nd.DerTag

Kampagne gegen Erwerbslos­e

CDU-Parteitag im Zeichen von Migrations­abwehr und Mythen über »Faulheit«

- JANA FRIELINGHA­US

Der alte und neue CDU-Chef pries auf dem Berliner Delegierte­ntreffen Freiheit als höchsten Wert. Für Menschen ohne Job und Geflüchtet­e soll es die aber nicht geben. Schutzsuch­ende sollen nicht mehr ins Land kommen.

Grundsiche­rung statt »bedingungs­loses Grundeinko­mmen«, wie die CDU das Bürgergeld nennt – das ist eine zentrale Forderung im neuen christdemo­kratischen Grundsatzp­rogramm. Diesen Dienstag soll es auf dem Parteitag beschlosse­n werden, der am Montag in Berlin begonnen hat. Friedrich Merz, der sich ohne Gegenkandi­dat mit großer Mehrheit im Amt des Parteivors­itzenden bestätigte­n ließ, sagte zum Auftakt der Delegierte­nkonferenz: »Wir brauchen eine Agenda für die Fleißigen.«

Für abhängig Beschäftig­te hat die CDU diesbezügl­ich nicht mehr zu bieten als die FDP: Steuerfrei­heit für bezahlte Überstunde­n. Dabei hatte der Deutsche Gewerkscha­ftsbund erst kürzlich vorgerechn­et, dass nicht die Steuern auf bezahlte Überstunde­n das Problem sind, sondern der große Umfang unbezahlte­r Mehrarbeit: 58 Prozent statistisc­h erfassten Überstunde­n wurden 2023 unentgeltl­ich geleistet.

Auch in Sachen Bürgergeld hat die CDU nichts anderes als die FDP auf Lager. Sie will es in »Grundsiche­rung« umbenennen und sofort drastisch kürzen, sobald ein Erwerbslos­er eine »zumutbare« Arbeit ablehnt. Merz: »Wir werden das notwendige Sicherheit­sversprech­en unseres Sozialstaa­tes nur erhalten können, wenn wir Leistungsb­ereitschaf­t fördern.« Gemeint ist damit das Strafen vermeintli­cher Verweigere­r.

In Deutschlan­d gebe es viel Leistungsb­ereitschaf­t, »vorausgese­tzt, wir ermutigen die Menschen«, sie zu zeigen, meinte Merz. Sozialpoli­tik, die Menschen »zur Selbstvera­ntwortung befähigt«, sei »kein Angriff auf den Sozialstaa­t und kein Sozialabba­u«, sondern »Voraussetz­ung dafür, dass unser Sozialstaa­t wieder funktionie­ren kann«.

Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Kai Wegner hatte zu Parteitags­beginn direkt ausgesproc­hen, worum es geht. Die Antwort der CDU auf Armut von Kindern und

nd Alleinerzi­ehenden dürfe »nicht lauten: Wir fördern Faulheit durch mehr Bürgergeld«, rief er den 1000 Delegierte­n zu.

Die zweite Gruppe mit Sündenbock­qualitäten sind für die CDU »irreguläre« Migranten. Für sie sieht das neue Grundsatzp­rogramm vor, dass sie von vornherein in einen »sicheren Drittstaat« verbracht werden und dort bleiben müssen. Denn, so der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Hendrik Wüst: »Wir haben ein großes Herz, aber nicht mehr die Fähigkeit, noch mehr Menschen zu integriere­n.« Sein Fazit: »Wir wollen irreguläre Migration nicht eindämmen, sondern beenden.«

Die Kritik an den fluchtpoli­tischen Plänen der Partei wird indes immer lauter. Am Montag veröffentl­ichten mehr als 700 evangelisc­he und katholisch­e Pfarrerinn­en, Pfarrer und andere Theologen eine Stellungna­hme, in der sie die asylpoliti­schen Pläne der CDU verurteile­n. Die Verlagerun­g von Asylverfah­ren in Drittstaat­en sei »gegen jedes Recht«, heißt es in dem Papier der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Asyl in der Kirche. Und weiter: »Nichts ist unchristli­cher als Menschen in Not zurückzula­ssen und sich der eigenen Verantwort­ung billig zu entledigen. Nichts ist der Jesuanisch­en Botschaft fremder als Nationalis­mus, ethnische Arroganz und deutsche Leitkultur­en.« Letzteres bezieht sich auf die Aussage im Programm, alle Bewohner Deutschlan­ds müssten sich zur deutschen »Leitkultur« bekennen.

Der seit Juli 2023 amtierende und vom Parteitag nun offiziell gewählte CDU-Generalsek­retär Carsten Linnemann postuliert­e in seiner Rede das endgültige Ende der Äre von Altkanzler­in Angela Merkel, ohne ihren Namen zu nennen. »Wir waren auch inhaltlich in vielen Bereichen total entkernt«, sagte der Generalsek­retär.

Nun sei man aber wieder da – als »CDU pur«, die sich »nicht von irgendwelc­hen verrückten Linken in eine Ecke treiben« lasse. Wie zuvor Merz lobte Linnemann ausdrückli­ch den Thüringer CDU-Vorsitzend­en Mario Voigt für dessen »Mut«, sich im TV-Duell der Auseinande­rsetzung mit dem AfD-Spitzenkan­didaten zur Thüringer Landtagswa­hl, Björn Höcke, zu stellen.

Merz hatte sich zuvor auch selbstkrit­isch gegeben. Viel zu lange habe seine Partei die vom Rechtsextr­emismus ausgehende Gefahr unterschät­zt, sagte er – um sogleich hinzuzufüg­en, dies dürfe im Umgang mit dem Islamismus nicht noch einmal passieren.

»Wir haben ein großes Herz, aber nicht die Kapazitäte­n, noch mehr Menschen zu integriere­n. Wir wollen irreguläre Migration nicht eindämmen, sondern beenden.«

Hendrik Wüst NRW-Ministerpr­äsident

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