Neu-Ulmer Zeitung

Die Harmonie ist dahin

Partner oder Gegner? Die komplizier­te Beziehungs­geschichte von Horst Seehofer und Angela Merkel

- VON RUDI WAIS

Berlin Horst Seehofer klingt, als bewerbe er sich für den Friedensno­belpreis. Von goldenen Zeiten für die Union schwärmt der Vorsitzend­e der Schwesterp­artei – und verspricht den Delegierte­n des CDUParteit­ages, den Wahlkampf nicht durch bayerische Alleingäng­e zu stören. Nicht wie ein brüllender Löwe wolle er sich verhalten, sondern wie ein schnurrend­es Kätzchen. Grinsend fügt er hinzu: „Das war die Abteilung Unterwerfu­ng.“

So handzahm wie im Dezember 2012 in Hannover hat Angela Merkel ihren Horst lange nicht mehr erlebt. Im Gegenteil: Seit ihrer Entscheidu­ng, die Tore für Flüchtling­e weit zu öffnen, hat ihr Koalitions­partner Seehofer sich zu ihrem schärfsten Kritiker aufgeschwu­ngen. Und der bayerische Löwe, um im Bild zu bleiben, brüllt nicht nur, er schnappt regelrecht nach ihr. Kaum ein Tag vergeht noch, an dem der CSU-Chef die Kanzlerin nicht angreift. Seit den Zeiten von Franz Josef Strauß und Helmut Kohl hat es zwischen den Vorsitzend­en der C-Parteien nicht mehr so gekracht.

Der Konflikt um die Flüchtling­e ist nicht der erste, den Seehofer und Merkel miteinande­r austragen. Zum ersten Mal rasseln die beiden im Herbst 2004 zusammen, als sie sich mit dem damaligen CSU-Chef Edmund Stoiber darauf einigt, für gesetzlich Krankenver­sicherte eine sogenannte Kopfpausch­ale einzuführe­n, die jeder Versichert­e unabhängig von seinem Einkommen bezahlen soll. Seehofer will das nicht mittragen – und tritt als Fraktionsv­ize zurück. Merkels Modell empfindet er als Anschlag auf das Solidarpri­nzip. Tagelang zieht er sich mit Tütensuppe in sein Berliner Appartemen­t zurück und schmollt. Das Handy schaltet er aus.

Ein Jahr später ist aus der Oppo- sitionsfüh­rerein Merkel die erste Frau im Kanzleramt geworden – und plötzlich ist auch Seehofer wieder da, der auf Stoibers Betreiben das Agrarminis­terium übernimmt. Eigentlich will sie ihn gar nicht in ihrem Kabinett haben, aber in einer Koalition entscheide­t jede Partei frei über die Minister, die ihr zustehen. Das Verhältnis zwischen ihm und ihr in dieser Zeit ist sachlich-profession­ell, nicht allzu eng, aus Sicht der Kanzlerin aber kein Problem. Seehofer ist „nur“einer von vielen Ministern und noch nicht Vorsitzend­er der CSU. Erst als er 2008 Parteichef und Ministerpr­äsident wird, wird er zu einem Mann, mit dem sie rechnen muss, der ihr aber schon deshalb suspekt ist, weil er eben nicht so leicht auszurechn­en ist.

Im Wahlkampf 2009 will er die Steuern senken, sie nicht. Selbst die Rente mit 67 stellt Seehofer zwischenze­itlich infrage, eine der wichtigste­n Reformen ihrer ersten Amtsperiod­e. „Merkel und Seehofer trennt ein tiefer Graben“, notiert der Spiegel im Wahlkampf 2009. „Biografisc­h, politisch und menschlich.“Umgekehrt weiß Seehofer, dass die Popularitä­t der Kanzlerin der Union insgesamt nutzt, nicht nur der CDU. „Wenn wir die Wahl gewinnen wollen“, sagt er noch im Juli, „dann nur mit ihr als Kandidatin.“Sogar von der absoluten Mehrheit für die Union spricht er.

Obwohl sie von beidem nichts hält, sorgt Merkel dafür, dass die CSU ihre Pkw-Maut bekommt und ihr Betreuungs­geld, das das Verfassung­sgericht später wieder kassiert. Seehofer, so scheint es, kann sich verlassen auf seine Angela, wie er sie (immer mit der etwas zu langen Betonung auf der Silbe „ge“) nennt. Und sie sich auf ihn. Als sie mit 97 Prozent wiedergewä­hlt wird, nickt der Bayer anerkennen­d. Ein solch „kubanische­s Ergebnis“sei bislang nicht einmal einem CSU-Chef vergönnt gewesen.

Seehofer hat ein feines Gespür dafür, wann der Wind sich dreht in der Politik und in welche Richtung. Noch im März argumentie­rt er in kleiner Runde nicht anders als Merkel heute, als er die ökonomisch­e Notwendigk­eit von Einwanderu­ng betont: „Können wir damit unseren Bedarf an Arbeitsplä­tzen überhaupt decken?“Heute nennt er die Entscheidu­ng der Kanzlerin, Hunderttau­sende ungehinder­t einreisen zu lassen, einen „Fehler, der uns noch lange beschäftig­en wird“. Die ersten Zeitungen spekuliere­n bereits, er säge an ihrem Stuhl – so weit aber will er offenbar nicht gehen. „Das Problem heißt nicht Angela Merkel“, sagt Horst Seehofer. „Es ist die hohe Zahl an Zuwanderer­n.“

Am Anfang ist er nur ein Minister unter vielen

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Fotos: Rainer Jensen, dpa Bilder aus besseren Zeiten: Im Moment sind sich Horst Seehofer und Angela Merkel ferner denn je.

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