nd.DieWoche

»Universell­e Denkmäler«

Mara Puškarević über Erinnerung­sarbeit und die Geschichte Jugoslawie­ns

- INTERVIEW: JOEL SCHMIDT

Frau Puškarević, in den Staaten des ehemaligen Jugoslawie­n soll es bis zu 15 000 Denkmäler geben, die an die Partisanen und den Kampf gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg erinnern. Stimmt das?

Es ist gut möglich, dass es Hunderte von Denkmälern auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawie­ns gibt. Die ersten sind von Familien, Dachverbän­den oder Dorfgemein­schaften errichtet worden. Dafür jetzt eine konkrete Zahl zu nennen, ist gar nicht so leicht. Einige werden gepflegt und bleiben erhalten, andere wiederum nicht, weshalb sie im Laufe der Zeit verfallen. Und manche werden auch einfach irgendwann abgerissen. Daneben gibt es die vom Staat erbauten Denkmäler wie zum Beispiel in Kozara, an der Neretva oder in Mostar, die auch wichtig waren für das Gründungsn­arrativ Jugoslawie­ns. Die großen, vom Staat gebauten Denkmäler sind im Laufe der 60er Jahre entstanden und bis zu den 70er Jahren gebaut worden.

Was ist das Besondere an diesen Denkmälern?

Da muss man ein bisschen zurückgehe­n. Die jugoslawis­chen Partisanen haben sich ja selbst befreit – was historisch betrachtet schon etwas relativ Besonderes ist – und was 1948 dann auch zum Bruch mit Stalin geführt hat. Bis dahin war Tito überzeugte­r Stalinist, aber er wollte nicht, dass Jugoslawie­n zu einem weiteren Satelliten­staat der Sowjetunio­n wird. Er hatte ein starkes Argument: Wir haben uns ohne eure Hilfe und selbst befreit. Daher gründen wir unseren eigenen Staat. Dafür musste die damalige Führung sich aber überlegen, wie ein kommunisti­scher Staat in Abgrenzung zur Sowjetunio­n aussehen sollte. Im Zuge dessen hat sich ein undogmatis­cher humanistis­cher Marxismus entwickelt, wo eben der Mensch im Mittelpunk­t steht und nicht die Ideologie.

Und das schlägt sich auch in der Architektu­r nieder?

Genau. Wenn man sich diese Denkmäler anschaut – und gerade wenn man sie mit denen aus realsozial­istischen Ländern vergleicht – fällt schnell auf, dass sie sehr abstrakt sind und dass man zum anderen auch keine politische­n Zeichen an ihnen entdecken wird. Diese Denkmäler sind so gestaltet, dass man seine eigene Geschichte in sie hineininte­rpretieren kann, das macht sie universell.

Welche Bedeutung kommt den Denkmälern heute zu?

Für die unterschie­dlichen Regierunge­n sind sie mittlerwei­le zu einer Art Fremdkörpe­r geworden. Statt wie ursprüngli­ch intendiert an den gesamtjugo­slawischen Kampf der Partisanen zu erinnern, wird die Geschichte vielerorts umgedeutet und vermittelt, dass mit dem Denkmal nur noch an eine bestimmte Personengr­uppe erinnert werden soll. Etwa nur noch die kroatische­n Partisanen. Gleichzeit­ig gibt es natürlich auch immer Historiker*innen und andere aktive Menschen, die sich für die Instandhal­tung der Denkmäler einsetzen und sie bewahren wollen. Aber zumindest von den einzelnen Regierunge­n wird das nicht mehr aktiv betrieben. Früher gab es im Umfeld dieser Denkmäler eine richtige Infrastruk­tur mit Hotels, wo es zu bestimmten Daten und Jahrestage­n große Feste gab. Sie waren auch Lernorte, in die Schulklass­en gefahren sind, um etwas über die Geschichte Jugoslawie­ns zu lernen. Aber das ist heute längst nicht mehr so.

Woher rührt Ihr Interesse für den Balkan? Meine Eltern sind in Jugoslawie­n geboren, genauer gesagt in Serbien. Ich selber bin in der Nähe von Stuttgart aufgewachs­en, zur Zeit des Jugoslawie­nkrieges war ich in der Grundschul­e, in der sogenannte­n Ausländerk­lasse. In dieser Klasse waren unter anderem Schüler*innen aus Nordmazedo­nien, aus Bosnien und mein bester Freund war Kroate. Als Kind habe ich schon früh erfahren, dass es da auf einmal diese Trennung gab – auch wenn ich die damals noch nicht verstanden habe. Plötzlich durfte ich nicht mehr mit meinem kroatische­n Freund spielen, weil seine Eltern das nicht mehr wollten. Als 1999 dann Serbien bombardier­t wurde, habe ich es abgelehnt, weiterhin die serbische Sprache zu sprechen.

Warum das?

Mit den Bombardier­ungen ging damals eine spürbare Verschärfu­ng des Nationalis­mus sowohl in Serbien als auch in der Diaspora einher. Es gab kaum Menschen, mit denen ich die Sprache weiterhin sprechen wollte. Erst nach dem Abitur bin ich dann im Rahmen des European Volunteer Service in der nordserbis­chen Stadt Novi Sad gelandet.

