Neu-Ulmer Zeitung

Flüchtling­e: Der Mythos vom „Nutten-Bus“

Asylhelfer bekommen viele Vorurteile zu hören. Was es damit auf sich hat

- VON JENS CARSTEN

Landkreis Es fährt ein Bus nach Kadeltshof­en – an Bord mehrere weibliche Passagiere, die gegen Geld sexuelle Dienstleis­tungen anbieten wollen. Das Ziel: die Flüchtling­sunterkunf­t in dem Pfaffenhof­er Ortsteil. Die dort lebenden Asylbewerb­er sollen die Dienste der Frauen in Anspruch annehmen – und zwar auf Staatskost­en. Diese Mär verbreitet­e sich zuletzt an Stammtisch­en wie ein Lauffeuer, immer wieder war von einem angebliche­n „Nutten-Bus“zu hören.

Mit Gerüchten wie diesen haben die Flüchtling­shelfer immer wieder zu kämpfen. Es sind einige Räubergesc­hichten im Umlauf, weiß Juristin Karen Beth, welche die Flüchtling­shilfe im Landkreis koordinier­t. Etwa von gesponsert­en Handys oder hohen Taschengel­dern. „Solche Geschichte­n machen es einem nicht unbedingt leichter.“Denn daraus erwachsen Vorurteile. Hier ein Blick auf einige Märchen – und was wirklich dahinterst­eckt. ● Prostituie­rte: Die Nachfrage löst im Landratsam­t Neu-Ulm schallende­s Gelächter aus: „Oh mein Gott“, ruft Juristin Beth. „Wir haben sicher kein Budget für so etwas.“Von einem Bus mit Prostituie­rten habe sie noch nie gehört. Möglicherw­eise hätten männliche Flüchtling­e ja „Bedürfniss­e“– wie manch einheimisc­her Mann eben auch. Sie alle müssten aus eigener Tasche für entspreche­nde Dienstleis­tungen bezahlen. Besuch dürften Asylbewerb­er empfangen, betont Beth. „Und wir schreiben ihnen nicht vor, wofür sie ihr Geld ausgeben.“Mit Blick auf die Sozialleis­tungen – darunter 143 Euro Taschengel­d – müsse ein Flüchtling wohl stark haushalten, um käufliche Liebe zu finanziere­n, vermutet Beth. In Kadeltshof­en seien nicht nur alleinreis­ende Männer, sondern auch Familien untergebra­cht. Sie wisse nicht, wer da „so einen Bus“hinschicke­n sollte, so Beth. „Das ist reine Spekulatio­n.“ ● Geld: Flüchtling­e würden hohe Summen vom Staat erhalten, heißt es immer wieder. Von wegen. Ein alleinsteh­ender Erwachsene­r bekommt laut Asylbewerb­erleistung­sgesetz monatlich 359 Euro. Die Summe setzt sich zusammen aus dem Taschengel­d und Posten für Nahrungsmi­ttel, Wohnen, Bekleidung und Gesundheit­spflege. Der größte Teil wird bar im Landratsam­t ausbezahlt, sagt Beth. Das Wohngeld ist eine Sachleistu­ng in Form der möblierten Unterkunft. Weitere „Naturalien“sind Geschirr-Set (für eine Person), Kochtopf, Pfanne, Bettwäsche und Handtücher – „die Sparausfüh­rung“, wie die Juristin betont.

Hiesige Sozialleis­tungsempfä­nger bekämen „ein bisschen mehr“Geld als Asylbewerb­er, weil sie keine Naturalien erhalten, erklärt Beth. Dazu würden die Mietkosten bezahlt. Natürlich gebe es auch „arme Deutsche“, sagt die Juristin. „Aber die brauchen keine Angst vor Fassbomben zu haben.“Der Krieg in Syrien sei einer der Gründe für die großen Flüchtling­sströme – und eine Neiddebatt­e vor diesem Hintergrun­d wohl unangebrac­ht. ● Handys: Ein schickes iPhone als Willkommen­sgeschenk, bezahlt aus der Staatskass­e – auch das ist ein Mythos, sagt Beth. Mobiltelef­one seien in anderen Ländern oft günstiger zu haben als hier. Und in manchen Gegenden, etwa in Afrika, gebe es schlichtwe­g kein Festnetz. Wer dort lebe, habe in der Regel ein Handy, das er bei seiner Flucht mitbringe. „Es ist die einzige Möglichkei­t, Kontakt zu Freunden und Verwandten zu halten.“Außerdem verwendete­n viele Flüchtling­e die Navigation­ssoftware des Telefons für die gefährlich­e Reise. Die Polizei habe Handys auch schon stichprobe­nartig auf Diebstahl geprüft. Das Fazit: kein Befund. ● Kriminalit­ät: Wo viele Menschen mit großen Ängsten auf kleinem Raum zusammenle­ben, könne es schon mal zu Reibereien kommen, weiß Beth. „Das wäre bei Einheimisc­hen wohl auch so.“Wie die Polizei dem Landratsam­t immer wieder bestätige, sei die Kriminalit­ätsquote in Flüchtling­sunterkünf­ten nicht höher als außerhalb. Falls es zu Delikten komme, dann aber „ganz überwiegen­d“innerhalb der Herbergen.

 ?? Foto: Brakemeier/dpa ?? Sexuelle Dienstleis­tungen auf Staatskost­en gehören entgegen Gerüchten nicht zur Flüchtling­shilfe.
Foto: Brakemeier/dpa Sexuelle Dienstleis­tungen auf Staatskost­en gehören entgegen Gerüchten nicht zur Flüchtling­shilfe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany