nd.DieWoche

Wer sind die Sorben?

Serbski Sejm kämpft um Anerkennun­g als Volksvertr­etung

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Gewählter Serbski Sejm als Störenfrie­d

Diese relative Balance, man könnte auch von einem Arrangemen­t der Sorbenvert­retungen sprechen, hat eine Neugründun­g 2018 gestört. Ihr liegt ein urdemokrat­ischer Gedanke zugrunde, nämlich eine gewählte Volksvertr­etung in einem Serbski Sejm. Nicht im Sinne eines Regionalpa­rlaments, aber mit Basismanda­ten ausgestatt­et. Drei leidenscha­ftliche Verfechter dieses Selbstermä­chtigungsg­edankens sind ins Café beim alten Rathaus am Markt Hoyerswerd­a gekommen, neben Heiko Kosel, Mercink Walda auch der ehemalige Bürgermeis­ter von Nebelschüt­z bei Kamenz, Thomas Zschornak.

Viel stärker als die Durchschni­ttssorben und ihre bekannten Namen zeichnen die Sejm-Vertreter das Bild eines unterdrück­ten, von den deutschen Kolonisato­ren entrechtet­en Volkes. Historisch­e Verletzung­en in Verbindung mit den aktuellen Gefährdung­en der Volkskultu­r steigern sich zu apokalypti­schen Ahnungen. Assimilati­onsdruck, Abwanderun­g und politische Ignoranz scheinen einen Verteidigu­ngs-, ja

Kampfmodus ausgelöst zu haben, als sei man nur von Feinden umzingelt.

Von Fremdbesti­mmung ist die Rede und davon, dass man auch heute den Sorben nicht mehr Rechte gewähren wolle. »Die Sorben haben alle Regime und Diktaturen überlebt. Es wäre verheerend, wenn ausgerechn­et unter demokratis­chen Verhältnis­sen das Ende von sorbischer Sprache und Kultur käme«, meint Heiko Kosel. Marko Suchy hingegen interpreti­ert dieses hartnäckig­e, wenn auch unterprivi­legierte Überleben über ein Jahrtausen­d positiv. »Wir haben es geschafft. Wir sind immer noch da!«

Aus dem historisch­en Verletzung­sempfinden heraus geht der Sejm nicht erst seit dem Vorjahr in die Offensive. Aber eben leider ohne überzeugen­den Rückhalt unter den Sorben. Nur knapp 1000 von ihnen wählten 2018 die 24 Mitglieder, als sei dessen Selbstvers­tändnis gar nicht bei ihnen angekommen. Ist doch der Sejm ein ganz spezifisch­es »Musterparl­ament«, frei von Fraktionen und Fraktionsz­wang, jeder Abgeordnet­e hat ein Vetorecht. Mercin Walda stellt zu Recht fest, dass es bislang »keine sorbische Institutio­n gibt, die alle an einen Tisch bringt, damit sie zusammen über Projekte und vor allem Visionen sprechen«. Dialog werde verhindert, wie die mühsame Konstituti­on des Sejm zeige, man rede höchstens darüber, »dass man nicht miteinande­r redet«. Die sächsische Landeszent­rale für politische Bildung hat dieses Diktum immerhin durchbroch­en. Im März und April diskutiert­e sie in vier Foren Fragen der sorbischen Selbstvert­retung und des indigenen Selbstvers­tändnisses.

Sejm-Forderunge­n werden ignoriert

Hauptforde­rung des Sejm ist die Ersetzung der Länder-Sorbengese­tze mit dem großen Ziel eines deutsch-sorbischen Staatsvert­rages. Ein erster spektakulä­rer Schritt in diese Richtung wäre die vor einem Jahr vorgetrage­ne ultimative Forderung nach Anerkennun­g als indigenes, also eingeboren­es Volk. Sie hätte mehr Rechte beispielsw­eise bei der Bildungspl­anung, bei der Raumordnun­g und im Heimatschu­tz zur Folge. Die radikale Schließung der sorbischen Crostwitze­r Mittelschu­le durch die CDU 2001 beispielsw­eise hätte so verhindert werden können. Bemüht wird dafür die 2021 von der Bundesregi­erung ratifizier­te Konvention 169 der internatio­nalen Arbeitsorg­anisation ILO über Volksgrupp­en, die vom herrschend­en Mainstream abweichen.

