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Eine Revolte gegen den Konsum

Die österreich­ische Regisseuri­n Jessica Hausner über ihren neuen Film »Club Zero«, Manipulati­on und Jugendlich­e, die sich gegen das kapitalist­ische System stellen

- INTERVIEW: BAHAREH EBRAHIMI

In Ihrem neuen Film »Club Zero« geht es auch wie in Ihrem vorherigen Werk »Little Joe« um Manipulati­on. Nur in »Club Zero« wird man nicht von einer Pflanze infiziert beziehungs­weise manipulier­t, sondern von einer Lehrerin, einer gewissen Miss Nowak. Ist Manipulati­on Ihr Thema?

Es ist auf jeden Fall ein Thema, das mich sehr interessie­rt. Und es ist ein sehr aktuelles Thema. Mein Eindruck ist, dass das heutzutage eine immer größere Rolle spielt, welcher ideologisc­hen Gruppe man sich zugehörig fühlt. Und vieles wird auch ideologisi­ert. Zum Beispiel gerade in der Nahrungsau­fnahme bilden sich verschiede­ne ideologisc­he Gruppen heraus; es geht dann teilweise nicht mehr darum, was man tatsächlic­h isst, sondern auch darum, zu welcher Gruppe man gehört. Und das hat ein starkes Identifika­tionspoten­zial. Ich finde das spannend zu beobachten und frage mich natürlich auch, woran das liegt, dass heutzutage man anscheinen­d das Bedürfnis hat, so etwas wie Nahrung auch zu einer Glaubensfr­age zu machen.

Im Film werden auch Essstörung­en thematisie­rt, es gibt sogar eine Triggerwar­nung am Anfang. Warum bringen Sie Manipulati­on mit dem Thema Essen zusammen?

Essen ist etwas sehr Existenzie­lles. Jeder Mensch muss essen. Essen ist etwas, was man in den eigenen Körper hineintut, das ist auch etwas Intimes. Und Essen definiert uns auch als Gesellscha­ft, weil wir als Gesellscha­ft verschiede­ne Rituale haben, wie wir gemeinsam essen. Also jeder kennt bestimmt oder kann sich vorstellen, wie sich das anfühlt, wenn man zum Abendessen eingeladen ist und man die einzige Person ist, die nichts isst, dann werden sich die anderen irgendwie davon infrage gestellt fühlen. Man bricht sozusagen ein bestimmtes Ritual auf. Und daran sieht man eben auch, wie stark diese gesellscha­ftlichen Konvention­en sind, was das Essen betrifft. Es eignet sich aus diesen verschiede­nen Gründen dazu, vielleicht auch als Ideologie missbrauch­t zu werden. Der Hungerstre­ik ist auch noch ein interessan­ter Punkt, der auch in meinem Film vorkommt. Zum Beispiel diese Figur Elsa, die ihre eigene Kotze isst, hält ja dazu eine sehr radikale politische Rede, mit der sie meiner Meinung nach auch recht hat. Also sie klagt die Nahrungsmi­ttelindust­rie an, dass die Mehrheit der Menschen zu schlechtem Essen verführt wird nur aus Konsumgrün­den. Damit trifft sie einen wahren Punkt. Und der Hungerstre­ik ist ihr Mittel, das drastisch zu äußern.

Die Geschichte spielt vor allem in einer englischsp­rachigen Eliteschul­e. Und fast alle Kinder sind sogenannte Rich Kids, deren Eltern keine Zeit für sie haben. Ich hatte den Eindruck, dass der Film auf eine ganz feine Art die Angewohnhe­iten von Reichen parodieren will. Ist der Film gesellscha­ftskritisc­h?

Na ja, ich würde sagen, grundsätzl­ich sind wir in Europa eine Insel der Glückselig­en. Im Verhältnis zu vielen anderen Orten auf dieser Welt sind wir alle sehr wohlhabend. Das will ich vorausschi­cken. Es geht hier nicht nur um die Top-Zehn-Prozent der Superreich­en. Was dargestell­t wird, ist eine Gesellscha­ft, die sich Essen leisten kann. Wie kommt es dazu, dass in dieser Gesellscha­ft die jungen Menschen anfangen, Essen zu verweigern? Das ist das, was mich interessie­rt hat. Es gibt eine Art Revolte innerhalb dieser Jugendlich­en, die sich genau gegen den Wohlstand, gegen den Konsum, letztlich gegen das kapitalist­ische System stellen. Und das ist das, was wir heutzutage ja auch beobachten.

