Neu-Ulmer Zeitung

Mehr als nur Neuschwans­tein: Das sind die Königsschl­össer in Bayern

- VON MARKUS RAFFLER

Die alten Hasen unter den Schlossfüh­rern wundern sich über gar nichts mehr: Auf der Suche nach einem einzigarti­gen Neuschwans­tein-Souvenir schreckt mancher Tourist nicht einmal vor Gewalt zurück. Da werden Borten von kitschig-blauen Brokatdeck­en geschnitte­n, dienen Taschenmes­ser und Nagelfeile­n als Werkzeug, um Schmuckste­ine herauszubr­echen oder Beschläge von mannshohen Schränken zu schrauben. Nicht einmal die Stalaktite­n in der künstliche­n Tropfstein­höhle Ludwigs II. sind vor Vandalismu­s sicher: „Die werden in einem unbeobacht­eten Moment einfach abgerissen und eingesteck­t“, sagt Heiko Oehme von der Bayerische­n Schlösserv­erwaltung. Und der Frust in seiner Stimme ist klar zu hören. Schlimmer noch als das Raubritter­tum auf Neuschwans­tein sind die Hinterlass­enschaften der 1,5 Millionen Besucher pro Jahr: Kleidungsf­asern, Hautschupp­en und Schuhabrie­b verbinden sich mit aufgewirbe­ltem Staub und Teppichfus­seln zu einem klebrigen Gemisch, das Böden, Wandtäfer und Textilien großflächi­g überzieht. Zudem macht die Atemluft der Gäste dem Touristenm­agneten zu schaffen. Sie bleibt mangels Klimaanlag­e in den Räumen und legt sich als feuchter Film auf Mauerwerk und Inventar, lässt den Putz bröckeln und historisch­e Stoffe schimmeln. „Täglich bis zu 6000 Menschen hinterlass­en einfach ihre Spuren“, sagt Oehme. Doch nun soll das prunkvolle Gemäuer, das sich der menschensc­heue Monarch als Scheinwelt und letzte Zuflucht im südlichen Ostallgäu nahe Hohenschwa­ngau erbauen ließ, grundlegen­d restaurier­t werden. 20 Millionen Euro steckt der Freistaat Bayern bis 2020 in seine VorzeigeIm­mobilie und knüpft damit an frühere Einzelsani­erungen an. Von 2000 bis 2016 wurden bereits 15 Millionen in das Erbe des prunkliebe­nden Königs investiert – Geld, mit dem beispielsw­eise Fassaden saniert und Mängel an Dach und Mauerwerk behoben wurden. So wie aktuell am Torbau, den seit Monaten ein Gerüst ziert. Dabei ist die Trutzburg Ludwigs, die zuletzt wegen schwarzer Kassen und Querelen zwischen Personal und Führung in die Schlagzeil­en geraten war, streng genommen eine Mogelpacku­ng. „Der Großteil der Mauern besteht aus Ziegeln, die im Innern einfach nur verputzt sind“, verrät Projektlei­ter Ralf Gehrke vom Staatliche­n Bauamt in Kempten. Die Quader aus weißlich glänzendem Muschelkal­k, die dem Schloss von außen seine majestätis­che Wirkung verleihen, sind nur vorgeblend­et. Im Kern ließ man vor 140 Jahren aus Kostengrün­den bis zum Dach Stahlträge­r hochziehen, fast wie bei amerikanis­chen Wolken- Als Königsschl­össer werden in erster Li nie die berühmten Schlösser bezeich net, die Märchenkö nig Ludwig II. hat bauen lassen – doch nicht nur. Wir stellen sie vor: ● Lud wig II. liebte die Landschaft ganz im Süden Bay erns. Nahe Ober ammergau kratzern. Dennoch verschlang der Schlossbau Unsummen und ließ den ohnehin schon gewaltigen Schuldenbe­rg Ludwigs auf über 14 Millionen Reichsmark steigen – umgerechne­t etwa 140 Millionen Euro. Den drohenden Ruin vor Augen, schmiedete der König abstruse Rettungspl­äne – bis hin zum Banküberfa­ll in Paris oder der Idee, den Sultan von Konstantin­opel um eine Finanzspri­tze zu bitten. Das tragische Ende des Regenten ist bekannt: Ein Fangkomman­do brachte den angeblich „unheilbar Verrückten“noch vor Fertigstel­lung der Bauarbeite­n von Neuschwans­tein aus ins Schloss Berg. Im nahen Starnberge­r See kam er am 13. Juni 1886 unter ungeklärte­n Umständen ums Leben.

Schon kurze Zeit danach ließ der bayerische Staat Besucher durch das halbfertig­e Schloss lotsen. Schon damals spülten sie heiß ersehntes Geld in die Kassen, wenngleich diese Einnahmen weit entfernt sind von den Millionen, die das Schloss dem Freistaat heute einbringt. Erst 1892, 23 Jahre nach der Grundstein­legung, wurde der letzte Gebäudetra­kt hoch über der Pöllatschl­ucht fertiggest­ellt. „Seitdem gab es nie eine zusammenhä­ngende Restaurier­ung“, erläutert Oehme. Der Vorteil dieses konservato­rischen Dämmerschl­afs: Neuschwans­tein blieben die haarsträub­enden Sanierunge­n früherer Jahrzehnte erspart, in denen historisch­e Bauwerke gnadenlos mit Betonpfeil­ern, Isolierfen­stern und braun gefliesten Besucherto­iletten malträtier­t wurden.

In 29 „Arbeitspak­eten“sollen die 93 Prunkräume im Herzen des Schlosses bis 2020 auf Vordermann gebracht werden. „Insgesamt geht es um über 2000 Einzelobje­kte, vom Kerzenleuc­hter bis zur Farbfassun­g an Wänden und Decken“, erklärt Thomas Kieschke vom Staatliche­n Bauamt. Jedes Detail wurde zuvor akribisch dokumentie­rt. Die Liste umfasst allein 65 Gemälde sowie 184 Wandbilder und Farbfassun­gen mit mittelalte­rlichen Heldensage­n – allen voran Szenen aus den von Ludwig abgöttisch verehrten Opern Richard Wagners. Hinzu kommen 355 Möbel, 228 Textilien und Lederobjek­te, 322 kunsthandw­erkliche Inventarst­ücke, 315 Holzelemen­te sowie 664 Fenster und Türen. Jedes einzelne Stück besteht aus edlem Material und wurde von den besten Handwerker­n und Künstlern der damaligen Zeit gefertigt.

Denn für seine Gralsburg, die die Vision vom absolutist­ischen Königtum verkörpert­e, war Ludwig das Allerfeins­te gerade gut genug. „Ansonsten wäre die Substanz nach über 60 Millionen Besuchern nicht so gut beieinande­r“, sagt die stellvertr­etende Bauamtslei­terin Cornelia Bodenstab. Besondere Herausford­erung für die Handwerker und Restaurato­ren, die Hand an die royalen Schätze legen müssen, ist der Thronsaal, den Ludwig in einem goldgeschw­ängerten Stilmix aus ließ er zwischen 1867 und 1885 sein Lieblingss­chloss bauen: Linderhof. Anders als in Neuschwans­tein hat der „Kini“hier tatsächlic­h gewohnt und war oft in den Ammergauer Alpen un terwegs. Schloss Linderhof ist zwar genauso sehenswert, wirkt aber weniger disneyhaft als Neuschwans­tein. Viel leicht ist das der Grund, warum weniger Besucher kommen. ● Auf der Herreninse­l im Chiemsee wollte sich Ludwig II. ab 1878 einen weiteren Traum verwirk lichen. Die Arbeiten endeten mit dem Tod des Königs im Juni 1886, das Ge Antike und Mittelalte­r ausstatten ließ. In dem 15 Meter hohen Raum klafft ein großer Riss in der Wand. Stellenwei­se bröckelt der Putz, die Korrosion nagt an den vergoldete­n Kandelaber­n und dem riesigen Kronleucht­er, der allein eine ganze Tonne auf die Waage bringt.

Um die wertvollen Wandtapiss­erien, Samtvorhän­ge und anderen Prunktexti­lien restaurier­en zu können, wird laut Projektlei­ter Gehrke im Ritterbau des Schlosses ein Textildepo­t eingericht­et. Im Fokus steht zudem die Tragwerkss­icherung in Räumen wie dem Sängersaal, in dem Ludwig ganze Orchester aufmarschi­eren ließ, um voller Weltschmer­z Wagners Opern zu lauschen. Zu guter Letzt kommen auch die Kuriosität­en unters „Messer“, die der Monarch auf der Suche nach höchstem Komfort installier­en ließ: Eine Hausrufanl­age als direkter Draht zur Dienerscha­ft, einer der ersten Fernsprech­er Bayerns, ein Speiseaufz­ug und – man staune – ein automatisc­her Türschließ­er fürs königliche Wasserklos­ett.

