Rüdiger Safranski
Was uns zu Getriebenen macht und die Politik handlungsunfähig
notwendigen Entschleunigung das Wort. Er geht viel weiter. Denn das Problem ist für ihn ein viel umfassenderes. Wir werden nämlich nicht nur durch die Geschwindigkeit der globalisierten Welt überfordert, aus der es in der Ära der „vergesellschafteten Zeit“kein Entkommen mehr zu geben scheint. Wir werden nicht nur von der schieren Masse an globaler Gegenwart, die medial immerzu auf uns einströmt, überwalzt – sodass wir, wo wir einst auf eine vereinzelte, plötzliche Katastrophe durch Mitgefühl reagieren konnten, nun eben durch ständige emotionale Befeuerung stumpf werden.
Wir schleppen zudem auch noch einen immer mächtigeren Berg gespeicherter Vergangenheit mit uns herum, wo dank der Digitalisierung doch alles leicht aufgenommen und verbreitet werden kann. Das kann man mit Safranski „Terror“nennen. Der Zwang, in alledem auf der Höhe der Zeit zu bleiben und dabei seine Lebenszeit auch noch möglichst effektiv einzurichten, bedeutet jedenfalls sicherlich eine unterschwellige „Diktatur“. Und da reicht eben gelegentliche Entschleunigung als Gegenmittel nicht hin. Sondern nur, so der Philosoph, der ja nicht von ungefähr bereits Rich- tungsweisendes über Goethe und Schiller sowie über die Romantik geschrieben hat, ganz klassisch: Aufklärung. Und das heißt hier: die Besinnung auf die „Eigenzeit“.
Was das bedeutet, wird bei Safranski mit vielen Rückgriffen auf Martin Heideggers Großwerk „Sein und Zeit“deutlich. Es lässt sich durch eine ganz einfache Beobachtung erschließen: Gehen Sie an zwei unterschiedlichen Tagen den gleichen Weg durch den gleichen Wald in der gleichen Zeit – die Zeit wird Ihnen je nach Stimmung ganz unterschiedlich und auch ganz unterschiedlich lang vorkommen. Und das gibt den Hinweis auf die wesentliche Dimension, die menschliche nämlich. Mag die objektiv vertickende Zeit noch so mächtig geworden sein – der Mensch erweist sich in seiner fundamentalen, mit seinem Sein immer schon vorhandenen Freiheit gerade unabhängig davon.
So kann sich gerade im scheinbar ausdehnungslosen Jetzt die Ewigkeit offenbaren, die unser Leben in der objektiven Zeit nie hat. Und auch die Vergänglichkeit gehört wesentlich zum Leben, hat mit der Uhr nur indirekt zu tun. Dieses Bewusstsein zu schärfen, hilft dieses schöne Buch. Wolfgang Schütz Rüdiger Safranski: Zeit – Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen Hanser, 272 Seiten, 24,90 Euro