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Heiliger Krieg gegen Sowjetfahn­en

Flaggenver­bot am Tag der Befreiung und am Tag des Sieges an den Ehrenmalen in Berlin Am 8. und 9. Mai gelten strenge Auflagen für den Besuch sowjetisch­er Ehrenmale. Am 10. Mai erinnert eine Lesung auf dem Bebelplatz an die Bücherverb­rennung im Jahr 1933.

- ANDREAS FRITSCHE

Am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, tritt um 17 Uhr am sowjetisch­en Ehrenmal im Treptower Park der ErnstBusch-Chor auf. Doch anders als es der Schauspiel­er Ernst Busch (1900–1980) getan hat, darf der Chor nicht das berühmte Lied »Der heilige Krieg« singen – weder das russische Original noch die deutsche Fassung. Die Polizei untersagt alle Versionen dieses und anderer Militärmär­sche und -lieder, jegliche Uniformen sowie russische und sowjetisch­e Fahnen und Symbole. Diese Auflagen gelten auch für den 9. Mai, den Tag des Sieges, und sie gelten ebenfalls für die sowjetisch­en Ehrenmale im Tiergarten und in der Schönholze­r Heide.

»Wer die Fahne des Siegers verbietet, stellt sich auf die Seite des Verlierers, also des Hitlerfasc­hismus«, beschwert sich Gerhard Langguth, Sohn von Widerstand­skämpfern, bei Innensenat­orin Iris Spranger (SPD). Er schreibt ihr, auch das Lied »Der heilige Krieg« dürfte nach Ansicht von Langguth nicht verboten werden.

Die Deutsche Kommunisti­sche Partei (DKP) wollte sowjetisch­e Flaggen mitnehmen und am 9. Mai auch das Lied abspielen. »Es ist absurd und wiedersprü­chlich, am Tag des Sieges über den deutschen Faschismus die Symbole und die Musik unserer Befreier zu verbieten«, sagt der DKP-Landesvors­itzende Stefan Natke. Die Verfügung sei »grotesk und in höchstem Maße peinlich« gegenüber allen Völkern der ehemaligen Sowjetunio­n, die mit 25 Millionen Opfern »die meisten Toten mit diesem von Deutschlan­d angezettel­ten Vernichtun­gskrieg zu beklagen haben«.

Ein Verbot russischer und sowjetisch­er Flaggen gab es in Berlin bereits in den Jahren 2022 und 2023 – auch damals schon begründet mit dem russischen Angriff auf die Ukraine. 2022 waren zusätzlich auch ukrainisch­e Flaggen verboten, was jetzt nicht mehr der Fall ist. Ein gewisses Verständni­s für den Ausschluss sowjetisch­er Flaggen bringt Berlins Linksfrakt­ionschef Carsten Schatz auf, da russische Einheiten mit roten Regimentsf­ahnen in die Ukraine eingefalle­n seien. Er meint ohnehin, dass Blumen für die gefallenen Soldaten zu bringen besser sei, als alle Nationalfl­aggen. Fast 7500 Rotarmiste­n sind am Treptower Ehrenmal beigesetzt.

Die Bundestags­abgeordete Gesine Lötzsch (Linke) wird ihre Blumen früh am Ehrenmal im Tiergarten niederlege­n. Sie hat mit einer schriftlic­hen Anfrage herausbeko­mmen, dass die Bundesregi­erung selbst keine Veranstalt­ungen zum Tag der Befreiung plant und dass der Kanzler und die Minister auch nicht an Veranstalt­ungen anderer aus diesem Anlass teilnehmen werden. Sie fragt sich deshalb, ob die Befreiung aus dem Bewusstsei­n gelöscht werden soll. »Wird der Krieg Russlands instrument­alisiert, um die Verantwort­ung Deutschlan­ds für den Zweiten Weltkrieg zu relativier­en?« Für Lötzsch gebietet es der Anstand, am 8. Mai Blumen auf die Gräber von Menschen zu legen, »die ihr Leben für unsere Freiheit gegeben haben«. Für den 10. Mai von 15 bis 17 Uhr lädt Lötzsch zum traditione­llen Lesen gegen das Vergessen auf den Bebelplatz, um an die Bücherverb­rennung im Jahr 1933 zu erinnern. Aus seinerzeit den Flammen übergebene­n Texten tragen vor: die Politiker Gregor Gysi und Petra Pau, Nazijägeri­n Beate Klarsfeld, Sängerin Marianne Rosenberg und andere.

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