nd.DieWoche

Brauchbare Kriminalit­ät?

Hannah Espín Grau über die Polizeilic­he Kriminalst­atistik

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und heterosexu­ell ist, sich dafür entschuldi­gen musste – und es wird ihn nie geben. Die Art »Respekt«, die Wagenknech­t für »normale Menschen« fordert, kann es nur geben, wenn man andere als unnormal definiert. Es ist ein bisschen wie beim Bürgergeld: Damit sich Arbeit wieder lohnt, werden nicht Löhne erhöht, sondern Arbeitslos­e drangsalie­rt. Zusammenha­lt, der über den Ausschluss von »Artfremden« funktionie­rt, hat einen Namen.

Behinderte­nfeindlich wird es auch: »Wer die deutsche Sprache lieber hässlich und regelwidri­g mag, soll gendern und stottern, wie er möchte«, gibt Wagenknech­t die hämische Liberale, um sich einem Gender-Verbot »in Schulen und öffentlich­en Einrichtun­gen« anzuschlie­ßen. Bei den Schulen liegt der Hase im Pfeffer: Mit staatliche­n Genderverb­oten fängt es an, mit der Strafbarke­it queerer Sichtbarke­it im Alltag als »Propaganda« geht es, siehe Russland und Ungarn, weiter.

Das Bündnis Sahra Wagenknech­t zeigt sich hier als Alternativ­e für Leute, die rechts wählen, aber den linken Habitus nicht ablegen wollen: Sie wollen GenderVerb­ote mit Engels-Zitaten und dem USImperial­ismus begründen, nicht mit der Bibel und der Zersetzung des Volkskörpe­rs. Eine Frage des rechten Geschmacks.

Die Polizei erfüllt die Funktion, die bestehende Ordnung aufrecht zu erhalten und verfügt dafür über entspreche­nde Kompetenze­n. Sie darf in theoretisc­h engen Grenzen unter anderem festhalten, kontrollie­ren, durchsuche­n, konfiszier­en und einsperren. Diese Zwangsmaßn­ahmen werden durch die latente Gewaltandr­ohung effektiv, die jeder polizeilic­hen Tätigkeit innewohnt. Die Polizei leistet also im Kern Gewaltarbe­it. Dies rechtferti­gt sie, indem sie das Wichtige und Richtige ihrer Arbeit herausstel­lt, im Kleinen in Einsatzber­ichten, im Großen aber auch in Tätigkeits­statistike­n wie der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik. Diese ist eine Ausgangsst­atistik: Die Polizei zeigt damit, dass sie gearbeitet hat und vor allem, dass sie wichtig ist. Denn die Polizei braucht es – so die Überzeugun­g –, weil es Kriminalit­ät gibt. Sie ist die Institutio­n, die dafür sorgen soll, dass Normverlet­zungen verhindert oder zumindest geahndet werden. Sie ist die Trennlinie zwischen gesellscha­ftlichem Naturzusta­nd und Zivilisati­on – aus dieser Erzählung speist sich ihre Legitimitä­t.

In den vergangene­n Tagen war es wie jedes Jahr zur Veröffentl­ichung der aktuellen Statistik notwendig, dass Kriminolog*innen erklären, was wir alles nicht aus ihr ableiten können. Es ist eine Hellfeldst­atistik: Delikte, die nicht zur Anzeige gebracht werden, tauchen nicht auf. Um sie zu erfassen, braucht es Dunkelfeld­studien. Die Kriminalst­atistik ist keine juristisch­e Verlaufsst­atistik: Wie es mit den Strafverfa­hren weiterging, ob die Tatverdäch­tigen verurteilt wurden, lässt sich nicht sagen. Die Differenzi­erung in deutsche und nicht-deutsche Tatverdäch­tige ist an sich problemati­sch und zudem unscharf: Sie knüpft an eine vermeintli­che Andersarti­gkeit von Menschen ohne deutschen Pass an, wirft dabei Gruppen mit so unterschie­dlichen sozialen Lebensreal­itäten wie Geflüchtet­e, Tourist*innen und seit Langem in

Deutschlan­d lebende Menschen in einen Topf.

Diesen Hinweisen zur begrenzten Aussagekra­ft zum Trotz wird von Politiker*innen fast aller Parteien standhaft behauptet, die Sicherheit­slage in Deutschlan­d habe sich verschärft. Es brauche daher restriktiv­ere Maßnahmen und insbesonde­re schnellere Abschiebun­gen nicht-deutscher Tatverdäch­tiger. Derartige Rhetoriken zeugen davon, dass die Statistik nicht (nur) missversta­nden, sondern darüber hinaus instrument­alisiert wird. Rechte Politik hat Hochkonjun­ktur und spektrumüb­ergreifend wollen Politiker*innen und Parteien beweisen, dass sie in Deutschlan­d und Europa für (eine bestimmte) Ordnung sorgen.

So werden Gefühle der Unsicherhe­it, die aus menschgema­chten Problemen wie der Mietpreisk­rise, der wachsenden sozialen Ungleichhe­it und der Erreichung klimatisch­er Kipppunkte resultiere­n, umgeleitet in Ressentime­nts gegen marginalis­ierte Personen. Diese werden dann einerseits häufiger angezeigt. Anderersei­ts kann – wie wir aus der deutschen Geschichte wissen – eine derart rassistisc­he Rhetorik auch unmittelba­r die Sicherheit bestimmter Menschen beeinträch­tigen. Nämlich derjenigen, die rassistisc­he Bedrohung und Übergriffe im Alltag, am Arbeitspla­tz und auf der Straße erleben; aber auch derjenigen, die im Zuge der Ausweitung polizeilic­her Kompetenze­n der letzten Jahre zunehmend von Kontrolle und Gewalt betroffen sind, weil sie als nicht-deutsch gelesen werden. Aus der kriminolog­ischen Forschung wissen wir, dass derartige Erfahrunge­n seltener zur Anzeige gebracht werden. Aber auch das ist ein Problem, das wir gesellscha­ftlich lösen müssen.

Hannah Espín Grau ist wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin an der Professur für Kriminolog­ie und Strafrecht der GoetheUniv­ersität Frankfurt am Main und Mitautorin der Studie »Gewalt im Amt« (2023, Campus).

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