Javier Marías
Eine alte, dumme Geschichte, schillernde Figuren, Sex und eine zerrüttete Ehe
(angeblichen) Sexualleben und den wechselnden Partnerinnen erzählen, ihn durch die Kneipen schleifen und beobachten, wie er sich gegenüber den Frauen beträgt. Muriel „bedingungslos ergeben“, tut Juan, was von ihm verlangt wird.
So zügellos dieser Roman passagenweise ist – mit dem Wort „vögeln“wird nicht gespart – , so thematisiert Javier Marías Grundfragen, die sich der Einzelne oder eine Gesellschaft stellen kann. Wie ist umzugehen mit all dem Schlimmen, was geschieht und geschehen ist? Mit all den Gemeinheiten und Verletzungen, die Menschen einander antun? Müssen der Verrat, die böse Tat ans Licht kommen, auch dann, wenn der Verräter nicht durch und durch böse ist, sondern Menschen das Leben rettet? „Was geschieht, ist geschehen“, heißt es im Roman. „Erst nachdem wir genickt und mit den Schultern gezuckt haben, bleibt das Schlimmere wirklich hinter uns, denn dann ist es zumindest Vergangenheit. Und so fängt das lediglich Schlimme an, das nämlich, was noch nicht eingetroffen ist.“
Immer wieder baut Javier Marías ins Romangeschehen längere Passagen der eigenen Weltbetrachtung ein. So reflektiert er, wie auch sonst in diesem Roman mit einer unbändigen Lust an Bandwurmsätzen, das Erzählen an sich. Er fragt danach, wie glaubwürdig all das ist, was auf „unzähligen gedruckten Seiten“und „abertausend Leinwänden“, den „Bildschirmen von Fernsehern und Computern“erzählt wird. Die Handys, „die heute alle Welt aus nächster Nähe befragt“, sind für ihn die „Kristallkugeln“, die zwar nicht die Zukunft voraussagen, aber „über das informieren, was vor einer Sekunde weder existierte noch geschehen war“.
In den letzten Kapiteln des Romans sind die Knoten aufgeschnürt – die Ursache der zerrütteten Ehe ist gefunden. Ans Licht gekommen, bewahrt sie aber nicht vor einem tragischen Ende. Schon längst auch hat der junge Juan seinen Auftrag erfüllt und ist hinter das dunkle Geheimnis des Kinderarztes van Vechten gekommen, wenn es denn stimmt. Das bleibt offen. Eduardo Muriel interessiert sich schon längst nicht mehr dafür. „Und nein, keine Worte!“, schließt dieses Buch auf Seite 639 und lässt einen Leser zurück, der darüber lächelt, wie viele Worte Marías gebraucht hat, um diese Geschichte zu erzählen. Aber schön war sie doch. Alois Knoller Javier Marías: So fängt das Schlimme an Übers. von Susanne Lange, S. Fischer, 640 Seiten, 24,99 Euro