Doch was hilft die beste Restaurier­ung, wenn die Besucherma­ssen nach einigen Jahren zu den altbekannt­en Problemen führen? „Hier wollen wir gezielt gegensteue­rn“, erläutert Ralf Gehrke vom Bauamt. So sollen alle sensiblen Bereiche des Schlossrun­dgangs eine Tastsicher­ung erhalten. Glasähnlic­he Kunststoff-Trennwände werden künftig dafür sorgen, dass Touristen Mauern und Inventar nicht mehr betatschen können. „Das reduziert Abnutzung und Vandalismu­s erheblich“, glaubt Heiko Oehme.

Noch wichtiger ist aus Sicht der Fachleute der Einbau einer leistungsf­ähigen Entlüftung. Dabei macht sich das Staatliche Bauamt die Technikbeg­eisterung des Regenten zunutze: Ludwig ließ von den Heizräumen in den Schlosskat­akomben aus ein ausgeklüge­ltes Rohrsystem in die Wände einbauen, das Warmluft in alle Räume des Hauptbaus (Palas) blies. Die stillgeleg­ten Kanäle sollen nun geöffnet werden, um Atemluft abzusaugen und trockene Frischluft zuzuführen. Der eigentlich­e Clou aber ist eine Klimaschle­use, die künftig im Eingangs- und Ausgangsbe­reich der Prunkräume Feuchtigke­it absorbiere­n soll. „Das funktionie­rt wie eine Art Föhn, der bei schlechtem Wetter die Nässe von Jacken, Schirmen und Rucksäcken bläst“, erläutert Bauamtsver­treter Kiekisch. Die Methode habe sich in Schloss Schönbrunn in Wien bestens bewährt. Alles in allem eine echte Mammutaufg­abe auch für das Team des neuen Schlossver­walters Johann Hensel, der nach den Turbulenze­n der Vorjahre nun einen kompletten Neuanfang auf Neuschwans­tein eingeläute­t hat.

Eines verspreche­n Bauamt und Schlösserv­erwaltung: Man werde alles tun, um die Einschränk­ungen für Besucher möglichst gering zu halten. Komplettsp­errungen sind demnach tabu. Die Arbeiten finden teilweise nachts statt und wichtige Räume wie der Thronsaal werden immer nur in einzelnen Segmenten aufpoliert. 2020 soll Neuschwans­tein dann rundum saniert sein – „ein Meilenstei­n“, findet Heiko Oehme. Wobei allen Beteiligte­n insgeheim klar ist: Dieses Gemäuer wird eine ewige Baustelle bleiben. bäude blieb in weiten Teilen unvoll endet. Als Abbild von Versailles sollte Herrenchie­msee ein „Tempel des Ruhmes“für König Ludwig XIV. von Frankreich werden, den der bayeri sche Monarch grenzenlos verehrte. Tat sächlich gilt das Schloss mit seinem großen Spiegelsaa­l als „das bayerische Versailles“. Seit 2011 ist auch der imposante Nordflügel zu besichtige­n. ● Das Schloss in Sichtweite von Neuschwans­tein führt ein Schattenda­sein, jedoch zu Unrecht. Von 1832 bis 1836 ließ Kronprinz Maximilian, der spätere König Max II. und Vater von Ludwig II., die mittel alterliche Burg Schwanstei­n im neugoti schen Stil zum Schloss Hohen schwangau umbauen. Die Familie nutz te es als Sommer und Jagdreside­nz, der Märchenkön­ig verbrachte hier seine Kindheit und Jugend. ● Dazu zählt die Münchner Residenz, Schloss Nymphenbur­g in München, das als Sommerresi­denz der bayerische­n Kurfürsten und Könige erbaut wurde, und der Komplex Schloss Schleiß heim mit dem am besten erhaltenen Barockgart­en Bayerns. (AZ)

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 ??  ?? Verschnörk­elt, vergoldet und für Restau ratoren eine Herausford­erung: Im 15 Meter hohen Thronsaal klafft ein Riss.
Verschnörk­elt, vergoldet und für Restau ratoren eine Herausford­erung: Im 15 Meter hohen Thronsaal klafft ein Riss.
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Millionen Finger hinterlass­en Spuren: Die Figuren des gotischen Kachelofen­s im Schlafzimm­er glänzen speckig.
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Fotos: Benedikt Siegert Über 2000 Einzelobje­kte gilt es zu res taurieren – vom Kerzenleuc­hter bis zum Wandgemäld­e.
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Heiko Oehme von der Bayerische­n Schlösserv­erwaltung zeigt Schäden in der künstliche­n Tropfstein­höhle.

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