Gramscis Leben als Liebesroman und Politikkrimi
Antonio Gramsci sitzt in der Falle. Der große politische und philosophische Geist, der seit Kindertagen in einem verwachsenen, kleinen und kränkelnden Körper steckt, ist verliebt. Julia Schucht tritt in sein Leben. Mit ihr noch ihre Schwestern, die den charismatischen marxistischen Denker nicht minder verehren. Doch für die Liebe hat Gramsci eigentlich keine Zeit. Zu unruhig ist die politische Lage in den 20er und 30er Jahren. Zu sehr muss er mit seinen Kräften haushalten, um seine Gedanken wenigstens zu Papier zu bringen. Zu viele Feinde hat er. Schließlich landet er im Zuchthaus und stirbt 1937. Gramscis Gefängnishefte sind legendär. Doch wurde eines zurückgehalten?
Hier setzt Nora Bossongs Roman an, dessen Titel eine der Körpertemperaturen des dahinsiechenden Gramsci aufgreift: 36,9 Grad. Denn dessen Leben, Lieben und Leiden ist nur ein Erzählstrang in dem sprachlich sehr gut und atmosphärisch dicht erzählten Buch. Zweiter, aber fiktionaler Protagonist ist Anton Stöver. Sohn einer Kommunistin und Gramsci-Verehrerin (daher die Vornamensgleichheit), gescheiterter Wissenschaftler und notorischer Frauenverführer. Er soll das Gefängnisheft finden. Doch nicht die Recherche dominiert den in der Gegenwart spielenden zweiten Teil, sondern Stövers Ehedrama. Das liest sich zwar auch schön. Doch die Erzählstränge verbinden sich gerade am Ende leider so gar nicht, was ein wenig enttäuscht. Daniela Hungbaur Nora Bossong: 36,9˚ Hanser, 320 Seiten, 19,90 Euro