Die Demografie begleiten
Brandenburg bekommt neue seniorenpolitische Leitlinien
Wie allerorts in Deutschland wird auch die Brandenburger Gesellschaft immer älter. Die Landesregierung sieht dabei Altersarmut und Einsamkeit als neue Herausforderungen an.
Die Landesregierung hat die seniorenpolitischen Leitlinien neu gefasst. Sie will damit auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Erstmals sind dabei Einsamkeit und Altersarmut anerkannte Handlungsfelder. Wenige Monate vor der Landtagswahl kann das 45-Seiten-Programm kaum anders verstanden werden als ein Appell an künftige Landesregierungen.
Alte Menschen machen in Brandenburg einen vergleichsweise großen Teil der Bevölkerung aus. Das Bundesland ist damit in besonderem Maße von Ansprüchen und Erwartungen der älteren Generation berührt. Nach Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ist es das viertälteste Bundesland. 2030 wird nahezu jeder Dritte im Land lebende Mensch älter als 65 Jahre sein.
Altersarmut, Einsamkeit, der sich abzeichnende Pflegenotstand, das Erleben von Rücksichtslosigkeit und Verständnislosigkeit,
die Schwierigkeit für alte Menschen auf dem Land, einen Arzt zu erreichen – die Liste an Unbill, das den letzten Lebensabschnitt des Menschen begleiten kann, ist lang. Dennoch sei es wichtig, diesen Lebensabschnitt nicht nur als Zeit der Einschränkung, sondern auch als eine der aktiven Teilnahme und Lebensfreude zu sehen, fordert der Landesseniorenbeauftragte Norman Asmus am Mittwoch im Landtag. Das Ausüben eines Ehrenamtes sei dabei eine wichtige Hilfe, sei »rezeptfreie Medizin«.
Mit dem Kabinettsbeschluss der Leitlinien unter dem Titel »Aktiv, mobil und engagiert: Eine Gesellschaft des langen Lebens gestalten« werde ein wichtiges Projekt aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, sagte Gesundheits-Staatssekretärin Antje Töpfer, die inzwischen auch Spitzenkandidatin der Grünen für die kommende Landtagswahl ist.
Trotz kleiner Fortschritte in den vergangenen Jahren: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gelten zurzeit rund 17 Prozent der über 65-Jährigen als armutsgefährdet. Derzeit beziehen rund 560 000 Senioren in Deutschland Grundsicherung, weil ihre Alterseinkünfte nicht ausreichen. Die Leistungen
entsprechen ungefähr dem Hartz-IVNiveau plus Unterkunftskosten. Doch nicht alle Rentner, denen Grundsicherung zustünde, gehen zum Sozialamt – aus Scham oder aus Unwissenheit. Die Ursachen für Altersarmut sind vielfältig: prekäre Jobs im Niedriglohnbereich, Zeiten der Arbeitslosigkeit oder Teilzeitbeschäftigung.
Einsamkeit und Hilflosigkeit im Alter könnten in Zukunft ein noch größeres Problem werden, als sie es ohnehin schon sind. Ministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) ermunterte zu Ideen, wie es gelingen kann, älteren Menschen so lange wie möglich das Leben im vertrauten Umfeld zu gestatten. »Wer aktiv bleibt, körperlich und geistig, der senkt auch das Risiko für Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit.« Die Organisation der Versorgung diene dem ebenso wie die Schaffung von Begegnungsräumen. Die Nachbarschaft spiele dabei eine große Rolle.
»Wer aktiv bleibt, körperlich und geistig, der senkt auch das Risiko für Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit.«
Ursula Nonnemacher (Grüne) Gesundheitsministerin
Das professionelle Pflegeangebot stößt an Grenzen, räumen die Verantwortlichen ein. Derzeit gehen 41 800 Menschen in Brandenburg einem Pflegeberuf nach. Weil der Anteil älterer Menschen weiter wächst, werden es in wenigen Jahren 48000 sein müssen. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Schulabgänger um sechs Prozent. In der Pflege ist nur noch jede dritte Lehrstelle besetzt. Die Grundorientierung zugunsten des Abiturs hat Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) kürzlich als »Fehler« bezeichnet.
Man könne über mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben reden, auch über eine längere Gesundheit im Alter, aber die Rolle, die eine auskömmliche Altersversorgung dabei spielt, dürfe nicht ausgeblendet werden, meint die Linke. Nicht zuletzt wegen schlechter Punkteberechnung bei der Altersrente wachse das Armutsrisiko in der älteren Einwohnerschaft wie in keiner anderen Altersgruppe.
Laut Linke-Fraktionschef Sebastian Walter sind es immer noch in ganz Ostdeutschland rund 500000 Rentner, die auf eine gerechte Behandlung warten. Bei ihnen handelt es sich um die letzten »Überlebenden«, die als geschiedene Frauen oder Angehörige diskriminierter Berufsgruppen durch die 1990 eingeführte bundesdeutsche Rechtslage auf Zusatzleistungen beziehungsweise Rentenpunkte verzichten mussten und zum großen Teil in eine akute Armutssituation gerieten. Insgesamt 40 Milliarden Euro seien ihnen vorenthalten worden, so Walter. Gerade was man den geschiedenen Frauen antue, die keine Rentenpunkte ihrer in der Regel besser bezahlten Männer zugesprochen bekommen hätten, sei nur als »zum Himmel schreiendes Unrecht« zu betrachten. Alle bisherigen Bundesregierungen hätten das Problem auf die lange Bank geschoben.