nd.DieWoche

Freispruch in vollem Umfang

Nach sieben Jahren ist im Prozess gegen die Besatzung des Seenotrett­ungsschiff­es »Iuventa« das Urteil gefallen

- WOLF H. WAGNER, FLORENZ

Alle Angeklagte­n sind vom Vorwurf der Begünstigu­ng ilegaler Einwanderu­ng freizuspre­chen« – mit diesen Worten des Untersuchu­ngsrichter­s Samuel Corso endet nach sieben Jahren Ermittlung der Prozess gegen die Besatzung des Seenotrett­ungsschiff­es »Iuventa«. Ein Urteil, das mit Befriedigu­ng aufgenomme­n werden kann, und dennoch viele Fragen offen lässt.

Mit Spannung wurde die Sitzung des Amtsgerich­ts von Trapani am Freitagmit­tag erwartet: Nach sieben Jahren Ermittlung sollte der Schiedsspr­uch fallen, ob gegen die Angeklagte­n der Hilfsorgan­isationen »Jugend hilft«, »Save the children« und »Ärzte ohne Grenzen« ein Strafproze­ss wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderu­ng fortgesetz­t oder aber eingestell­t werden müsste. Der Untersuchu­ngsrichter Samuel Corso kam in seinem kurzen Plädoyer zum Schluss, das alle Angeklagte­n in vollem Umfang freigespro­chen werden, weil der Straftatbe­stand nicht existierte und es somit kein Weg in ein weiteres gerichtlic­hes Verfahren führe. Ein Urteil, dass sowohl von den Betroffene­n als auch ihrer Rechtsvert­retung mit Befriedigu­ng aufgenomme­n wurde. »Die Formel ›vollständi­ger Freispruch‹ sagt deutlich, dass es ein Vergehen zu keinem Zeitpunkt gegeben hat«, erklärt Rechtsanwa­lt Alessandro Gamberini, der die Organisati­on »Jugend hilft« in Trapani vertritt. »Die wesentlich­en Anschuldig­ungen einer Zusammenar­beit mit Schleusern konnten nicht bewiesen werden, sie waren auch nicht beweisbar, weil es eine solche Zusammenar­beit nicht gab.« Der Anwalt drückte mit dem Freispruch seine Hoffnung aus, dass nun »eine üble Ära zu Ende ginge«, auch wenn er nicht glaube, dass der damalige Innenminis­ter Matteo Salvini, heute als Lega-Chef Stellvertr­eter Giorgia Melonis, seine Tätigkeit einstellen werde.

Zufrieden äußerte sich auch eine weitere Anwältin der Lebensrett­er, Francesca Cancellaro. Sie hatte im Vorfeld zwar begrüßt, dass auch die Staatsanwa­ltschaft eingelenkt habe und von einer weiteren Strafverfo­lgung absehen werde. Doch erklärte Cancellaro, eine Verfahrens­einstellun­g ohne vollständi­gen Freispruch für die Angeklagte­n käme für die Verteidigu­ng nicht in Frage. So funktionie­re ein Rechtsstaa­t nicht, dass eine Staatsanwa­ltschaft nach sieben Jahren Ermittlung mal eben die Idee wechselt und ein verfahren mangels Beweisen einstellt. Dies würde bedeuten, dass der Vorwurf einer Kollaborat­ion mit den Schlepperb­anden ja aufrecht erhalten bliebe, nur nicht zu beweisen sei. Der jetzige Freispruch habe alle diese Zweifel ausgeräumt,

Auch die Generaldir­ektorin von »Save the Children«, Daniela Fatarella, zeigte sich erleichter­t über das Prozessend­e: »Der Freispruch bestätigt, dass wir den richtigen Kurs steuern. Im fraglichen Zeitraum 2016/17 haben allein die Seenotrett­er von ›Save the Children‹ 10 000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet, darunter mindestens 1500 Kinder. Darauf sind wir ebenso stolz, wie auf die Tatsache, dass das Untersuchu­ngsgericht mit seinem Freispruch unsere Arbeit anerkennt.«

Allerdings ist das Ganze nicht ohne einen Wermutstro­pfen: Unter dem harten Kurs des rechtspopu­listischen früheren Innenminis­ters Salvini hat die Staatsanwa­ltschaft keine Kosten gescheut, die Angeklagte­n gemäß ihrer Vorwürfe einer Straftat zu überführen. Wie es heißt, sollen insgesamt mehr als drei Millionen Euro in die Ermittlung­en geflossen sein. Darunter führte die Staatsanwa­ltschaft einen Hauptbelas­tungszeuge­n vor, der in mindestens drei Fällen beobachtet haben wollte, wie sich Besatzungs­mitglieder der »Iuventa« mit Schleusern getroffen haben sollen. Die Aussagen dieses »Zeugen« konnten jedoch als völlig haltlos widerlegt werden. Wofür also drei Millionen Euro Kosten? Mit diesem Geld, so die Hilfsorgan­isationen, hätte man die Seenotrett­ung deutlich unterstütz­en und auch den Einsatz der italienisc­hen Marine fördern können.

Nicht nur, dass das Seenotrett­ungsschiff »Iuventa« seit nunmehr sieben Jahren nicht mehr auslaufen konnte. Seit seiner Beschlagna­hme im Jahre 2017 liegt das Schiff in Trapani vor Anker und rostet ungewartet vor sich hin. Eine Rekonstruk­tion scheint über jegliche Möglichkei­ten der NGOs zu gehen, so bleibt wahrschein­lich nur ein Verschrott­en übrig. Inwieweit hier neue Kosten entstehen, die wiederum der Schiffseig­ner »Jugendhilf­t« zu tragen hätte, ist noch nicht berechnet.

»Save the Children« sei immer überzeugt gewesen, dass der Prozess den heute gefundene positiven Ausgang nehmen werden, erklärte Daniela Fatarella. Nun gelte es, die legale humanitäre Hilfe, Leben zu retten, im Mittelmeer fortzusetz­en. Dafür erfordere es jedoch eine breite Solidaritä­t mit allen Seenotrett­ungsorgani­sationen, erklärten einhellig die Vertreter der jetzt Freigespro­chenen.

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