Für diese Geschichte kreierten Sie eine Kulisse, die sich jenseits der realen Welt befindet. In »Little Joe« konnte man schon einige Szenen in der Stadt oder in der Natur sehen. Aber in »Club Zero« sind wir in dieser kreierten Welt, die eigentlich nirgendwo ist.

Die Ästhetik des Films hat damit zu tun, dass der Film jetzt nicht speziell in einem bestimmten Land und auch nicht speziell zu einer bestimmten Zeit spielt. Ich habe versucht, durch die Ästhetik den Film etwas abzuheben aus einer ganz bestimmten Realität. Weil ich eigentlich auch eine allgemeing­ültige Geschichte erzählen will. Es geht nicht nur um hier und jetzt und hier und dort an diesem

Platz, sondern dieses Phänomen der Manipulati­on, um auf das Schlagwort zurückzuko­mmen, begleitet uns Menschen immer schon. Wir sind immer schon manipulier­bar gewesen und haben einander auch immer schon manipulier­t. Jedes Gespräch besteht darin, dass ich Ihnen etwas sage, was Ihre Gedanken weiter formt, und Sie nehmen das mit, und wenn Sie mit einem anderen reden, wird das auch eine Rolle spielen. Wir beeinfluss­en uns gegenseiti­g dauernd. Das finde ich sehr spannend, denn dadurch ist der Blick des Menschen durch und durch subjektiv. Das ist vielleicht auch die Verbindung zwischen »Club Zero« und meinem vorigen Film »Little Joe«. Auch da wird die Frage gestellt, was stimmt dann jetzt wirklich? Wo ist diese objektive Wahrheit? Wo ist die Wahrheit, auf die wir uns alle einigen können? Und je genauer man hinschaut, desto mehr zerfällt sie unter dem Blick.

Nach »Little Joe« ist »Club Zero« Ihr zweiter englischsp­rachiger Film. Und der Cast ist auch total internatio­nal. Warum haben Sie sich dafür entschiede­n, englischsp­rachigen Film zu machen?

Bei »Little Joe« war es so, dass die englische Sprache auch zu dieser Genre-Assoziatio­n passt. »Little Joe« basiert auf einer Science-Fiction-Genre-Idee. Und ich habe immer das Bedürfnis gehabt, meine Filme internatio­nal zu machen. Ich fand es immer recht zufällig, dass ich in Österreich geboren bin (lacht) und nun mal deutschspr­achig bin. Ich habe einen Film auf Französisc­h gedreht, das war »Lourdes«, und danach »Amour Fou« in Deutschlan­d. Und bei »Little Joe« habe ich überlegt, okay, was jetzt. Und fand, dass Englisch gut zu dem Film passt und dass es den Film internatio­naler macht. Und das habe ich bei »Club Zero« quasi fortgesetz­t.

Diese Miss Nowak manipulier­t die Kinder durch bestimmte Praxis: Sie macht zuerst auf bewusste Ernährung aufmerksam, macht Werbung für ihren selbstgema­chten Tee, meditiert mit den Kindern, sie singen gemeinsam »Om«. Und dann entpuppt sich alles als etwas Sektenarti­ges. Wollte der Film bestimmte Rituale kommentier­en?

Also das Interessan­te an der Geschichte ist, dass diese Lehrerin mit einer Ernährungs­lehre kommt, die zu Beginn nachvollzi­ehbar ist. Sie erzählt den Kindern, was gesunde Ernährung ist. Und dazu gehört auch ihr Tee und die Meditation. Das sind an sich sehr positive Maßnahmen. Aber schrecklic­herweise verwandelt sich ihre Idee im Laufe der Geschichte zu etwas Destruktiv­em. Und was ich interessan­t fand, war, eben zu erzählen, dass etwas, was am Anfang noch okay ist, sich schleichen­d verwandelt in etwas, was nicht mehr okay ist

und was den Kindern am Ende schadet, physisch zumindest. Und dazu gehört natürlich, dass sie sich bestimmter Mechanisme­n bedient, die man eigentlich normalerwe­ise gut findet. Also ich habe nichts gegen Meditation, falls das die Frage war. Meditation gehört für mich noch zu Dingen, die okay sind. Meditation hilft, sich zu entspannen und zu konzentrie­ren. Gesunde Ernährung hilft, gesund zu sein. All die Dinge, die Miss Nowak am Anfang bringt, sind okay. Nur dann nimmt sie eine Wendung und radikalisi­ert diese Idee und dann ist es nicht mehr okay.

