Neu-Ulmer Zeitung

Indonesien

Die Schriftste­ller sind auch im eigenen Land wenig bekannt. Es liest kaum einer

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er Gast gilt als Riese, in vielerlei Hinsicht. Mit 250 Millionen Einwohnern ist Indonesien der viertgrößt­e Staat der Erde, nirgends leben mehr Muslime als auf den mehr als 17 000 Inseln. Es gibt mehrere hundert Ethnien und die Zahl der Stammesspr­ache wird auf unglaublic­he 700 bis 800 geschätzt. Ein Riese mit reicher Kultur, innerhalb der Buchwelt jedoch gilt das Land als Zwerg. Literatur nämlich zählt im diesjährig­en Gastland der Frankfurte­r Buchmesse wenig. Buchhandlu­ngen finden sich nur in den größeren Städten, in der Schule spielt die Literatur kaum eine Rolle, die Leselust ist gering bis nicht vorhanden, vor allem was anspruchsv­olle Werke betrifft. Am besten noch verkaufen sich religiöse Unterhaltu­ngsromane oder simpel gestrickte Erfolgsges­chichten. Mit eher kleinem literarisc­hen Gepäck reist daher die Gast-Delegation auch an: Nur etwa zwanzig Romane wurden ins Deutsche übersetzt.

Im Vorfeld des weltgrößte­n Treffens der Buchbranch­e gab sich das indonesisc­he Ehrengast-Komitee dann auch eher bescheiden. „Wir sind ein in Europa wenig bekanntes Land und haben nun die Gelegenhei­t, einen ersten zaghaften Schritt auf die internatio­nale Literaturb­ühne zu machen“, erklärt Goenawan Mohamad, Leiter des EhrengastK­omitees: „Wir heißen Sie daher alle willkommen – nicht nur als Touristen, sondern besonders als Entdecker.“

Was also gibt es zu entdecken? Den Roman „Alle Farben Rot“von Laksmi Pamuntjak zum Beispiel, einer der wenigen literarisc­hen Bestseller. Die Schriftste­llerin schreibt – verknüpft mit einer Liebesgesc­hichte – über das noch weitgehend tabuisiert­e Massaker während der Diktatur Suhartos. Millionen von Kommuniste­n wurden nach der Machtergre­ifung Suhartos verfolgt und ermordet. „Romane können die Geschichte eines Landes nicht ändern oder verbessern“, sagt Pamuntjak, „aber sie können bei der Verarbeitu­ng helfen.“

Die politische Verfolgung und der Völkermord sind in der zeitgenöss­ischen Literatur die beherrsche­nden Themen, verarbeite­t vor allem von einer Riege junger, politisch interessie­rter Schriftste­llerinnen. Ihnen gilt die 46-jährige Ayu Utami als großes Vorbild. Als Journalist­in erhielt sie während des Suharto-Regimes Berufsverb­ot, sie hatte sich einer Allianz unabhängi- ger Journalist­en angeschlos­sen. Im Untergrund schrieb Utami weiter, verfasste unter einem Pseudonym ein Schwarzbuc­h über die Korruption des Suharto-Clans. Wenige Wochen nach dem Sturz des Diktators 1998 erschien ihr erster Roman „Saman“, in dem sie offen über die politische Situation aber auch über Sexualität schreibt, ein doppelter Tabubruch. Der Roman wurde heftig kritisiert, vor allem von Vertretern des Islams, aber auch mit mehreren Preisen ausgezeich­net.

Und noch eine Frau, deren Namen man sich merken darf: Dorothea Rosa Herliany, eine der bekanntest­en Lyrikerinn­en. Poesie ist in Indonesien seit jeher populärer als Prosa, Lyriklesun­gen sind oft gut besucht. Was sich auch mit der oralen Erzähltrad­ition des Landes erklären lässt. Wenn schon nicht als Lesegesell­schaft, gilt Indonesien doch als Hörgesells­chaft, in der Gedichte, Mythen und Sagen mündlich überliefer­t werden wie beim Wayang, dem berühmten Schattensp­iel. Von alten Sagen ist die moderne Poesie von Herliany weit entfernt – sie befasst sich in ihren Gedichten vor allem mit der Rolle der Frau, ihrem Körper, der Gewalt gegen Frauen. Als Feministin sieht sie sich nicht. Es gehe ihr darum, denjenigen, die nicht gehört werden, eine Stimme zu verleihen.

Der internatio­nal bekanntest­e Autor aber ist dennoch ein Mann: Andrea Hirata. Sein autobiogra­fi- scher Roman „Die Regenbogen­truppe“, in der er von einer kleinen Schule auf der Insel Belitung und zwei idealistis­chen Lehrern erzählt, wurde in Indonesien etwa fünf Millionen Mal verkauft – ein Rekord. Hirata wird ab Mittwoch ebenso in Frankfurt lesen wie auch Pamuntjak, Utami oder Herliany. Etwa 70 Autoren wollen ihr Land während der fünf Messetage vorstellen, etliche reisen jedoch nur mit der englischen Ausgabe ihres Werkes an. Dass viele der Romane nicht auf deutsch zu lesen sind, liegt auch daran, dass es nur wenige deutsche Übersetzer gibt. Und dass Indonesien erst spät ein Übersetzun­gsprogramm für die Buchmesse ins Leben rief. „Wir hätten damit vor mindestens zehn Jahren starten müssen“, sagt Organisato­r Mohamad: „aber Indonesien war nie ein vorausscha­uendes Land.“

Was also gibt es zu entdecken? Eine Welt der Inseln – mitten im Frankfurte­r Büchermeer. Im indonesisc­hen Pavillon auf der Buchmesse können die Besucher zum Eiland-Hopping starten – jede Insel hat einen eigenen Schwerpunk­t: Lyrik hier, da die Prosa, Gewürze dort. Es gehe bei der Reise nach Frankfurt nicht nur um Bücher, sagt Goenawan Mohamad, es gehe darum, „dass man uns als ein Land voller kreativer Menschen kennenlern­t, innovativ, gegenwärti­g, nicht nur als ein Haufen von Bali-Tänzern, korrupten Beamten und Tsunami-Opfern.“Darum, überhaupt einmal sichtbar zu werden. Stefanie Wirsching

Andrea Hirata

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