nd.DerTag

❚ Schwarze Bestie im roten Trikot

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Die »schwarze Bestie« war mal eine große Nummer im europäisch­en Fußballzir­kus. Der FC Bayern München schmückte sich ganz gern mit diesem martialisc­hen Titel, der ihm einst von Real Madrid verliehen wurde. Dabei ist »bestia negra« keineswegs wörtlich zu übersetzen – im Spanischen meint es Angstgegne­r. Und es ist auch schon ein Weilchen her, dass der deutsche Rekordmeis­ter mal Angst und Schrecken in Madrid verbreitet­e. Zuletzt, in den Jahren 2014, 2017 und 2018, mussten sich die Münchner jeweils gegen Real aus Europa verabschie­den, ihr letzter Sieg liegt zwölf Jahre zurück.

An diesem Mittwoch wird dieser Klassiker des Weltfußbal­ls zum 28. Mal aufgeführt. Zwölfmal siegten die Bayern, elfmal Real, vier Spiele endeten unentschie­den, so wie das Hinspiel im Halbfinale der Champions League vor einer Woche in München. Und, wer weiß das schon: Auch das allererste fand keinen Sieger. Ein halbes Jahrhunder­t ist das her, im Frühjahr 1976, Halbfinale des Landesmeis­terpokals. 120 000 Zuschauer drängten sich im Estadio Santiago Bernabéu. Reals Dirigent Günter Netzer kam aus der Tiefe des Raumes, wie es das Feuilleton von ihm verlangte. Sein erster Pass verirrte sich zum alten Freund Franz Beckenbaue­r, der ihn elegant passieren ließ, so dass Reals Argentinie­r Roberto Martínez ganz allein vor Sepp Maier stand und zum 1:0 traf. Der Torwart bewahrte die Bayern vor weiteren Gegentoren.

Dann kam Gerd Müller – eine schwarzbär­tige Bestie im roten Trikot. Kurz vor dem Halbzeitpf­iff traf er zum Münchner Ausgleich, zum großen Entsetzen im Bernabéu. Der Kundschaft vor den Fernsehger­äten blieb das Tor jedoch verborgen, weil der spanische Kameramann einen Tick zu lang an einer vergebenen Chance von Martínez litt. In den Siebzigern wurden die Fußballplä­tze noch nicht von einer ganzen Kamera-Batterie ausgeleuch­tet. Der Kameramann im Bernabéu hatte eine Monopolste­llung: Als er sein Objektiv wieder auf die andere Seite des Platzes schwenkte, erwischte er gerade noch den ins Tor rollenden Ball. Der Generation Youtube wird das Münchner Premierent­or gegen Real auf ewig vorenthalt­en bleiben.

Den Augenzeuge­n in Madrid offenbarte sich dieses Tor so: Maiers Abstoß fand Franz Roth, dessen Querpass Müller humorlos aus Nahdistanz ins Tor schob. Fortan spielten nur noch die Bayern, die allerdings Glück hatten, dass Martínez in der Schlusssek­unde über seine eigenen Beine stolperte. Dann war das Spiel vorbei. Jedenfalls, was den offizielle­n Part betrifft. Ein Madrider Fan hatte Martínez’ Ungeschick­lichkeit als Münchner Foul interpreti­ert. Der Mann sprang über die Absperrung den Bayern entgegen und stürzte sich auf Gerd Müller, bis er von Sepp Maier niedergest­reckt wurde.

Zur Rache traf Müller im Rückspiel gleich zweimal und Real gar nicht. Im Finale von Glasgow gab es mit allem Bayern-Dusel der Welt ein 1:0 über AS Saint-Etienne. Das Tor schoss nicht Gerd Müller, sondern Mittelfeld­spieler Franz Roth. Der Mann, der das Phantomtor von Bernabéu vorbereite­t hatte.

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FOTO: PRIVAT Früher schlicht Pokal der Landesmeis­ter, heute Champions League: ein inszeniert­es Spektakel und Gelddruckm­aschine des Fußballs. Sven Goldmann blickt auf den kommenden Spieltag.

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