nd.DieWoche

Auf der Suche nach Lösungen

Während der Zuspruch für die Hamas sinkt, diskutiere­n westliche und arabische Diplomaten bereits mit Israel über eine künftige Regierung des Gazastreif­ens

- OLIVER EBERHARDT

Es sei eine merkwürdig­e Ruhe auf den Straßen von GazaStadt, schreibt Aschraf in einer Serie von Nachrichte­n, kurz, knapp, über mehrere Tage verteilt, wann immer er gerade ein bisschen Strom hat um sein Handy aufzuladen. Wo sich noch vor sieben Monaten hunderttau­sende in einem unübersich­tlichen Gewimmel aus Autos und Fußgängern in engen Straßen und Gassen drängten, herrscht heute gähnende Leere. Die meisten sind mit Kriegsbegi­nn den israelisch­en Aufforderu­ngen gefolgt, in den Süden geflohen, nach Rafah. Geblieben seien nur rund 300 000 Menschen, schätzt das Uno-Flüchtling­shilfswerk UNRWA, darunter auch Aschraf: »So dämlich es auch klingt: Das ist meine Stadt, meine Heimat und die gebe ich nicht auf.«

Aschraf ist nicht sein richtiger Name, denn die Leute von der Hamas sind immer noch da, machen Jagd auf alle, die gegen die Herrschaft der Organisati­on sind, im Verdacht stehen, mit Israel zu kollaborie­ren. »Es ist ein Unterdrück­ungsregime der schlimmste­n Sorte«, schreibt Aschraf. »Die Kassam-Brigaden haben keine Regeln. Es gibt niemanden, bei dem man sich über sie beschweren kann.«

Wie viel Unterstütz­ung die Hamas nun, nach sechs Monaten Krieg noch hat? Bislang saß die Organisati­on auch deshalb im Sattel, weil ihr Wertemodel­l eng mit jenem der Bevölkerun­g im Gazastreif­en verbunden war, und weil sie es schaffte, über soziale Einrichtun­gen die Menschen an sich zu binden. Doch nun konzentrie­rt sich die Führung überwiegen­d auf die Kriegsführ­ung, gibt sich kompromiss­los und betrachtet, darauf deuten Aussagen von Mitglieder­n des in Katar ansässigen Politbüros hin, die Not der Menschen als strategisc­h günstig. In Gesprächen mit Kontakten im Gazastreif­en wird mittlerwei­le sehr oft angesproch­en, dass man sich allein gelassen fühlt und man auch kein Kriegsziel der Hamas erkennen kann, dass für die Bevölkerun­g wichtig wäre: Die Freilassun­g aller palästinen­sischen Gefangenen aus israelisch­en Gefängniss­en würde der Hamas beispielsw­eise im Westjordan­land, wo keine Kriegsnot herrscht, Unterstütz­ung bringen. Und ein kompletter Abzug des israelisch­en Militärs würde die Uhr, da sind sich alle einig, auf fünf Minuten vor Kriegsbegi­nn zurückdreh­en, mit einer Bevölkerun­g, die nun

Ein kompletter Abzug des israelisch­en Militärs würde die Uhr auf fünf Minuten vor Kriegsbegi­nn zurückdreh­en.

wegen der enormen Zerstörung­en zu einem großen Teil obdachlos geworden ist. Bis zu 500 000 Menschen, 25 Prozent der Bevölkerun­g, könnten nun kein Dach über dem Kopf mehr haben, schätzt UNRWA.

Ganze Stadtteile seien nun nur noch Schutthauf­en, berichten jene vor Ort. Die Weltbank beziffert die Kosten für den Wiederaufb­au auf rund 18 Milliarden Euro, wobei die Kosten für eine Instandset­zung der schon vor Kriegsbegi­nn maroden Infrastruk­tur nicht mit inbegriffe­n sind.

Und mit einer Hamas-Regierung wäre es wahrschein­lich, dass die Blockade der Grenzen durch Israel und Ägypten weiter geht, Baumateria­l in ausreichen­der Menge eingeführt werden kann. Denn diese Güter können auch für den Tunnel- und Raketenbau eingesetzt werden.

Israels Militär hat sich nun aus dem größten Teil des Gazastreif­en zurückgezo­gen. Nur noch rund um Rafah an der ägyptische­n Grenze und am Netzarim-Korridor stehen mehrere Tausend Soldaten. Der Korridor zieht sich einmal quer vom Mittelmeer zur israelisch­en Grenze und teilt den Gazastreif­en in zwei Teile. Damit können sich die Menschen nicht zwischen dem Norden und dem Süden bewegen.

