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Eine Kugel für den Nazi

Im Rahmen des Festivals Internatio­nale Neue Dramatik an der Berliner Schaubühne fragt der Regisseur Tiago Rodrigues danach, wie mit Rechtsextr­emen umzugehen ist: Aushalten oder wegballern?

- ERIK ZIELKE

Die Familie kommt zusammen, drei Generation­en. Irgendwo auf dem Land, im Süden Portugals. Korkeichen wachsen, viele Korkeichen. Das Ganze hat etwas Idyllische­s. Und doch gibt es die alten Konflikte und kleinen Reibereien. So ist Familie. Aber die starke Verbindung zwischen den acht – nennen wir sie alle Catarina – ist wirklich nicht zu leugnen.

»Catarina e a beleza de matar fascistas« (Catarina und die Schönheit, Faschisten zu töten) heißt der Theaterabe­nd des portugiesi­schen Regisseurs und künstleris­chen Leiters des berühmten Festivals in Avignon, Tiago Rodrigues, der beim Festival Internatio­nale Neue Dramatik an der Schaubühne am Lehniner Platz zu sehen war und ein hörbar irritierte­s Publikum zurückließ.

Jedes Jahr tötet ein Familienmi­tglied einen Faschisten. Das ist Gerechtigk­eit.

Catarina Eufémia, so erfahren wir im Laufe der Vorstellun­g, war eine einfache Landarbeit­erin, die wegen ihres Kampfes für bessere Arbeitsbed­ingungen 1954 von Schergen der Salazar-Diktatur getötet wurde. Seit diesem Tag eint die Familie, die wir auf der Bühne begleiten, ein Vermächtni­s. Jedes Jahr tötet ein Familienmi­tglied einen Faschisten, dessentweg­en eine unschuldig­e Frau sterben musste. Das ist Gerechtigk­eit, das ist familiäre Pflicht. Jedes Jahr wird ein jedes Familienmi­tglied zu einer Catarina. Jedes Jahr wird ein Leichnam vergraben und eine Korkeiche gepflanzt. Mehr als 70 Bäume zieren mittlerwei­le den Hain.

Eine junge Catarina, sie gehört der vierten Generation an, soll in diesem Jahr das erste Mal zur Pistole greifen. Sie hat einen

Parlaments­abgeordnet­en hinters Licht geführt und bringt ihn aufs Land. Aber – sie kann es nicht. Hier beginnt der Konflikt der Generation­en. Hier stellt sich die Frage nach der Verantwort­ung des Einzelnen. Was ist Familienba­nde? Was ist Antifaschi­smus?

Rodrigues zeichnet klare, lebendige Figuren. Seine Dialoge kommen den Spielern leicht über die Lippen. Sein großer Stoff, der unter anderen Vorzeichen für

eine groteske Komödie getaugt hätte, hat das Format zur Tragödie.

Das Zögern und Streiten wird bestraft. Diejenigen, die Jahr um Jahr für die gute Sache getötet haben, werden bald selbst von Kugeln getroffen. Der Faschist überlebt.

nd Und nach zwei kurzweilig­en Stunden, in denen wir mit all den Catarinas und Positionen Bekanntsch­aft machen durften, ergreift für kaum erträglich­e 25 Minuten ein Nazi das Wort.

Mit dem Ruf nach Recht und Ordnung geht es los. Die Worte werden schärfer, der Ton lauter, die Forderunge­n radikaler. Was wir hören, ist bald nur noch Faschismus in Reinform. Aber hier ist keine Catarina, uns von diesem Elend zu erlösen. Das Publikum ist ratlos. Einige gehen, einige pfeifen. Es wird gebuht, das Buhen verklingt wieder. Erneut gibt es Zwischenru­fe, dieses Mal lauter. Allerdings – der Faschist wird nicht schweigen, bis er gesagt hat, was er sagen will. Die Inszenieru­ng fragt überlaut, wie mit Faschisten umzugehen ist – und sie verweigert jede Antwort. Zur Waffe greifen kann man schließlic­h nicht. Kann man es doch? Wer aber die extreme Rechte gewähren lässt, wird auch mit anhören müssen, was doch niemand mehr hören wollte. Viel mehr, als äußerst unbequeme Fragen auf diese zwingende Art zu stellen, kann Theater kaum leisten.

 ?? ?? Familie ist nie nur einfach – auch nicht unter Antifaschi­sten.
Familie ist nie nur einfach – auch nicht unter Antifaschi­sten.

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