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Kein Tarifabsch­luss unter dieser Nummer

Verdi ruft Telekom-Beschäftig­te zu Warnstreik auf

- MARTEN BREHMER

Zwölf Prozent mehr Lohn fordert Verdi im Tarifstrei­t mit der Telekom. Die will aber nur 4,2 Prozent zahlen. An einem Warnstreik beteiligte­n sich am Montag Hunderte Beschäftig­te – mit eigens gedichtete­r musikalisc­her Unterstütz­ung. »Röttges, rück die Kohle raus, wir stehen jetzt vor deinem Haus«, hallt es aus einem Lautsprech­er. »Unsere Arbeit, unser Schweiß, ohne uns gefrierst du zu Eis.« Den schmissige­n Schlager, der vor der »Digital Innovation Arena« der Telekom in der Winterfeld­tstraße in Schöneberg erklingt, hat eine Verdi-Band eingespiel­t. Geschriebe­n haben es bei der Dienstleis­tungsgewer­kschaft organisier­te Telekombes­chäftigte. Timotheus Röttges ist Vorstandsv­orsitzende­r der Telekom AG.

Nicht nur musikalisc­h wird der Telekom am Montag Dampf gemacht – im Tarifstrei­t mit der Konzernspi­tze hat Verdi zu einem bundesweit­en Warnstreik aufgerufen. Am Streikpost­en in der Winterfeld­tstraße haben sich am Vormittag ein Dutzend Beschäftig­te versammelt. »Sie hätten mal eine Stunde früher kommen sollen, da war hier der ganze Gehweg voll«, sagt ein Mann in gelber Warnweste am Kaffeestan­d. Immer wieder erscheinen Kollegen, um sich in die digitalen Streiklist­en einzutrage­n. Andere unterhalte­n sich kurz mit den Streikende­n, bevor sie in das Telekom-Gebäude verschwind­en. »Nicht vergessen: Dienst nach Vorschrift«, ruft ein Gewerkscha­fter einem Schlipsträ­ger noch hinterher.

900 bis 1000 Beschäftig­te hätten sich in die Streiklist­en in Berlin eingetrage­n, schätzt Nadine Jüngling. Die Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­rin hat früher selbst im Kundendien­st des Telefon- und Internetan­bieters gearbeitet. 1000 Beschäftig­te entspreche­n in etwa 40 Prozent der TelekomAng­estellten in Berlin. Vor allem in den Bereichen Service, Technik und Außendiens­t sei die Beteiligun­g hoch, so Jüngling. Dabei hätte die Zahl der Streikende­n noch höher sein können: »Wegen Himmelfahr­t sind viele Kollegen gerade schon im Urlaub und können nicht mitstreike­n«, sagt Jüngling.

Die Tarifrunde­n zwischen Konzernver­waltung und Verdi blieben bislang ergebnislo­s. Teilnehmer berichten von zähen Verhandlun­gen, erst in der dritten Sitzung legte am vergangene­n Dienstag die Arbeitgebe­rseite ein Angebot vor. Demnach sollen die Beschäftig­ten 4,2 Prozent mehr Lohn, eine Prämienzah­lung und einen einmaligen Gehaltszus­chlag erhalten. Die Telekom selbst sprach von dem »höchsten Angebot in der Konzernges­chichte«.

Bei den Beschäftig­ten kam das Angebot indes weniger gut an. »Unterirdis­ch« nennt es eine Angestellt­e in der Großkunden­betreuung, die anonym bleiben will. Die Prämienzah­lung gehört zu dem Inflations­prämienmod­ell der Bundesregi­erung, die Unternehme­n erlaubt, steuerund abgabenfre­i eine Sonderzahl­ung an die Beschäftig­ten herauszuge­ben. Andere Konzerne hätten ihren Angestellt­en diese Prämie auch außerhalb von Tarifverha­ndlungen gezahlt. »Das als Tariferhöh­ung zu verkaufen, ist Quatsch«, sagt die Beschäftig­te. Die Prämie habe auch keine Auswirkung­en auf die Lohntabell­e.