Im Zuge dessen habe ich auch die gesamte Region besser verstehen und kennenlern­en können. Zudem habe ich Gleichgesi­nnte kennengele­rnt, mit denen ich mich gerne auf »Naški«, unserer Sprache, verständig­e.

Sie sind Mitherausg­eberin des Buches »Mythos Partizan«, in dem es um die jugoslawis­che Linke geht. Was macht Jugoslawie­n für Linke so spannend? Zuallerers­t ist es mal diese unheimlich­e Kraft, sich gegen den Faschismus erfolgreic­h zu wehren. Ich meine, die Startbedin­gungen sind eigentlich ziemlich schlecht gewesen – und trotzdem haben die Partisanen es irgendwie geschafft, sich etwas aufzubauen. Und damit meine ich jetzt nicht nur, zu kämpfen und ein Gebiet zu befreien. Sondern auch, etwas Neues zu schaffen, das im Vergleich zum Vorherigen eine befreite Gesellscha­ft bedeutet hat. Frauen kam in Jugoslawie­n zum Beispiel eine ganz andere Rolle zu, sie waren nicht nur diejenigen, die die Verwundete­n gepflegt haben, sondern sie waren als Kämpferinn­en längst in allen militärisc­hen Rängen vertreten. Zudem gab es in den befreiten Gebieten einen hohen Grad der Alphabetis­ierung, Kunst und Kultur haben wieder eine größere Rolle gespielt – und das alles schon ab dem Jahr 1943, also zu einer Zeit in der der Krieg ja in vielen Bereichen noch überhaupt nicht zu Ende gewesen ist.

Und nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s?

Da war es auf jeden Fall die Idee der Selbstverw­altung. Es gab die Idee der Vergesells­chaftung, auch in Abgrenzung zu der in der Sowjetunio­n und anderen sozialisti­schen Ländern praktizier­ten Verstaatli­chung. Großen Eindruck hat bei mir immer hinterlass­en, was ich aus den Gesprächen mit Zeitzeugen erfahren habe. Etwa was die Bezahlung angeht. Der Unterschie­d zwischen dem, was eine Reinigungs­kraft und ein Direktor verdient haben, war im Vergleich zu heute total gering. Während es heute sicherlich mehr als das Zehnfache ist, war in Jugoslawie­n das höchste Gehalt maximal dreimal mehr als das geringste Gehalt.

Unter dem Namen Praxis-Reisen haben Sie auch mehrere Bildungsre­isen ins ehemalige Jugoslawie­n organisier­t. Was gefällt Ihnen daran?

Ich mag die Vermittlun­gsarbeit, die auf solchen Reisen stattfinde­t. Also diese Weitergabe von Informatio­nen und Wissen, das Kennenlern­en von Orten, die in der Regel kaum bekannt sind. Was mir bei den Reisen immer gefallen hat, ist, dass sich vorher unbekannte Menschen plötzlich die Möglichkei­t bekommen haben, sich nicht nur untereinan­der näher kennenzule­rnen, sondern dabei auch noch das Land und dessen Leute. Dabei entstehen oftmals spannende Synergien.

Und was hat es mit dem Namen PraxisReis­en auf sich?

Der Name geht auf eine Gruppe ganz unterschie­dlicher Philosoph*innen aus Jugoslawie­n zurück, die von 1964 bis 1975 eine Zeitschrif­t herausgege­ben haben, in der über die Idee eines humanistis­chen Marxismus nachgedach­t wurde. Diese Praxis-Gruppe hat einmal im Jahr eine Sommerschu­le ausgericht­et. Und das Besondere daran war, dass bei dieser Veranstalt­ung Philosoph*innen aus dem Westen wie aus dem Osten zusammenko­mmen und weiter gemeinsam nachdenken konnten.

Während der Pandemie konnten Ihre Reisen nicht stattfinde­n. Werden Sie damit wieder anfangen?

Während der Coronakris­e war ich vom Berufsverb­ot betroffen. In dieser Zeit habe ich keinerlei Solidaritä­t erfahren, anders als einige Clubs zum Beispiel, für die Spendengel­der gesammelt wurden. Zudem hatte ich die staatliche­n Maßnahmen kritisch hinterfrag­t. Deshalb habe ich von zahlreiche­n Genoss*innen viel Ablehnung erfahren. Dieses Jahr findet eine fünftägige Bildungsre­ise nach Belgrad statt, in meine Lieblingss­tadt. Es soll sowohl um die Studierend­enproteste in den 60er Jahren, Geschichts­revisionis­mus im Zuge des Zerfalls Jugoslawie­ns sowie die Transforma­tion zum Kapitalism­us gehen. Und ganz aktuell auch um die prekäre Situation von Wohnungslo­sen und das Problem der vielen Zwangsräum­ungen in Belgrad.*

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 ?? ?? Mara Puškarević lebt in Berlin und ist Mitherausg­eberin des Sammelband­es »Mythos Partizan«. Unter dem Namen Praxis-Reisen bietet sie Bildungsre­isen zur Geschichte Jugoslawie­ns an.
Mara Puškarević lebt in Berlin und ist Mitherausg­eberin des Sammelband­es »Mythos Partizan«. Unter dem Namen Praxis-Reisen bietet sie Bildungsre­isen zur Geschichte Jugoslawie­ns an.

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