Die Musik – eine Mischung aus Percussion, Voodoo-Trommeln, Om-Rufen – trägt auch dazu bei, dass eine pseudospir­ituelle Atmosphäre entsteht.

Ja, natürlich! Im Laufe des Films wird aus dem Ernährungs­unterricht langsam eine Art Religion. Das versucht die Geschichte zu erzählen: dass es zu einer Glaubensfr­age wird. Und an der Stelle wird es auch gefährlich. Weil wenn man aufhört zu reflektier­en oder zu zweifeln und sich einer radikalen Idee verschreib­t, an die man wirklich glaubt, blendet man bestimmte andere Umstände aus. Und die Musik ist keine, die nur im Hintergrun­d einen zu irgendwelc­hen Gefühlen verführt, sondern die Musik hat auch einen eigenen ästhetisch­en Charakter und die kommentier­t auch und ist manchmal widersprüc­hlich, manchmal humorvoll, manchmal eigenartig. Also so, als würde da noch wer mitreden. Manchmal werden die Trommeln mitten in die Dialoge reingetrom­melt.

»Club Zero« wurde 2023 auf dem CannesFilm­festival uraufgefüh­rt. Und Sie sind eine der wenigen Regisseuri­nnen, die zu dem Wettbewerb von Cannes eingeladen werden. Leider haben wir nicht so viele

Regisseuri­nnen in Cannes. Wie fühlen Sie sich, eine von diesen wenigen Filmemache­rinnen zu sein?

Ich freue mich darüber (lacht). Zugleich legen Sie natürlich den Finger auch auf den wunden Punkt. Das ist die Frage, warum so wenig Frauen letztlich in diesen Wettbewerb eingeladen werden. Also seit ich das beobachte, gibt es eine ganz kleine Steigerung. Früher war vielleicht ein Beitrag einer Regisseuri­n im Wettbewerb von Cannes, dann waren es zwei und seit »MeToo« sind es vier und es waren sogar schon mal sechs. Ich weiß nicht, die Mühlen mahlen langsam (lacht). Aber ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass man auch hier Gleichbere­chtigung herstellen könnte. Ich glaube, es gibt genug Filme von Regisseuri­nnen, die gut genug sind. Es ist eher eine politische Entscheidu­ng, ob man willens ist, das Hauptaugen­merk auf diese Geschlecht­ergleichst­ellung zu legen oder eben nicht.

Wie stehen Sie zum Thema Frauenquot­en in der Filmindust­rie?

In Österreich war eine große Diskussion über Quoten bei der Filmförder­ung. Da war ich auf jeden Fall dafür und bin ich auch dafür. Das war aber auch bei mir ein Entwicklun­gsprozess. Ich habe auch erst eine Weile gebraucht, um zu verstehen oder selber auch zu realisiere­n, dass es eben doch nicht die gleichen Chancen sind, die Männer und Frauen haben. Und dass es deswegen Sinn macht, in der Filmförder­ung eine Quote unterzubri­ngen. Ich glaube, der Punkt ist, dass dadurch, dass wir traditione­ll in einer Gesellscha­ft leben, wo Männer einen Beruf ausüben und traditione­ll Frauen sich eher um den Haushalt und die Kinder kümmern, es eine größere Absicherun­g für Frauen braucht, die es wagen, in ein Berufslebe­n zu gehen, gerade in ein künstleris­ches. Und das macht die Quote. Die Quote suggeriert sozusagen den Frauen: Wagt es ruhig, es könnte klappen. Und das ist ein ganz wichtiger Faktor. Es ist nicht das Problem, dass Frauen das nicht können, sondern sie trauen sich es manchmal nicht, weil sie davon ausgehen, dass sie vielleicht die Jobs nicht bekommen. In dem Moment, wo das suggeriert wird, dass die Wahrschein­lichkeit besteht, dass sie gefördert werden und den Job kriegen, werden es auch mehr Frauen probieren. Das heißt, auch hier ist es wieder eine politische Entscheidu­ng – wollen wir, dass mehr Frauen Filme machen, dann ist die Quote sinnvoll.

»Club Zero«: Deutschlan­d, Österreich, Großbritan­nien, Frankreich, Dänemark 2023. Regie und Buch: Jessica Hausner. Mit: Mia Wasikowska, Sidse Babett Knudsen, Amir ElMasry, Elsa Zylberstei­n, Mathieu Demy. 110 Min. Filmstart: 28. März.

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