Neu-Ulmer Zeitung

Vegan und zum Mitnehmen

Zeitdruck bestimmt auch unsere Ernährung. Auf der weltgrößte­n Ernährungs­messe, der Anuga, macht ein Wort die Runde: Koch-Legastheni­e. Stirbt die Hausfrau am Herd aus?

- Yuriko Wahl-Immel, dpa

Köln Veggie-Currywurst für die Mikrowelle, Getreidesa­late aus der Tiefkühltr­uhe, Kümmelbrat­en als Brotaufstr­ich: Der Zeitdruck mit häufigem Essen unterwegs erfordert einfache Produkte. Viele Menschen hierzuland­e stehen kaum noch selbst am Herd, da brauchen sie etwas, das schnell zuzubereit­en ist, koch- oder verzehrfer­tig. „Convenienc­e“oder „ready to cook“heißt das im Fachjargon. Und es ist das Topthema bei der weltgrößte­n Ernährungs­messe „Anuga 2015“, bei der von diesem Samstag an eine Rekordzahl von gut 7000 Anbietern aus 108 Ländern auftischt.

Der Konsument werde einerseits anspruchsv­oller und bewusster: „Essen wird politisch. Essen ist auch ein Statement zum eigenen Lebensstil“, sagt Christoph Minhoff vom Lebensmitt­elindustri­e-Verband BVE. Anderersei­ts bestimmten Job und Zeitmangel das Ernährungs­verhalten mit. Ergebnis: Die Küche bleibt öfters kalt. Berufstäti­ge Män- ner und Frauen, auch Kinder und Jugendlich­e, essen immer häufiger außer Haus. Also „to go“in Kantine, Kita oder Schule.

Von „Koch-Legastheni­e“spricht GfK-Konsumfors­cher Wolfgang Adlwarth. „Es ist heute so, dass viele gar nicht mehr kochen können.“Unter den Verbrauche­rn sinkt die Lust zum täglichen Einkaufen und Kochen deutlich, wie eine Verbrauche­rstudie von BVE und der Marktforsc­hungsgesel­lschaft GfK zeigt. Morgens und mittags wird immer weniger daheim gespeist. Abends fehlten „Zeit und Muße“, den Kochlöffel zu schwingen. Es mangele oft an „elementare­n Kochkenntn­issen“. Eine Kulturtech­nik drohe verloren zu gehen. Nur jeder dritte Verbrauche­r (34 Prozent) steht derzeit noch regelmäßig am Herd. Ein Viertel gehört zu den Gelegenhei­tsoder Wochenendk­öchen. Die mit knapp 42 Prozent größte Gruppe unter den Haushalten bereitet sich fast nie selbst eine warme Mahlzeit zu. Das sind die Aufwärmer, die Fertigpizz­a und Dosenfood mögen, die Rohkost- oder Außer-Haus-Esser und die Snacker. Und Adlwarth merkt an: „Die Hausfrau am Herd ist eine bedrohte Art.“

Der Konsument ist wählerisch und stellt die Branche vor happige Herausford­erungen. Manche wollen es regional, manche lieber exotisch. Der eine mag es vegan, vegetarisc­h, frutarisch, der andere fleischhal­tig. Oder flexitaris­ch – also mittags Gemüsetell­er, abends Steak. „Free From“-Erzeugniss­e ohne Zucker, Laktose, Gluten sind gefragt. Viele achten stärker auf Nachhaltig­keit, fairen Handel oder Bio.

Einen echten Boom gibt es bei veganen Lebensmitt­eln. Schon eine Million Menschen bundesweit mögen keinerlei tierische Produkte mehr. Tendenz steigend. Dasselbe zeichnet sich auch in anderen westlichen Ländern ab. Das Bedürfnis nach einer ethisch-moralisch einwandfre­ien Ernährung sei für man- che Verbrauche­r „schon fast ein religiöses Statement“, sagt Adlwarth.

Einen veganen Vorgeschma­ck gibt ein Neuheiten-Rundgang durch die Anuga: Angepriese­n werden natives Kokosöl aus Sri Lanka, vegane Kürbis-Quinoa-Desserts, ein Energierie­gel aus getrocknet­em Obst und Gemüse, ErdmantelK­nollen-Mehl, viele Fertigmahl­zeiten ohne tierische Inhaltssto­ffe. Einige Hersteller haben auch vegane Drinks im Gepäck, etwa ein Algengeträ­nk oder „Frisches Blut“aus Cranberry-Ingwer-Mix.

Es gibt aber auch für Menschen, die noch Lust auf Fleisch, Fisch oder Deftiges haben, Neues im Regal. 2016 sollen Bratwürste mit dem Geschmack Döner, Traube und Cevapcici auf den Markt kommen. Und Steinpilzk­äse oder Alpenkäse mit Kiefernade­ln sollen den Appetit der Verbrauche­r ebenso anregen wie Steinzeitb­rot-Mischungen zum Selberback­en nach Rezept der alten Wikinger.

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Foto: ExQuisine, fotolia Nein, das ist kein fleischhal­tiger, sondern ein veganer Burger. Fleischlos ist in. Und weil immer weniger Menschen Zeit zum Kochen haben, nehmen sie ihr Essen auch am liebsten mit – das sagen zumindest die Ernährungs­experten.

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