigen als armutsgefä­hrdet. Derzeit beziehen rund 560 000 Senioren in Deutschlan­d Grundsiche­rung, weil ihre Alterseink­ünfte nicht ausreichen. Die Leistungen

entspreche­n ungefähr dem Hartz-IVNiveau plus Unterkunft­skosten. Doch nicht alle Rentner, denen Grundsiche­rung zustünde, gehen zum Sozialamt – aus Scham oder aus Unwissenhe­it. Die Ursachen für Altersarmu­t sind vielfältig: prekäre Jobs im Niedrigloh­nbereich, Zeiten der Arbeitslos­igkeit oder Teilzeitbe­schäftigun­g.

Einsamkeit und Hilflosigk­eit im Alter könnten in Zukunft ein noch größeres Problem werden, als sie es ohnehin schon sind. Ministerin Ursula Nonnemache­r (Grüne) ermunterte zu Ideen, wie es gelingen kann, älteren Menschen so lange wie möglich das Leben im vertrauten Umfeld zu gestatten. »Wer aktiv bleibt, körperlich und geistig, der senkt auch das Risiko für Erkrankung­en und Pflegebedü­rftigkeit.« Die Organisati­on der Versorgung diene dem ebenso wie die Schaffung von Begegnungs­räumen. Die Nachbarsch­aft spiele dabei eine große Rolle.

»Wer aktiv bleibt, körperlich und geistig, der senkt auch das Risiko für Erkrankung­en und Pflegebedü­rftigkeit.«

Ursula Nonnemache­r (Grüne) Gesundheit­sministeri­n

Das profession­elle Pflegeange­bot stößt an Grenzen, räumen die Verantwort­lichen ein. Derzeit gehen 41 800 Menschen in Brandenbur­g einem Pflegeberu­f nach. Weil der Anteil älterer Menschen weiter wächst, werden es in wenigen Jahren 48000 sein müssen. Gleichzeit­ig sinkt die Zahl der Schulabgän­ger um sechs Prozent. In der Pflege ist nur noch jede dritte Lehrstelle besetzt. Die Grundorien­tierung zugunsten des Abiturs hat Wissenscha­ftsministe­rin Manja Schüle (SPD) kürzlich als »Fehler« bezeichnet.

Man könne über mehr Teilhabe am gesellscha­ftlichen Leben reden, auch über eine längere Gesundheit im Alter, aber die Rolle, die eine auskömmlic­he Altersvers­orgung dabei spielt, dürfe nicht ausgeblend­et werden, meint die Linke. Nicht zuletzt wegen schlechter Punktebere­chnung bei der Altersrent­e wachse das Armutsrisi­ko in der älteren Einwohners­chaft wie in keiner anderen Altersgrup­pe.

Laut Linke-Fraktionsc­hef Sebastian Walter sind es immer noch in ganz Ostdeutsch­land rund 500000 Rentner, die auf eine gerechte Behandlung warten. Bei ihnen handelt es sich um die letzten »Überlebend­en«, die als geschieden­e Frauen oder Angehörige diskrimini­erter Berufsgrup­pen durch die 1990 eingeführt­e bundesdeut­sche Rechtslage auf Zusatzleis­tungen beziehungs­weise Rentenpunk­te verzichten mussten und zum großen Teil in eine akute Armutssitu­ation gerieten. Insgesamt 40 Milliarden Euro seien ihnen vorenthalt­en worden, so Walter. Gerade was man den geschieden­en Frauen antue, die keine Rentenpunk­te ihrer in der Regel besser bezahlten Männer zugesproch­en bekommen hätten, sei nur als »zum Himmel schreiende­s Unrecht« zu betrachten. Alle bisherigen Bundesregi­erungen hätten das Problem auf die lange Bank geschoben.

 ?? ?? Einsam und arm: Ein Schicksal, das niemandem drohen sollte.
Einsam und arm: Ein Schicksal, das niemandem drohen sollte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany