Lion Feuchtwanger – Erfolg (178)
EDUm die Begnadigung ihres zu Unrecht verurteilten Freundes zu erreichen, setzt Johanna alle Hebel in Politik, Kirche, Adel in Bewegung. Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman ISBN 978-3-7466-5629-8, Broschur, 878 Seiten, € 14,99. Mit freundlicher Genehmigung des Aufbau Verlages, Berlin ©
rich war in allen Versammlungen, sein Herz hob sich. Beinahe liebte er den Kutzner.
Gescheit oder dumm: meine
Heimatstadt
er empfängliche Herr Hessreiter, angetan von der Vielfalt und Beweglichkeit der großen Stadt, blieb lange in Berlin. Allmählich aber begann dieses scharfe, rasche Leben sein Gemüt zu heftig zu ätzen. Den ganzen Tag mit phantasielosen Menschen verhandeln, rechnen, bei der Sache bleiben, das war nichts für einen Mann mit Kultur und einer Villa am Englischen Garten. Immer mehr nach seinem München sehnte er sich, nach der Ludwigstraße, der Tiroler Weinstube, seinem Haus in Schwabing, nach der Isar, den Bergen, dem Herrenklub. Hatte er, durch die menschenwimmelnden Straßen gehend, zuerst seine Landsleute phlegmatisch gefunden, so fand er sie jetzt philoso-
phisch gelassen. Ihre Grobheit wurde ihm Naturhaftigkeit, ihr Mangel an Urteil Romantik, Poesie.
Er hatte ein Verhältnis angeknüpft mit einer kleinen Berliner Schauspielerin. Doch auch die war angesteckt vom Betrieb der Stadt, ihre Tage waren ausgefüllt von der Jagd nach Geld, Beziehungen, Karriere, Rollen, der Rolle. Sie hatte wenig Zeit für ihn, er vermißte an ihr Verständnis und Liebe für die kleinen Dinge seines Lebens.
Eines Abends, als sie ihn wieder wegen irgendeiner beruflichen Nichtigkeit versetzt hatte, überkam ihn die ganze Ödnis dieser seiner Berliner Tage. Er ging, um wenigstens Münchner Laute zu hören, auf den Anhalter Bahnhof zur Abfahrt des Münchner Zuges. Dort, als der Zug aus der Halle fuhr, mit einemmal erkannte er, was als nächste, dringlichste Aufgabe vor ihm lag. Groß stieg ihm, gelassen, immer mächtiger anziehend, das Bild Frau von Radolnys auf.
Daß ihm das erst so spät kam. An ihm lag es, die Geschichte zwischen der Stadt München und dieser Urmünchnerin wieder einzurenken, diesen dummen Boykott abzustellen. Stracks in das Büro lief er, einen Schlafwagenplatz für den nächsten Abend besorgte er. Er wird das ins Gleis bringen, wird Katharina männlich gegen die blöde Stadt in Schutz nehmen.
Seit seiner Rückkehr nach Deutschland war er für Katharina unsichtbar geworden. Er wird ihr auch jetzt nichts mitteilen, wird sie überraschen. Er strich den kleinen Schläfenbart, den er, seit vierzehn Tagen etwa, wieder angesetzt hatte. Mit ganzer Kraft hineingehen wird er in den Kampf für Katharina. Das Schlafwagenabteil, als er am nächsten Abend fuhr, war zu klein für seinen Tatendrang. „Wenn der Mut in der Brust seine Spannkraft übt“, dachte er zum Rhythmus der Räder. Er mußte ein Mittel einnehmen, um Schlaf zu finden.
Den Abend darauf ging er in Pfaundlers Theater, schaute sich die Revue „Höher geht’s nimmer“an. Nach den üblen Berichten über das Spiel fand er, was er sah, erstaunlich gut. Er lachte schallend über den Instrumentenimitator Bob Richards, die Lärminstrumente des Herrn Druckseis. Mit dem Elfenbeinstock, den er seit seiner französischen Reise ins Theater mitzubringen pflegte, stieß er angeregt den Boden, der Stierkampf riß ihn zu lautem Jubel hin. Von innen her aber wärmte ihm das Herz das Bild „Nackte Wahrheit“. Jünglinghaft bewegt genoß er die gelassen anmutige Fleischlichkeit seiner Freundin Katharina, denkend an gewisse Gemälde des flämischen Meisters P. P. Rubens. In der Pause suchte er Frau von Radolny in ihrer Garderobe auf. Er fand sie im Kostüm der tibetanischen Göttin, mit herzhaftem Hunger von einer Weißwurst herunterbeißend. Er hatte sich eine dekorative Begrüßung zurechtgelegt, die ihm jetzt verdorben war: aber auch so war es gut. Behaglich genoß er die Atemnähe der üppigen, rosigen, erfreulich anzuschauenden Frau. Katharina war klug, versteckte ihre glückhafte Überraschung, begrüßte ihn ohne Vorwurf und ohne Jubel, als wäre er gestern abend im besten Einvernehmen von ihr fortgegangen. Ein warmes, heimatliches Gefühl überkam ihn. Er begriff nicht, warum er den langen Umweg über Berlin gemacht hatte. Vergaß Johanna, Restaurant Orvillier in Paris, keramische Fabriken in Südfrankreich, Madame Mitsou, Unterhandlungen in Berliner Büros, Betrieb am Kurfürstendamm. Fort alles, weggeblasen vom Atem der Frau, die, während sie ihre Weißwürste aß, in ihrer alten, ruhevollen, freundschaftlichen Weise mit ihm redete. Herr Pfaundler hatte von Hessreiters Rückkehr gehört; man aß nach der Vorstellung zu dreien. Es wurde ein behagliches Mahl. Herr Hessreiter verglich Herrn Pfaundlers geschmackvolles Restaurant mit den Berliner Großgaststätten, in denen man sich an lieblos zubereitetem Essen bestenfalls zweckmäßig, doch ohne Genuß nährte. Während Katharina zuweilen gelassen beipflichtete, schimpften die beiden Männer auf Berlin. Schon war in Hessreiters fleischigem, jedem Eindruck hingegebenem oberbayrischen Kopf das romantische Bild der großen Stadt verblaßt, die ihm mit ihren Millionen Leitungen, Schächten, Röhren unter der Erde, ihren endlosen Häusern, wimmelnden Menschen auf der Erde, ihren Antennen, Lichtern, Flugzeugen in der Luft so imponiert hatte. Jetzt raunzte er über diese Menschen im Norden, über ihre Kälte, ihre Beziehungslosigkeit, ihren hastig nüchternen Betrieb, über ihre Landschaft: Sand, Kiefern, traurige, gelumpige, schmutzige Tümpel, überheblich Seen genannt. Herr Pfaundler stimmte lebhaft zu. Wie herrlich dagegen die Umgebung Münchens, wirkliche Berge, wirkliche Seen, und Herr Pfaundler lenkte über zu dem Besitztum Luitpoldsbrunn. Allein wie er leise an jene Absicht Katharinas rührte, Luitpoldsbrunn zu verkaufen, und von seinem Plan sprach, den Besitz zu pachten, stieß er bei Frau von Radolny auf eisige Gedächtnislosigkeit. So, hatte sie dergleichen geäußert? Sie konnte sich nicht erinnern. Auch Herr Hessreiter konnte nur den Kopf schütteln über ein solches Projekt, und Herr Pfaundler beeilte sich, auf die Revue zurückzulenken, die Leistung Frau von Radolnys schrankenlos bewundernd. Katharina nahm, durch die reuige, vorbehaltlose Rückkehr des Kommerzienrats Hessreiter rehabilitiert, behutsam wieder Besitz von ihrer früheren Stellung. Nach dem Abendessen fuhr Herr Hessreiter mit Katharina in seine Villa an der Seestraße. Dort, ohne die Vergangenheit mit einer Silbe zu erwähnen, versöhnte man sich. Jetzt erst fühlte sich Herr Hessreiter in Wahrheit heimgekehrt. Wie zehnfach gesteigert war die Behaglichkeit seines schönen Hauses jetzt, da er sie zusammen mit der verständnisvollen Freundin genoß. Die Schiffsmodelle, die Marionetten, der Krokodilschädel, die Folterwerkzeuge, die Nippessachen, wieviel inniger in dieser glücklichen Versöhnungsnacht nahm er sie in sein Gemüt auf. Wie anders jetzt klang selbst die Äolsharfe, da sie in die Ohren einer Vertrauten klang.