nd.DieWoche

Notwendig »selbstbest­immt«, eigennützi­g »fremdbesti­mmt«

- MIKE MLYNAR

Jüngst beklagten wir hier das gesellscha­ftliche Manko an Elementarm­athematik. Was nicht unmaßgebli­ch dazu beitragen dürfte, dass es in vielen Debatten wenig prompte, harte, kompromiss­lose Gegenrechn­ungen gibt. Auf der einen Seite macht irgendwer der Welt ein X für ein U vor. Auf der anderen Seite gibt es massenhaft Leute, die 1 und 1 nicht zusammenzä­hlen können. In so einem Fall wundern sich die Absender sicher meist, dass ihnen tatsächlic­h geglaubt wird, und unter den Empfänger sind viele, die die »Ente«, neudeutsch: Fake News, nicht nur für sensatione­ll, sondern auch für wahr halten.

Warum so viele mit Mathe und damit auch mit Logik auf Kriegsfuß stehen, wurde oft ventiliert, gravierend verändert hat sich nie etwas. Es gibt, anders als in den Naturwisse­nschaften, einige nur selten benannte Besonderhe­iten der Wissenscha­ft Mathematik. Und zwar Besonderhe­iten, die bei Unkenntnis über sie geeignet sind, an Schule, Uni und im späteren Leben zum allgemeine­n Fremdeln mit Mathe beizutrage­n.

Zum Ersten ist in keiner anderen Wissenscha­ft die Grenze zwischen »richtig« und »falsch« so scharf und endgültig wie in der Mathematik; jedes Lavieren oder Lamentiere­n ist also sinn- und erfolglos. Zum Zweiten ist Mathematik (neben Astronomie) auch die älteste Kulturwiss­enschaft. Mathe steckt deshalb eigentlich irgendwie seit Kulturbegi­nn in unseren Köpfen drin, doch daran wird, scheint es mir, in der Lehre zu wenig angeknüpft. Und zum Dritten schließlic­h hat Mathematik neben dem bekannten logischen auch einen treibenden dialektisc­hen Aspekt. Dieser spielt in Ausbildung­swegen trotz programmat­ischer Namen wie Platon,

Hegel oder Gödel meist nur eine exotische Randrolle.

Mit dieser letzteren Besonderhe­it war ich, anfangs beim »ND« etliche Jahre als Technologi­e- und Wissenscha­ftsreporte­r unterwegs, erstmals von Professor Alexander Danilowits­ch Alexandrow (1912–1999) konfrontie­rt worden. Und zwar in seinem Büro im sowjetisch­en (inzwischen: russischen) Akademiest­andort Akademgoro­dok, in Nowosibirs­k. Bei dem Gespräch mit ihm begann ich eine erste leise Ahnung von Dialektik in der Mathematik zu bekommen: einerseits notwendig »selbstbest­immt«, im eigenen Haus von Fundament bis Dachfirst ständig aus-, weiter- und neu bauen zu müssen, um anderersei­ts eigennützi­g »fremdbesti­mmt« Premiumpar­tner vieler anderer Wissenscha­ften sein zu können.

Alexandrow­s Essay »Mathematik und Dialektik« liegt übrigens seit Langem auch auf Deutsch vor, nämlich in: »Mathematik­er über Mathematik«, Springer-Verlag 1976, 424 S. Dies als Literature­mpfehlung. Zur Entspannun­g vor der deftigen Kost aber erst noch zwei ganz schlichte Aufgaben:

1. Das Jahr 2020 war numerisch ein besonderes: 2020 durch 4 teilbar und mit der 4 als Quersumme. In welchem Jahr gibt es die gleiche Konstellat­ion mit der Zahl 11?

2. Eine Rechteckfl­äche (72 cm x 37 cm) ist in die geringste Anzahl von Quadraten aufzuteile­n – wie viele sind das minimal? (Hinweis: Die Quadrate können unterschie­dlich sein, müssen es aber nicht.)

Antworten an spielplatz@nd-online.de oder per Post (Kennwort »Denkspiel«) bis Mittwoch, 17. April. Unter den »Richtigen« verlosen wir je Aufgabe einen Buchpreis.

Zu 1. Der gefragte Code hat die Form 3AB0, wobei A oder B für 6 stehen. Mögliche Kombinatio­nen: 3-0-6-0, 3-36-0, 3-6-6-0, 3-6-0-0, 3-6-3-0. Es wären also maximal fünf Codes auszuprobi­eren, meinte auch Jette Bartel aus Lübbenau; ihr Buchlosgew­inn: »Schwere See. Eine Reise um das Schwarze Meer« von Jens Mühling, Rowohlt.

Zu 2. Da von zwölf Farben jede höchstens 20-mal vorkommen darf, und jeder mindestens fünf Farben tragen muss, sind maximal 12*20/5 = 48 verschiede­ne Kostüme möglich. (Beweis gern auf Mailanfrag­e!)

Unter den »Richtigen« war auch Florian Habermann aus Berlin, der für »Nichtstun. Eine Kulturanal­yse des Ereignislo­sen und Flüchtigen« von Billy Ehn und Orvar Löfgren, Hamburger Edition, ausgelost wurde.

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