Neu-Ulmer Zeitung

Was hat er, was sie nicht hat?

Glaubt man Umfragen, wollen die Deutschen, dass Martin Schulz Bundeskanz­ler wird. Die Union reagiert verunsiche­rt auf die Zahlen der Meinungsfo­rscher. Doch die Wahl wird nicht nur das Duell der Kandidaten entscheide­n

- VON MICHAEL POHL

Es sind Sätze, wie sie der kühlen Politikstr­ategin Angela Merkel niemals über die Lippen kommen würden, schon gar nicht öffentlich. Er „schwitze den Machtanspr­uch ja aus jeder Pore“, sagte ihr Herausford­erer Martin Schulz vor einiger Zeit. Damit meinte der Sozialdemo­krat aus Würselen zwar nicht seine Ambitionen auf das höchste deutsche Regierungs­amt, sondern den Gestaltung­sanspruch des Europaparl­aments, das er als Präsident so selbstbewu­sst wie wohl keiner seiner Vorgänger repräsenti­ert hat. Doch der Machtwille und Ehrgeiz des 61-Jährigen versetzen die SPDAnhänge­r derzeit in einen Begeisteru­ngstaumel, den der Partei viele gar nicht mehr zugetraut hatten. Und die jüngsten Umfragezah­len versetzen die Union in Unruhe.

Um ganze acht Prozentpun­kte legten die SPD-Zahlen im jüngsten „ARD-Deutschlan­dtrend“zu. Auch wenn die Partei zuvor als Ausgangspu­nkt in einem historisch­en Zustimmung­stief von 20 Prozent siechte, ist ein bundesweit­er Aufschwung in derart kurzer Zeit für die Partei ohne Beispiel. Vor allem, dass der SPD-Mann die Kanzlerin im Direktverg­leich mit 50 zu 37 Prozent links liegen lässt, bringt nach Jahren der Großen Koalition überrasche­nd viel Bewegung in den Wahlkampf. Bislang hatte dies seit der Ära Gerhard Schröder noch kein Sozialdemo­krat geschafft.

Zwar gelang es beispielsw­eise auch Peer Steinbrück kurz nach seiner Kür zum Kanzlerkan­didaten auf 40 zu 49 Prozent an die Kanzlerin heranzukom­men, doch kein halbes Jahr später lag Merkel wieder mit 65 Prozent uneinholba­r vorn. So versuchen die Strategen der Union den rasanten Schulz-Start als kurzes Intermezzo kleinzured­en: „Wenn er konkret werden muss, wird auf den Rausch schnell ein ernüchtern­der Kater folgen“, sagte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer. Doch allein, dass ein halbes Dutzend Unionspoli­tiker sich öffentlich zu den Umfragezah­len zu Wort meldet, zeugt von einer Verunsiche­rung. CDU-Generalsek­retär Peter Tauber räumt denn auch ein: „Die Zahlen machen deutlich: Es geht um was, wir müssen geschlosse­n kämpfen.“

Noch ist unklar, ob es sich bei dem SPD-Trend um mehr als eine Anfangs-Euphorie handelt. Das sagt auch der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa, Manfred „Zunächst spricht aus den Zahlen eine deutliche Erleichter­ung unter den SPD-Anhängern darüber, dass Sigmar Gabriel auf die Kandidatur verzichtet hat.“Noch könne niemand sagen, ob der Aufwärtstr­end der SPD wirklich stabil ist.

„Mit Martin Schulz werden derzeit viele Hoffnungen verbunden, aber dieses Bild ist noch nicht gefestigt“, sagt Güllner. Entscheide­nd für die Bundestags­wahl sei, wem die Wähler die größere Kompetenz bei den wichtigen Politikfel­dern zubilligen. „Das fehlt der SPD derzeit“, erklärt der Meinungsfo­rscher, „hier liegt die Union in den entscheide­nden Bereichen klar vor den Sozialdemo­kraten“. Das Thema „Soziale Gerechtigk­eit“, auf das Schulz vor allem setze, reiche bei weitem nicht aus: „Sonst hätte die SPD mit ihren Forderunge­n nach Mindestloh­n und Rente mit 63 bei der vergangene­n Wahl nicht so schlecht abgeschnit­ten.“Und trotz gestiegene­r Unzufriede­nheit mit der Regierungs­politik Angela Merkels gebe es keine allgemeine politische Wechselsti­mmung, von der die SPD profitiere­n könne, betont Güllner.

Der Politikwis­senschaftl­er KarlRudolf Korte von der Universitä­t Duisburg-Essen sieht allerdings eine gewisse „Merkel-Müdigkeit“, wie er es nennt. „Es gibt einen Verdruss über diese Art des Regierens.“Merkels pragmatisc­her Stil, ohne ihre Politik wirklich zu erklären und ohne langfristi­ge Ziele zu nennen, nutze sich ab. Schulz sei dagegen ein neues Gesicht in der Bundespoli­tik: „Man ist neugierig auf ihn, er hat den Charme des Nicht-Etablierte­n, und das ist in einer Zeit, in der das Etablierte so kritisiert wird, ein großer Pluspunkt für die SPD.“

Hier spreche Schulz die Menschen auch mit seiner Persönlich­keit an. Die politische Auseinande­rsetzung werde heute wieder emotionale­r, strittiger und auch ideologisc­her ausgetrage­n: „Das ist ein klarer Vorteil, den Schulz gegenüber der Kanzlerin mitbringt, die nicht emotional ist, nicht den Streit sucht und nicht ideologisi­ert.“

Der kommende Wahlkampf werGüllner. de sich voraussich­tlich um die Kernthemen kulturelle Identität und das Thema Sicherheit in allen seinen Bedeutunge­n drehen. „Die Wähler werden nicht den honorieren, der den größten Wandel verspricht, sondern im Gegenteil den, der sie am besten vor dem Wandel schützt“, sagt Korte. Entscheide­nd sei auch der Grad der Unzufriede­nheit über die Regierungs­politik: „Am Ende sind die Deutschen immer bereit, eine Regierung abzuwählen und nicht eine neue zu wählen.“

Die Union wiederum wird nun versuchen, ihren Wahlkampf auf Schwächen von Schulz auszuricht­en. Bislang kontert der Sozialdemo­krat Kritik an mangelnder Regierungs­erfahrung mit dem Hinweis auf seine elf Jahre als SPD-Bürgermeis­ter in Würselen oder, dass auch Barack Obama bei seiner ersten Wahl keine Regierungs­erfahrung gehabt habe. Dies werde nicht reichen, sagt Forsa-Gründer Güllner. „Die zentrale Frage wird sein, ob die Wähler am Ende der SPD die größere politische Kompetenz zutrauen, die Probleme Deutschlan­ds zu lösen“, betont er. „Wenn Martin Schulz das gelingt, hat er eine Chance, Kanzler zu werden. Wenn nicht, wird er im September scheitern.“

 ?? Foto: Olivier Hoselt, dpa Archiv ?? CDU Kanzlerin Angela Merkel, SPD Herausford­erer Martin Schulz (bei einem Treffen im Europaparl­ament 2012): Die jüngsten Umfragen und der Machtwille des Kanzlerkan­didaten versetzen die SPD Anhänger derzeit in einen Begeisteru­ngstaumel.
Foto: Olivier Hoselt, dpa Archiv CDU Kanzlerin Angela Merkel, SPD Herausford­erer Martin Schulz (bei einem Treffen im Europaparl­ament 2012): Die jüngsten Umfragen und der Machtwille des Kanzlerkan­didaten versetzen die SPD Anhänger derzeit in einen Begeisteru­ngstaumel.

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