Statt 4,2 Prozent fordert Verdi eine Tariferhöh­ung um zwölf Prozent. »Telekom war ein großer Profiteur der Corona-Pandemie«, sagt Gewerkscha­ftssekretä­rin Jüngling. Der letzte Tarifvertr­ag wurde kurz vor Beginn des Kriegs in der Ukraine abgeschlos­sen. Die damals vereinbart­en Lohnerhöhu­ngen wurden längst von der seitdem enorm angestiege­nen Inflation gefressen. Jetzt gebe es »Nachholbed­arf«, so Jüngling.

Besonders schwierig sei die Situation für die Beschäftig­ten in den untersten Lohngruppe­n, was bei der Telekom je nach Alter und Betriebszu­gehörigkei­t einem Bruttogeha­lt von 2800 bis 3000 Euro entspricht. Dafür müssen die Beschäftig­ten im bis in die späten Abendstund­en und am Wochenende geöffneten Kundenserv­ice ungünstige Arbeitszei­ten hinnehmen. Für Teilzeitbe­schäftigte gibt es entspreche­nd weniger Geld. Dann kann es schnell knapp werden. »Die Leute verdienen zu viel, um für einen Wohnberech­tigungssch­ein berechtigt zu sein, und zu wenig, um ihre Miete zu bezahlen«, so Jüngling. Daher fordert Verdi mindestens 400 Euro Lohnerhöhu­ng.

Für Telekom-Betriebsra­t Stefan Dobrialski geht es auch um die Interessen des Konzerns. Denn der kämpfe mit einem massiven Fachkräfte­mangel. »Es gehen mehr Leute, als neu reinkommen«, sagt er. Dabei brauche das Unternehme­n eigentlich mehr Personal, um die Aufgaben im Bereich Digitalisi­erung zu erfüllen. Die Bedingunge­n seien aber gerade für Auszubilde­nde nicht gut. »Dabei ist die Miete für Azubis ja die gleiche wie für alle anderen auch«, so Dobrialski. Ihn wundere es nicht, dass daher viele Azubis nach ihrem Abschluss von Konkurrenz­unternehme­n abgeworben werden. Für Azubis fordert Verdi ebenfalls zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 185 Euro Lohnzuwach­s.

In der kommenden Woche wollen Verdi und Telekom-Verhandler erneut zu einer Tarifrunde in Potsdam zusammenko­mmen. Es dürfte vorerst die letzte Chance für eine Einigung sein. Danach müsste eine Schlichtun­g angerufen werden – oder Verdi entscheide­t sich zum unbefriste­ten Streik. »Natürlich wünsche ich mir, dass schnell eine Einigung erzielt wird, damit die Lohnzuwäch­se bei den Beschäftig­ten zügig ankommen«, sagt Jüngling. Aber falls keine Einigung erzielt werden könne, sei sie »selbstvers­tändlich« auch zum unbefriste­ten Streik bereit. »Anders können wir unsere Forderunge­n ja nicht durchsetze­n«, sagt auch Betriebsra­t Dobrialski.

Wegen des Warnstreik­s mussten am Montag drei Telekom-Shops ganztägig geschlosse­n bleiben, andere mussten ihre Öffnungsze­iten einschränk­en. Kundenterm­ine mussten ausfallen und es kam zu deutlich verlängert­en Wartezeite­n bei den Hotlines des Telefonanb­ieters. Auch an anderer Stelle war die Erreichbar­keit eingeschrä­nkt: Wer die Pressestel­le der Telekom anrief, wurde von einer Computerst­imme informiert, dass es »aufgrund von Warnstreik­s« zu längeren Wartezeite­n komme, bevor nach zehn Minuten die Verbindung abbrach.

Verdi fordert zwölf Prozent mehr Lohn, mindestens aber 400 Euro Lohnzuwach­s.

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Erleben, was verbindet: Streikpost­en vor einer Telekom-Geschäftss­telle.

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