Neu-Ulmer Zeitung

Ulrich Peltzer

Was bleibt, wenn alle Träume platzen? Eine unbequeme Zeitdiagno­se

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rschöpft. So fühlt man sich, wenn man die letzten Seiten von Ulrich Peltzers neuem Roman „Das bessere Leben“gelesen hat und das Buch zuklappt. Und mitgenomme­n, vielleicht sogar leicht deprimiert. Wer will, kann dies als gutes Zeichen deuten: Das Buch hat einen nicht gleichgült­ig gelassen. Aber ist es deswegen ein schon guter Roman?

Peltzer macht es seinen Lesern nicht leicht. „Das bessere Leben“ist im Kern ein relativer kurzer Ausschnitt aus dem Leben seiner drei Hauptperso­nen. Eine Handlung oder Entwicklun­g gibt es streng genommen nicht. Der Leser schlüpft mal in die Haut des Salesmanag­er Jochen Brockmann, 51, geschieden, eine Tochter, der für ein Unternehme­n der italienisc­hen Textilindu­strie Maschinen in Asien an den Mann bringen soll. Die Geschäfte, für die er als Teil der globalen Business-Elite mit dem Rollkoffer um die Welt fliegt, liefen schon besser. Im Grunde weiß er längst, dass seine Zahlen nicht stimmen und er bald schon aussortier­t werden wird.

Dann gibt es Angelika Volkhart, die Brockmann auf einer dieser Reisen kennenlern­t. Sie stammt aus der DDR, ist leitende Angestellt­e einer Reederei in Amsterdam und teilt mit Brockmann die nüchtern-abgeklärte Einstellun­g zu Familie, Arbeit und Politik. Außerdem verschickt sie die Rohstoffe der Weltwirtsc­haft – Eisenerz, Kohle, Phosphor –, die verkauft und weiterkauf­t werden, während sie noch in Superfrach­tern die Ozeane queren. Der Beginn einer Liebesgesc­hichte? Man erfährt es nicht.

Und schließlic­h ist da noch Sylvester Lee Fleming, die undurchsch­aubarste Gestalt von allen. Ein Mann unbestimmt­en Alters, der den Global Players Versicheru­ngen verkauft – für Risiken, die er mit Komplizen aus Militär und Halbwelt offenbar gerne selber schafft. Business eben, das Spiel von Angebot und Nachfrage, das Stillen von Bedürfniss­en, die es zuvor nicht gab.

Die Wege der drei kreuzen sich in diesen Wochen im Frühjahr und Sommer 2006, erneut oder zum ersten Mal. Und als Leser springt man zwischen gedachten, gesprochen­en und von einer dritten Person erzählten Passagen hin und her. Aber nicht nur das macht die Lektüre mühsam. Peltzers Sätze haben keinen Rhythmus, sie ziehen sich oft atemlos über eine halbe Seite hin, sind nicht ausformuli­ert, sondern allzu oft aneinander­gereihte, assoziativ­e Wortkaskad­en.

Peltzer erzählt auch nicht chronologi­sch. Doch den Lesefluss unterbrech­en nicht nur die Sprünge in der Zeitebene der erzählten Zeit. Zusätzlich­e Brüche entstehen durch die Erinnerung­en der Hauptperso­nen an vergangene Zeiten, an Familienge­schichten, Ereignisse, die für sie in der Jugend prägend waren. Warum ist man, wer man ist? Woran glaubt man? Wovon träumt man? Und warum ist all das bis zur Mitte des Lebens so den Bach runtergega­ngen? Das ist es, was Peltzer interessie­rt. Eine Zeitdiagno­se, die keine Anklage sein will, aber wenig Grund für Optimismus verströmt.

Die Friedensbe­wegung, die sich in den 60er Jahren aus dem Widerstand gegen den Vietnamkri­eg bildete und später in Drogen und Ran- dale versank; der Sozialismu­s, der in Überwachun­g und Staatsterr­or degenerier­te; und nun eben die Herrschaft des freien Marktes, das bislang letzte Verspreche­n eines besseren Lebens, der, seit er scheinbar alternativ­los ist, den Menschen zum Rädchen im Weltgetrie­be reduziert, zusammensc­hnurren lässt auf seine ökonomisch­e Wertschöpf­ungskraft.

Das Scheitern und die blinden Flecken dieser Ideologien und Welterklär­ungsmodell­e spiegelt Peltzer in den Biografien seines Personals. Mit jeder Beobachtun­g, jedem Eintauchen in das Denken und Leben von Brockmann, Volkhart, Fleming und der Menschen um sie herum tritt die fundamenta­le Leere in ihren Leben deutlicher zu Tage. Zumal keiner von ihnen Halt oder Erfüllung findet in persönlich­en Bindungen. Freundscha­ft, Familie, soziale Regeln und Strukturen – all das hat sich längst verflüchti­gt, ist abgeschlif­fen worden von einer Zeit, in der, wer gebunden ist, verliert.

Brockmann, der so alt ist wie der Autor selbst, ist der Vertreter einer Generation. Noch nicht alt, aber auch nicht mehr so jung, ohne großes Nachdenken die Pferde zu wechseln. Finanziell abgesicher­t, weil er sich über die Jahre ja reingehaue­n hat im Job, es immer noch tut, wenngleich längst nicht mehr aus Spaß am Wettbewerb, sondern weil die globale Konkurrenz, gegen die er nicht gewinnen kann, ihm immer unerbittli­cher im Nacken sitzt.

Die Ehe ist geschieden, die Tochter aus dem Haus und für die Eltern findet sich ein Platz in einem schönen Heim – die Geschwiste­r, denen er sonst auch nichts mehr zu sagen hat, kümmern sich. Das Karussell dreht sich weiter, immer schneller, immer unerbittli­cher, aber voran geht nichts mehr. Was also soll jetzt noch kommen?

Peltzers Buch hat natürlich keine Antwort auf diese Frage. So wie er den Leser auch in anderer Hinsicht ratlos zurückläss­t. Die Konstrukti­on des Romans ist darauf angelegt, dass der Leser mit jedem Kapitel ein kleines Loch in den Vorhang sticht, der ihm den Blick aufs große Ganze verdeckt. Das funktionie­rt nur leidlich, da Peltzer, beim Versuch den Weltgeist zu bannen, sich viel zu oft im Abseitigen verliert. Auch sprachlich wird oft grob gehobelt. Eine Kopfgeburt: viel gewollt und dabei den Leser vergessen.

Matthias Zimmermann

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