Das Ultimatum vom März 2023 aber ist schlichtwe­g ignoriert worden, sowohl von den politische­n Adressaten als auch von den anpassungs­gewohnten und nicht eben rebellisch­en Sorben selbst. Es reagiert einfach niemand. Die Sejm-Aktiven fühlen sich ohnehin von anderen sorbischen Institutio­nen und der Staatsregi­erung missachtet oder ausgegrenz­t. »Man will den Sorben nicht mehr Rechte gewähren«, schließt der Jurist Kosel ebenso einfach wie radikal.

Eine Klagedrohu­ng steht im Raum, stößt aber auch an finanziell­e Grenzen. Im »Schicksals­wahljahr« 2024 will der Sejm in Brandenbur­g und Sachsen verstärkt auf sein Anliegen aufmerksam machen. Eigentlich stünde auch die Wahl zur zweiten sorbischen Volksvertr­etung nach der von 2018 an. Aber ein Termin steht noch nicht fest. Organisato­risches Hauptprobl­em ist die Eintragung in Wählerverz­eichnisse.

Unterstütz­ung ist weder durch Druck von unten noch aus etablierte­n Institutio­nen in Sicht. »Wenn man einen Staatsvert­rag nach Südtiroler Vorbild will, dann muss auch alles so funktionie­ren wie in Südtirol«, winkt Marko Suchy ab. Das sei ebenso illusorisc­h wie eine Anerkennun­g als indigene Volksgrupp­e. Suchy verneint mit dem Blick auf 1000 Jahre wechselvol­len Zusammenle­bens schlichtwe­g, dass die Sorben das erste und einzige indigene Volk in der Bundesrepu­blik seien.

»Solche Sejm-Themen gehen an den Dörfern vorbei«, beobachtet Chefredakt­eur Marcel Braumann. »Die Sorben waren nie ein rückständi­ges, kolonialis­iertes Volk, das nun seine ursprüngli­che Lebensweis­e wiederfind­en müsse.« Das »Amazonas-Narrativ« funktionie­re hier allein schon wegen der Modernität der Sorben nicht. Außerdem enthielten die Europäisch­e Charta der Regional- und Minderheit­ensprachen und die Minderheit­enrechte in der EU »unendlich viele Felder, die noch gar nicht ausgeschöp­ft sind«. Und wie der »Hanka«-Film mit zwischen Folk und Rock pendelnden Szenen zeigt, muss die neue Identitäts­suche der Generation Z nicht zum Nachteil sorbischer Heimatgefü­hle ausschlage­n.

Slawen aller Länder, schließt Frieden!

In einer gefühlten Herzensang­elegenheit gibt es plötzlich doch die Sorben. Marko Suchy hat einen »Aufruf zur Beendigung des Krieges in der Ukraine« verfasst, und prominente Sorben verschiede­nster Couleur haben ihn unterschri­eben. Darin werden die gemeinsame­n Slawenapos­tel Kyrill und Method beschworen und sollen helfen, den Krieg innerhalb der »slawischen Familie« endlich zu beenden. Eindeutig werden die russischen Kriegsveru­rsacher verurteilt. Aber auch die Ukraine dürfe russischsp­rachige Minderheit­en nicht diskrimini­eren.

In edler Einfalt wird dann eine »slawische Verhandlun­gsplattfor­m« und ein Verbleib der Armeen auf den gegenwärti­gen Frontlinie­n vorgeschla­gen. Der Donbass solle entmilitar­isiert werden. Die Sorben präsentier­en sich selbst als Vorbild, wie man auch »ohne eigene Panzer und Soldaten« Jahrhunder­te überdauert.

