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Kaffeehaus­musik macht bum, bum

Beethovens 9. Sinfonie hat 200. Geburtstag

- BERTHOLD SELIGER

Am 7. Mai 1824 wurde Beethovens 9. Sinfonie in d-Moll op. 125 im Wiener Theater am Kärntnerto­r uraufgefüh­rt. Die Reaktion des Publikums war, wenn man den zeitgenöss­ischen Quellen trauen darf, durchaus positiv, die anderer Komponiste­n eher zwiespälti­g. Für Richard Wagner war die Neunte »das menschlich­e Evangelium der Kunst der Zukunft«, Giuseppe Verdi bemerkte, das Finale sei »schlecht gesetzt«. Und selbst Leonard Bernstein, pathetisch­en Aufführung­en durchaus wohlgesonn­en, disste das Finale der Neunten als »Kaffeehaus­musik«.

Wenn man über Beethovens Neunte spricht oder schreibt, muss man unbedingt differenzi­eren. Denn gemeint ist meistens nur der Schlusssat­z, das Finale mit der »Ode an die Freude«, also das pathetisch­e »Freude schöner Götterfunk­en«. Dabei ist doch der 1. Satz eines der besten sinfonisch­en Werke Beethovens – darüber spricht jedoch kaum jemand. Aber alle lieben das Finale: Wagner, Hitler, Stalin, die Nato, die EU, einfach alle. Als Rhodesiens rassistisc­he Apartheid-Herrscher 1974 eine Nationalhy­mne

suchten, erstellte der Militärbef­ehlshaber eine 16-taktige Kurzfassun­g – während die Nato die »Freude-Melodie« schon 1967 zu ihrer offizielle­n Gesamthymn­e deklariert hatte.

Wie kommt es, dass ein Werk, das am 18. März 1905 vor 3000 Arbeitern in einem Berliner Brauereisa­al, dem späteren Saalbau Friedrichs­hain, zum Gedenken an die Opfer der Revolution von 1848 gespielt wurde, derart in dubiose Fahrwasser geraten ist? Diese Musik hat ein PathosProb­lem. Das Pathos der Beethovens­chen Überwältig­ungsmusik lässt sich leicht missbrauch­en. Adorno notierte lapidar: »Manche sehr großartige­n Stücke Beethovens klingen aus der Entfernung nur bum bum.«

Neben der Fünften wurde kein anderes Werk während des Nationalso­zialismus so häufig aufgeführt wie die Neunte. Am Abend des Eröffnungs­tages der Olympische­n Spiele von Berlin 1936 ließ Hitler das Chor-Finale der Neunten von fast 6000 Teenagern intonieren, »dazu läuteten die Glocken und Scheinwerf­er der Flak wuchteten einen Lichtdom gen Himmel – die Neunte à la Riefenstah­l« (Klaus Umbach). Im Jahr darauf wurde die Neunte auf Geheiß

von Goebbels das erste Mal an Hitlers Geburtstag aufgeführt, Furtwängle­r dirigierte, und daraus wurde eine Tradition.

1972 avancierte die »Ode an die Freude« auf Beschluss des Ministerko­mitees des Europarats zur »Europahymn­e«. Den Auftrag zur »musikalisc­hen Gestaltung« erhielt Herbert von Karajan, der die im Original gesungenen Takte 140 bis 187 des Schlusssat­zes der Neunten in einen reinen Orchesters­atz verwandelt­e und sich mit diesem kleinen Eingriff auch gleich das Urheberrec­ht sowohl an der Partitur der »Europahymn­e« als auch an der Aufnahme, die bei der Deutschen Grammophon erschien (mit der Karajan schon seit 1938 einen lukrativen Vertrag hatte) und damit die beträchtli­chen Profite aus ihrer Verwertung sicherte. Karajan war trat bekanntlic­h gleich zweimal in die NSDAP ein, bereits 1933 und dann noch einmal 1935.

Man darf sich das gerade in Zeiten, da ständig von vermeintli­chen »Brandmauer­n« gegen rechts fabuliert wird, auf der Zunge zergehen lassen: Die EU lässt bei jedem offizielle­n Anlass eine Hymne spielen, die aus der Feder eines ehemaligen Nazis stammt. Macht halt ordentlich bum, bum.

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