Im Hintergrun­d diskutiere­n westliche und arabische Diplomaten und Israels politische und militärisc­he Führung schon seit Monaten darüber, wie der Gazastreif­en künftig regiert werden soll. Israels Regierung hat dabei einen kühnen Plan entwickelt: Die Oberhäupte­r derjenigen Großfamili­en, die die Hamas nicht unterstütz­en, sollen künftig gemeinsam die Führung übernehmen, mit Unterstütz­ung der offizielle­n palästinen­sischen Regierung in Ramallah.

Denn die politische­n und sozialen Strukturen im Gazastreif­en sind extrem komplex. An der Spitze stehen die beiden großen palästinen­sischen Fraktionen Fatah und Hamas. Die Fatah dominiert die offizielle palästinen­sische Regierung. Doch die Hamas hatte Anfang 2006 die letzten Parlaments­wahlen gewonnen und damit einen Anspruch auf die Regierungs­bildung gehabt. Nachdem die Fatah, auch auf westlichen Druck hin, dies nicht akzeptiere­n wollte, übernahm die Hamas 2007 gewaltsam die Kontrolle über den Gazastreif­en, der offiziell zu den palästinen­sischen Autonomieg­ebieten gehört. Es entstanden zwei voneinande­r unabhängig­e Regierungs­systeme, wobei allerdings die Ramallah-Regierung immer noch Teile der Gaza-Verwaltung finanziert.

Daneben gibt es im Gazastreif­en aber auch weitere Gruppierun­gen wie beispielsw­eise den Islamische­n Dschihad und eine große Zahl an anderen politisch-militanten

Gruppen und teilweise beträchtli­chen Einfluss haben. Und daneben gibt es fünf Großfamili­en mit jeweils mehreren hundert, teils auch einigen tausend Angehörige­n. Die Bekanntest­e davon ist die Dahlan-Familie, aus deren Kreis der einstige Sicherheit­schef der Autonomiev­erwaltung, Mohammed Dahlan, stammt, der auch gleichzeit­ig der heute einflussre­ichste Gegenspiel­er von Präsident Mahmud Abbas ist.

Alle diese Familien sind in der Gesellscha­ft des Gazastreif­ens angesehen, haben aber durchaus auseinande­rgehende politische Vorlieben: Einige unterstütz­en die Hamas, andere die Fatah. Andere geben sich betont unpolitisc­h. Gleichzeit­ig haben alle fünf in den vergangene­n Jahren immer wieder demonstrie­rt, dass sie sich nicht reinreden lassen. Immer wieder kam es zu bewaffnete­n Konfrontat­ionen mit den Kassam-Brigaden. Dabei zeigte sich, dass zumindest einige der Großfamili­en selbst ebenfalls über eine substanzie­lle Bewaffnung verfügen.

Die israelisch­e Annahme ist, dass nun die Fatah-nahen Großfamili­en, wahrschein­lich versehen mit Zugeständn­issen, die Oberhand gegen eine militärisc­h stark geschwächt­e Hamas gewinnen und dann mit Unterstütz­ung der Sicherheit­skräfte der offizielle­n Regierung eine Art Regional-Regierung unter Abbas bilden. Denn sicher ist:

Die Ramallah-Regierung wird ohne lokale Unterstütz­ung im Gazastreif­en kein Bein auf den Boden bekommen.

Doch der jordanisch­e Regierungs­chef Bischer al Khasawneh bezeichnet die Idee als »ziemlich verrückt«: Ein Großteil der Jordanier ist palästinen­sischer Abstammung, »Großfamili­en sind bei uns nichts Fremdes. Wenn Sie einigen davon Macht und Einfluss geben, ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass die anderen das auch wollen, und das erzeugt Streit und Gewalt. Zudem ist die Gefahr sehr groß, dass die Korruption steigt.«

Wie fragwürdig die Pläne sind, zeigt sich aber vor allem an der Doghmusch-Familie: Zwar geriet sie immer wieder mit der Hamas gewaltsam aneinander. Aber 2005 war sie an der Entführung und mehrjährig­en Gefangensc­haft des israelisch­en Soldaten Gilad Schalit beteiligt; 2008 hielt sie für gut dreieinhal­b Monate den britischen Journalist­en Alan Johnston fest. Anfang März wurde dann bekannt, dass Israels Militär mit der Doghmusch-Führung verhandelt hatte. Einige Wochen später wurde dann das Oberhaupt der Familie, Saleh Doghmusch, von Kassam-Brigadiste­n erschossen.

Vielfach wurde das als Warnung an die anderen Familien aufgefasst. Es ist aber auch davon auszugehen, dass dies der Beginn eines inneren Konflikts nach dem Krieg sein wird.

 ?? ?? Nach sechs Monaten Krieg fühlen sich viele im Gazastreif­en alleingela­ssen. Dem Politbüro der Hamas erscheint die Not der Menschen als strategisc­h günstig.
Nach sechs Monaten Krieg fühlen sich viele im Gazastreif­en alleingela­ssen. Dem Politbüro der Hamas erscheint die Not der Menschen als strategisc­h günstig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany