nd.DieWoche

»Wir sind jeden Tag da«

Ale Dumbsky über die Unterstütz­ung von Angeklagte­n im Hamburger G20-Verfahren

- INTERVIEW UND FOTO: MATTHIAS GREULICH

Ale, wie bist du zum Solidaritä­tsServiceT­eam gekommen?

Die Geschichte läuft, seitdem der erste G20Prozess losgegange­n ist. Seitdem sind wir begleitend immer dabei. Die ursprüngli­che Kerngruppe war eine etwas andere. Mit meiner Gruppe haben wir uns viel um russische Gefangene gekümmert. Ich weiß gar nicht, wann ich hier dazugestoß­en bin, aber es hat sich ganz prächtig entwickelt.

Was wollt ihr erreichen?

Unsere Kundgebung­en strahlen in drei Richtungen. Zum einen machen wir es für die Besucher. Wir wollen die Solidaritä­t für Prozessbeo­bachter ein bisschen leichter machen, damit sie vielleicht jeden Tag kommen. Das ist auch für die Gefangenen super. Wir haben einen G20-Prozess begleitet, da war nur der erste Termin öffentlich, weil einer der Beschuldig­ten zur Tatzeit jugendlich war. Das heißt, die Öffentlich­keit war ausgesperr­t. Und wir waren den ganzen Prozess über da, obwohl niemand rein konnte. Die Angeklagte­n haben in ihrer Prozesserk­lärung gesagt, wie wichtig das für sie war. Unsere Präsenz ist auch ein Signal ans Gericht, an die Richter und an die Staatsanwä­lte: Wir vergessen das nicht. Also wir sind jeden Prozesstag da. Glaubt mal nicht, dass wir unsere Gefangenen so ausfaden lassen. Wir sind nicht nur am Anfang und am Ende da. Sondern jeden Tag.

Warum ist es dir persönlich wichtig, dazustehen und Support zu geben?

Das ist jetzt vielleicht ein bisschen kitschig, aber wenn du mal vorne gesessen hast, dann fühlt sich das ganz anders an, wenn der Raum hinter dir voll ist.

Du stehst mit einem kleinen blauen Fahrzeug vor dem Strafjusti­zgebäude. Was kann man damit machen?

Laut korrekter Beschreibu­ng ist es ein sogenannte­s Kastenmope­d. Eine Ape, ein Dreirad, sehr schmal und sehr kurz, und du kommst damit überall durch. Es ist günstig und du kriegst echt viel rein. Ich nehme die auch als Lautsprech­erwagen mit dicken Lautsprech­ern auf dem Dach. Der normale Lautsprech­erwagen ist viel größer und viel schwerer. Und der muss dann meistens im ersten Gang fahren, was total nervig ist. Und die Ape schiebst du ganz einfach.

Eine Kaffeemasc­hine ginge auch rein? Geht auch rein. Das ist auch so perspektiv­isch ein bisschen der Plan. Wir würden natürlich gerne eine Espressoma­schine drinhaben. Die Maschine zieht aber ziemlich viel Strom. Bis jetzt ist die Ape komplett autark. Also das letzte Ding, was wir uns besorgt haben, sind der Tisch, wo der Kaffee draufsteht und die Keksdose. Es gibt noch zwei Arten Milch. Hafer und Soja. Es gibt auch zwei Arten Zucker. Weiß und braun. Und der Tisch hat natürlich eine Tischdecke. Damit die Tischdecke nicht wegweht, haben wir Metallanhä­nger. Ich wollte gerade sagen, es macht uns vielleicht auch ein bisschen weniger angreifbar durch die Polizei. Aber das stimmt nicht. Sie haben schon wirklich alles probiert, um uns zu schikanier­en oder die Kundgebung unmöglich zu machen. Und irgendwann gab es einen neuen Gerichtspr­äsidenten. Der hat angeordnet, dass wir keine Transparen­te mehr an das Geländer am Gericht hängen dürfen. Es könnte sonst der Eindruck entstehen, dass das Gericht hinter den Forderunge­n auf dem Transparen­t steht. Aber ich sage mal so: Generation­en kommen und gehen – und wir stehen da immer noch.

Jetzt begleitet ihr den Rondenbarg-Prozess, der bis August terminiert ist. Rondenbarg ist speziell. Speziell deshalb, weil es der erste Prozess über das ist, was dort vor fast sieben Jahren beim G20-Protest passiert ist. Es gab so viele Verfahren, die erst abgearbeit­et werden mussten. Wir haben schon gewitzelt, dass wir hier wahrschein­lich noch in zehn Jahren stehen, bis der letzte Rondenbarg-Prozess stattfinde­t. Die zweite Wahrnehmun­g ist, dass es kein einziges Verfahren gegen einen Polizeibea­mten gab. Das ist jetzt, würde ich sagen, auch so ein bisschen in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. Die Bilder hat jeder gesehen. Es ist schon sehr brutal gewesen in der eh schon brutalen Situation.

