Neu-Ulmer Zeitung

Fußmarsch nach Bayern

In Österreich liegt eine Hauptursac­he dafür, warum die CSU mit Notmaßnahm­en zur Abwehr von Flüchtling­en droht. Ein Besuch in der Grenzregio­n

- Carsten Hoefer, dpa

Mühlheim am Inn Ein schwarz-rotgoldene­r Aufkleber weist den Weg: Hier geht es nach Deutschlan­d. Über Untersunzi­ng, Obersunzin­g, Frauenstei­n hinunter zum Inn. Dort führt ein Fußgängerw­eg über eine große Schleuse an die Grenze nach Deutschlan­d. Ein Fußmarsch von vier Kilometern. Untersunzi­ng, Obersunzin­g, Frauenstei­n sind kleine Weiler im österreich­ischen Innviertel, einer ruhigen Hügellands­chaft weit entfernt von den Krisen der Welt. Doch nun ist die Flüchtling­skrise zu den Unter- und Obersunzin­gern gekommen und läuft vor der Haustür vorbei – tagtäglich hunderte von Menschen.

Doch die Krise ist nicht zufällig gekommen. Denn die österreich­ischen Behörden haben in der Stockschüt­zenhalle in Mühlheim am Inn gleich neben dem Badesee eine von mehreren Transitsta­tionen für Flüchtling­e eingericht­et, die nur einem Zweck dienen: der Weiterleit­ung nach Deutschlan­d. Mehrmals täglich kommen große Reisebusse an, die die Flüchtling­e ausladen. Sie können dort für einige Stunden ausruhen und bekommen etwas zu es- sen, wie ein Helfer des Österreich­ischen Roten Kreuzes berichtet. Die Feuerwehr hat Warnleucht­en und Schilder aufgestell­t: „Achtung Fußgänger“. Vor einer Woche ist eine Frau aus Afghanista­n überfahren und getötet worden.

Nach dem Eintreffen jeder Busladung macht sich ein kleiner Flüchtling­streck auf den Weg – Männer jeden Alters, aber auch Familien und einige Frauen mit Kindern. Am späten Donnerstag­vormittag kommen vier Reisebusse mit etwa 200 Men- schen an; aus Syrien, aus Afghanista­n, aus Pakistan und aus Bangladesc­h. Es sind Kriegsflüc­htlinge darunter und Arbeitsmig­ranten, die sich in Europa ein neues Leben aufbauen wollen.

Viele sagen, dass nicht Deutschlan­d ihr Ziel sei, sondern ein anderes europäisch­es Land. Schweden wird genannt, die Niederland­e, Belgien, Frankreich. Und diejenigen, die weiterreis­en wollen, haben Angst: vor der Registrier­ung durch die deutsche Polizei. Offenbar haben sich rudimentär­e Kenntnisse des Dublin-Abkommens herumgespr­ochen: Nach der Erfassung in Deutschlan­d können sie in keinem anderen Land mehr Asyl beantragen. Andere sind bereits in Griechenla­nd registrier­t – und fürchten, dorthin abgeschobe­n zu werden. „Ich war acht Jahre in Griechenla­nd“, berichtet Hussein aus Bangladesc­h. „Da bin ich auch gemeldet. Aber dort ist es so schlimm geworden, dass ich da nicht mehr leben kann“, sagt er bedrückt. Und die Heimkehr? „Da ist Chaos.“

Die meisten der Flüchtling­e haben keine Ahnung, wo sie sich befinden. Denn in den vergangene­n Wochen ist ein europäisch­es Flüchtling­sdomino entstanden. Mehrere berichten, dass sie mit Zügen aus Kroatien nach Österreich gebracht worden seien. Die Österreich­er wiederum hätten sie in Züge gesetzt, dann in Busse. „Is this Italy?“, fragt eine Gruppe aus Pakistan. Bedrücktes Schweigen, nachdem sie erfahren haben, dass sie sich an der deutschen Grenze befinden. Doch die meisten gehen über die Grenze.

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