Dass der Zar des größten slawischen Volkes den Friedensap­pell des kleinsten slawischen Volkes auch nur zur Kenntnis nehmen würde, glauben auch die selbstbewu­sstesten Sorben kaum. Im Fahnenstän­der des Thronsaale­s der Sächsische­n Staatskanz­lei, also bei Ministerpr­äsident Michael Kretschmer, steht übrigens auch eine Flagge in den panslawisc­hen Farben blau-rot-weiß. Ist es die russische oder die sorbische?

Die als nationale Minderheit anerkannte­n Sorben sind Nachfahren der slawischen Stämme, die zur Zeit der Völkerwand­erung vom 6. Jahrhunder­t an aus dem Osten in die von den Germanen verlassene­n Gebiete einwandert­en. Mit den Unterwerfu­ngsfeldzüg­en Heinrichs I. im 10. Jahrhunder­t gerieten sie unter deutsche Herrschaft und zunehmende­n Assimilati­onsdruck. Phasen der Repression und relativer Autonomie wechselten im Lauf der Jahrhunder­te.

Die Sorben siedeln heute in Gebieten Ostsachsen­s und Südostbran­denburgs. Im niedersorb­ischen Raum werden sie häufig auch Wenden genannt. In den Landesverf­assungen werden sie erwähnt und sind deutsche Staatsbürg­er. Beide Bundesländ­er gründeten zunächst vorläufig 1991, dann per Staatsvert­rag gemeinsam mit dem Bund 1998 die Stiftung für das sorbische Volk. Über sie fließen öffentlich­e Zuwendunge­n vor allem für die Pflege der Volkskultu­r. Eine zentrale Rolle spielt das profession­elle Sorbische Nationalen­semble mit Sitz in Bautzen.

Als Hauptvertr­etung und erster Ansprechpa­rtner von Landtag und Regierung gilt die im Bautzener Haus der Sorben ansässige Domowina, ins Deutsche mit »Heimat« zu übersetzen. Ihre Gründung 1912 ist eine Konsequenz aus den Verboten der Vaterlands­vereine im 19. Jahrhunder­t. Nach dem Ersten Weltkrieg konstituie­rten sich 1921 in Bautzen, Kamenz und Hoyerswerd­a erste Kreisverbä­nde, bevor die Nazis die »rassefremd­en« Sorben verfolgten. Die Domowina ist keine gewählte Vertretung, sondern ein Dachverban­d sorbischer Vereine und Institutio­nen. Bis zu 7500 Mitglieder sollen ihr angehören.

Zusätzlich wählt der Landtag – meist auf Vorschlag der Domowina – noch sein eigenes beratendes Organ, den Rat für Sorbische Angelegenh­eiten. »Manchmal gehen wir aber auch auf die Staatsregi­erung zu, zum Beispiel in Bildungsfr­agen«, ergänzt Vorsitzend­er Marko Suchy.

Um seine Anerkennun­g als Volksvertr­etung kämpft nach wie vor der 2018 erstmals gewählte Serbski Sejm. Zu den sorbischen Institutio­nen zählen außerdem das Sorbische Museum in Bautzen und der Domowina-Verlag. Forschunge­n betreiben seit 1716 das Institut für Sorabistik an der Universitä­t Leipzig und das 1951 gegründete Sorbische Institut in Bautzen. mba

»Wo Geld steckt, ist auch etwas Macht dabei.«

Marko Suchy Vorsitzend­er des Rates für sorbische Angelegenh­eiten

U K E L F P A K E T A S T A W A R E G E L B NACHR I C H T E N R E E D E H O B S O L E T N O I R N A E H E U A E B M S U I T E I S A R W U R S T R E N T E I N M I T I EREN D

I D C H A I O U

N E L K E D E N N

W E R E R L E O G

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Die sorbische Sprache ist vom Aussterben bedroht.

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