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Zerrissen zwischen Kritik und Treue

Marga Voigt und Jörn Schütrumpf haben die Revolution­sbriefe der Clara Zetkin gesichtet

- REINER TOSSTORFF

Nach der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1919 war es Clara Zetkin, die die Kontinuitä­t vom linken Flügel in der Vorkriegs-SPD zu der aus der Anti-KriegsOppo­sition hervorgega­ngenen, zum Jahreswech­sel 1918/19 gegründete­n KPD repräsenti­erte. Dabei hatte die Pionierin der proletaris­chen Frauenbewe­gung vor dem Weltkrieg den Schritt zur KPD mit einem gewissen Zögern vollzogen. Trotz aller inhaltlich­en Übereinsti­mmung mit den Begründern der KPD hatte sie gehofft, noch mehr Kräfte aus der 1917 gegründete­n Unabhängig­en Sozialdemo­kratischen Partei (USPD) für die Politik der radikalen Linken zu gewinnen. So ging sie den Schritt zur neuen Partei erst im Frühjahr 1919. Eine Rolle mag dabei auch gespielt haben, dass die in Stuttgart Lebende mit ihren 61 Jahren gesundheit­lich angeschlag­en war. Damit stand sie auch nicht für die zentrale Parteiführ­ung zur Verfügung; der Vorsitz der Partei wurde schließlic­h von Paul Levi übernommen. Doch gehörte sie natürlich zur erweiterte­n Führungsgr­uppe, deren Wort gehört wurde. Das galt auch auf internatio­naler Ebene, auf vielen Tagungen der Kommunisti­schen Internatio­nale in Moskau vertrat sie die KPD. Zu Lenin pflegte sie einen intensiven Kontakt.

Von ihren zahlreiche­n Aktivitäte­n legt nicht nur ihre umfangreic­he Publizisti­k Zeugnis ab, allem voran in der von ihr seit 1892 geleiteten sozialdemo­kratischen

Frauenzeit­ung »Die Gleichheit«, bis ihr der SPD-Parteivors­tand die Chefredakt­ion im Weltkrieg entzog. Auch zahlreiche Briefe sind überliefer­t. Sie werden für die Zeit ab Weltkriegs­beginn bis zu ihrem Tod 1933 in einer mehrbändig­en Sammlung sorgfältig ediert herausgege­ben.

2016 erschien ein erster, 500-seitiger Band, herausgege­ben von Marga Voigt, über die Zeit von 1914 bis 1918. Nun liegt ein zweiter vor: zur Frühzeit der KPD von 1919 bis 1923; als Herausgebe­r stieß Jörn Schütrumpf hinzu, der in den letzten Jahren bereits eine umfangreic­he Werkausgab­e von Paul Levi betreut hat. Obwohl jener schon einer anderen Generation als Zetkin angehörte – er war 26 Jahre jünger als sie –, kreuzten sich ihre Wege seit der unmittelba­ren Vorkriegsz­eit immer wieder. Ihr politische­s Wirken war bis 1922 eng miteinande­r verflochte­n, um dann allerdings auseinande­rzudriften.

»Unter den Bolschewik­i« hat Schütrumpf seine Einleitung überschrie­ben. Das ist quasi auch der Tenor der Zetkins Briefe an die unterschie­dlichsten Adressaten. Angesproch­en werden Probleme, die den widersprüc­hlichsten »Kinderkran­kheiten« der jungen kommunisti­schen Parteien verschiede­ner Länder entsprange­n. Sie ergaben sich zum einen aus den Versuchen, die in Russland erfolgreic­hen Bolschewik­i mit einer eigenen Revolution nachzuahme­n, ohne Rücksicht darauf, ob es vergleichb­are Bedingunge­n gab oder nicht. Zum anderen aus dem Druck, der von den siegreiche­n Bolschewik­i auf die internatio­nale Arbeiterbe­wegung ausging, auf dass sie nicht länger in einer feindliche­n kapitalist­ischen Umwelt alleine dastünden.

So ließ sich die KPD-Führung 1921 zur berüchtigt­en »Märzaktion« hinreißen, ermuntert von Emissären aus Moskau. Ein halbes Jahr zuvor war die KPD durch den Zusammensc­hluss mit der linken USPD zu einer Massenorga­nisation aufgestieg­en. Nun riskierte man, dies wieder zu verspielen. Der sich daraus innerhalb der KPDFührung wie auch mit der Führung der bolschewis­tischen Partei ergebende Konflikt ist vielleicht das gewichtigs­te Problem, das in diesen Band aufscheint. Clara Zetkin zählte zu den schärfsten Kritikern des Abenteuers. Doch im Unterschie­d zu Levi war sie deshalb nicht zum Bruch mit der Partei bereit. Letztlich stand für sie die Bewahrung der Einheit der Partei, gerade auch angesichts staatliche­r Verfolgung­en. Die offensicht­lichen Konflikte wurden durch zahlreiche Kompromiss­en überdeckt. Diese fatale Tendenz auch im Verhalten von Clara Zetkin sollte sich in der Folge noch verstärken. Die Revolution der Bolschewik­i, die einzig erfolgreic­he, war zu bedeutsam, um sich von ihr abzuwenden.

In diesem Briefband geht es des Weiteren um das politische Vermächtni­s Rosa Luxemburgs sowie den ersten politische­n Prozess in Moskau gegen die ehemalige Führung der Sozialrevo­lutionäre, um die Ereignisse des gescheiter­ten »Deutschen Oktober«, den – letzten – Revolution­sversuch der KPD im Krisenjahr der Weimarer

Demokratie 1923. Im selben Jahr hat Clara Zetkin noch die neue Erscheinun­gsform der Konterrevo­lution in Gestalt des Faschismus in Italien analysiert. Viele ihrer Einsichten wurden dann aus politische­n Gründen von der Führung der Kommunisti­schen Internatio­nale ignoriert. Natürlich geht es in den Briefen auch um private Belange. Kurzum: Dieser Band ist ausgezeich­net ediert, wozu profunde Erläuterun­gen sowie zeitgenöss­ischer Dokumente gehören.

Clara Zetkin. Die Briefe 1914–1933. Bd. II: Die Revolution­sbriefe (1919–1923). Hg. v. Marga Voigt u. Jörn Schütrumpf. Karl Dietz, 735 S., geb., 49 €.

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