Notwendig »selbstbestimmt«, eigennützig »fremdbestimmt«
Jüngst beklagten wir hier das gesellschaftliche Manko an Elementarmathematik. Was nicht unmaßgeblich dazu beitragen dürfte, dass es in vielen Debatten wenig prompte, harte, kompromisslose Gegenrechnungen gibt. Auf der einen Seite macht irgendwer der Welt ein X für ein U vor. Auf der anderen Seite gibt es massenhaft Leute, die 1 und 1 nicht zusammenzählen können. In so einem Fall wundern sich die Absender sicher meist, dass ihnen tatsächlich geglaubt wird, und unter den Empfänger sind viele, die die »Ente«, neudeutsch: Fake News, nicht nur für sensationell, sondern auch für wahr halten.
Warum so viele mit Mathe und damit auch mit Logik auf Kriegsfuß stehen, wurde oft ventiliert, gravierend verändert hat sich nie etwas. Es gibt, anders als in den Naturwissenschaften, einige nur selten benannte Besonderheiten der Wissenschaft Mathematik. Und zwar Besonderheiten, die bei Unkenntnis über sie geeignet sind, an Schule, Uni und im späteren Leben zum allgemeinen Fremdeln mit Mathe beizutragen.
Zum Ersten ist in keiner anderen Wissenschaft die Grenze zwischen »richtig« und »falsch« so scharf und endgültig wie in der Mathematik; jedes Lavieren oder Lamentieren ist also sinn- und erfolglos. Zum Zweiten ist Mathematik (neben Astronomie) auch die älteste Kulturwissenschaft. Mathe steckt deshalb eigentlich irgendwie seit Kulturbeginn in unseren Köpfen drin, doch daran wird, scheint es mir, in der Lehre zu wenig angeknüpft. Und zum Dritten schließlich hat Mathematik neben dem bekannten logischen auch einen treibenden dialektischen Aspekt. Dieser spielt in Ausbildungswegen trotz programmatischer Namen wie Platon,
Hegel oder Gödel meist nur eine exotische Randrolle.
Mit dieser letzteren Besonderheit war ich, anfangs beim »ND« etliche Jahre als Technologie- und Wissenschaftsreporter unterwegs, erstmals von Professor Alexander Danilowitsch Alexandrow (1912–1999) konfrontiert worden. Und zwar in seinem Büro im sowjetischen (inzwischen: russischen) Akademiestandort Akademgorodok, in Nowosibirsk. Bei dem Gespräch mit ihm begann ich eine erste leise Ahnung von Dialektik in der Mathematik zu bekommen: einerseits notwendig »selbstbestimmt«, im eigenen Haus von Fundament bis Dachfirst ständig aus-, weiter- und neu bauen zu müssen, um andererseits eigennützig »fremdbestimmt« Premiumpartner vieler anderer Wissenschaften sein zu können.
Alexandrows Essay »Mathematik und Dialektik« liegt übrigens seit Langem auch auf Deutsch vor, nämlich in: »Mathematiker über Mathematik«, Springer-Verlag 1976, 424 S. Dies als Literaturempfehlung. Zur Entspannung vor der deftigen Kost aber erst noch zwei ganz schlichte Aufgaben:
1. Das Jahr 2020 war numerisch ein besonderes: 2020 durch 4 teilbar und mit der 4 als Quersumme. In welchem Jahr gibt es die gleiche Konstellation mit der Zahl 11?
2. Eine Rechteckfläche (72 cm x 37 cm) ist in die geringste Anzahl von Quadraten aufzuteilen – wie viele sind das minimal? (Hinweis: Die Quadrate können unterschiedlich sein, müssen es aber nicht.)
Antworten an spielplatz@nd-online.de oder per Post (Kennwort »Denkspiel«) bis Mittwoch, 17. April. Unter den »Richtigen« verlosen wir je Aufgabe einen Buchpreis.
Zu 1. Der gefragte Code hat die Form 3AB0, wobei A oder B für 6 stehen. Mögliche Kombinationen: 3-0-6-0, 3-36-0, 3-6-6-0, 3-6-0-0, 3-6-3-0. Es wären also maximal fünf Codes auszuprobieren, meinte auch Jette Bartel aus Lübbenau; ihr Buchlosgewinn: »Schwere See. Eine Reise um das Schwarze Meer« von Jens Mühling, Rowohlt.
Zu 2. Da von zwölf Farben jede höchstens 20-mal vorkommen darf, und jeder mindestens fünf Farben tragen muss, sind maximal 12*20/5 = 48 verschiedene Kostüme möglich. (Beweis gern auf Mailanfrage!)
Unter den »Richtigen« war auch Florian Habermann aus Berlin, der für »Nichtstun. Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen« von Billy Ehn und Orvar Löfgren, Hamburger Edition, ausgelost wurde.