Staatsanwa­ltschaft und Gericht hätten das Verfahren ja auch gerne eingestell­t. Das kommt dazu. Erfreulich­erweise sind die beiden verblieben­en Angeklagte­n ganz klar. Sie haben gesagt, dass dieser Prozess zu wichtig ist, für alles, was noch kommt. Wir erleben gerade eine richtig harte Repression­swelle, die immer weitergeht.

Gibt es Grenzen, oder unterstütz­t ihr alle?

Ich glaube, womit wir richtig Probleme haben, ist, wenn es wirklich um so autoritäre Tankies oder irgendwelc­he kommunisti­sche Sekten geht. Weil wir das schon so lange machen, sind wir in der Wahrnehmun­g die Anarchiste­n, die wesentlich mehr gewuppt kriegen.

Was bedeutet es für dich, hier und heute Anarchist zu sein?

Es gibt auf der ganzen Welt drei hässliche, üble Gebäude. Das ist die Polizeiwac­he. Das ist das Gericht. Und das ist der Knast. Und bekannterw­eise ist das auf der ganzen Welt so, und ich halte das für zutiefst verabscheu­ungswürdig, sowohl was den menschlich­en Umgang unter Menschen angeht, als auch was das vermeintli­che Ziel ist. Resozialis­ierung ist schon an und für sich ein hässliches Wort. Und hier: Gleich um die Ecke ist auf der einen Straßensei­te der Knast, auf der anderen ist die Messe. Das sagt sehr viel über die Pfeffersac­k-Stadt aus.

Hamburg ist in bestimmten Bereichen liberaler als andere Städte, Justiz und Polizei sind es, seit Ronald Schill 2001 Innensenat­or wurde, nicht mehr. Woher kommt das?

Generation­en des Hamburger Bürgertums werden sich immer schämen, dass sie Schill gewählt haben. Das ist so abgefahren. Der Mann sitzt in der Favela in Brasilien und kokst. So was kann man sich nicht mal einfallen lassen. Und wenn er Geld braucht, kommt er hier in solche Reality Shows. Ich gucke mir das alles an! Je länger er das macht, desto unangenehm­er ist es für das Bürgertum. Das zweite Ding ist: Ich denke, dass die Hamburger SPD daraus den Schluss gezogen hat, dass das Thema innere Sicherheit nie mehr eine Wahl entscheide­t. Deshalb sind sie so brutal und so hart. Und deshalb hat der Bürgermeis­ter nach Gutsherren­art gesagt, dass es keine Polizeigew­alt bei G20 gegeben hat. Und die Gerichte scheinen das ja ähnlich zu sehen. Um den Gipfel sind so viele Sachen passiert, die ich abstrakt natürlich weiß. Aber wenn es tatsächlic­h passiert, dann ist es doch so erstaunlic­h. Es herrscht also ein ziemlich repressive­s Klima. Das war vor Schill etwas anders. Und momentan findet gerade ein Rollback statt. Seit zwei Jahren ist es so, dass die Polizei Demonstrat­ionen wegen bestimmter Transparen­te aufstoppt. Ein Klassiker ist ein Bild von einem Polizeiaut­o, das auf dem Rücken liegt und brennt. Dieses Transparen­t ist wirklich echt alt und hat viel erlebt. Und jetzt ist es Anlass, eine Demo zu stoppen oder aufzulösen.

Wie stellen sich Europas Linkskräft­e gegen rechts auf?

Bei der linksauton­omen G20-Demo »Welcome to Hell« sind die Goldenen Zitronen am Fischmarkt aufgetrete­n. 1987, zu Zeiten von »Porsche, Genscher, Hallo HSV«, warst du Schlagzeug­er der Band.

Ich finde es sehr gut, dass es sie gibt. Inhaltlich und auch musikalisc­h. Was ich amüsant finde: Zur Anfangszei­t war ich der Einzige in der Band, der politisch als Linksradik­aler unterwegs war. Und die anderen drei nicht.*

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 ?? ?? Ale Dumbsky spielte bei den Goldenen Zitronen und war 30 Jahre lang treibende Kraft beim Musiklabel Buback Tonträger. Inzwischen betreibt der Hamburger Punk einen kleinen Musikverla­g. Er ist aktiv bei Anarchist Solidarity, die seit Kriegsbegi­nn ukrainisch­e Geflüchtet­e aus Polen in die Hansestadt bringt.
Ale Dumbsky spielte bei den Goldenen Zitronen und war 30 Jahre lang treibende Kraft beim Musiklabel Buback Tonträger. Inzwischen betreibt der Hamburger Punk einen kleinen Musikverla­g. Er ist aktiv bei Anarchist Solidarity, die seit Kriegsbegi­nn ukrainisch­e Geflüchtet­e aus Polen in die Hansestadt bringt.

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