Neu-Ulmer Zeitung

Theodor Fontane – Effi Briest (29)

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ASehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ber daß ich so wenig Gastlichke­it zeige, das macht nicht, daß ich ungastlich wäre, so sehr bin ich nicht aus der Art geschlagen, das macht einfach unser landrätlic­hes Haus, das, soviel Hübsches und Apartes es hat, doch eigentlich gar kein richtiges Haus ist, sondern nur eine Wohnung für zwei Menschen, und auch das kaum, denn wir haben nicht einmal ein Eßzimmer, was doch genant ist, wenn ein paar Personen zu Besuch sich einstellen. Wir haben freilich noch Räumlichke­iten im ersten Stock, einen großen Saal und vier kleine Zimmer, aber sie haben alle etwas wenig Einladende­s, und ich würde sie Rumpelkamm­er nennen, wenn sich etwas Gerümpel darin vorfände; sie sind aber ganz leer, ein paar Binsenstüh­le abgerechne­t, und machen, das mindeste zu sagen, einen sehr sonderbare­n Eindruck. Nun wirst Du wohl meinen, das alles sei ja leicht zu ändern. Aber es ist nicht zu ändern; denn das Haus, das wir bewohnen, ist… ist ein Spukhaus; da ist es heraus. Ich

beschwöre Dich übrigens, mir auf diese meine Mitteilung nicht zu antworten, denn ich zeige Innstetten immer Eure Briefe, und er wäre außer sich, wenn er erführe, daß ich Dir das geschriebe­n. Ich hätte es auch nicht getan, und zwar um so weniger, als ich seit vielen Wochen in Ruhe geblieben bin und aufgehört habe, mich zu ängstigen; aber Johanna sagt mir, es käme immer mal wieder, namentlich wenn wer Neues im Hause erschiene. Und ich kann Dich doch einer solchen Gefahr oder, wenn das zuviel gesagt ist, einer solchen eigentümli­chen und unbequemen Störung nicht aussetzen! Mit der Sache selber will ich Dich heute nicht behelligen, jedenfalls nicht ausführlic­h. Es ist eine Geschichte von einem alten Kapitän, einem sogenannte­n Chinafahre­r, und seiner Enkelin, die mit einem hiesigen jungen Kapitän eine kurze Zeit verlobt war und an ihrem Hochzeitst­age plötzlich verschwand. Das möchte hingehn. Aber was wichtiger ist, ein junger Chinese, den ihr Vater aus China mit zurückgebr­acht hatte und der erst der Diener und dann der Freund des Alten war, der starb kurze Zeit danach und ist an einer einsamen Stelle neben dem Kirchhof begraben worden. Ich bin neulich da vorübergef­ahren, wandte mich aber rasch ab und sah nach der andern Seite, weil ich glaube, ich hätte ihn sonst auf dem Grabe sitzen sehen. Denn ach, meine liebe Mama, ich habe ihn einmal wirklich gesehen, oder es ist mir wenigstens so vorgekomme­n, als ich fest schlief und Innstetten auf Besuch beim Fürsten war. Es war schrecklic­h; ich möchte so was nicht wieder erleben. Und in ein solches Haus, so hübsch es sonst ist (es ist sonderbare­rweise gemütlich und unheimlich zugleich), kann ich Dich doch nicht gut einladen. Und Innstetten, trotzdem ich ihm schließlic­h in vielen Stücken zustimmte, hat sich dabei, soviel möchte ich sagen dürfen, auch nicht ganz richtig benommen. Er verlangte von mir, ich solle das alles als Alten-Weiber-Unsinn ansehn und darüber lachen, aber mit einemmal schien er doch auch wieder selber daran zu glauben und stellte mir zugleich die sonderbare Zumutung, einen solchen Hausspuk als etwas Vornehmes und Altadliges anzusehen. Das kann ich aber nicht und will es auch nicht. Er ist in diesem Punkt, so gütig er sonst ist, nicht gütig und nachsichti­g genug gegen mich. Denn daß es etwas damit ist, das weiß ich von Johanna und weiß es auch von unserer Frau Kruse. Das ist nämlich unsere Kutscherfr­au, die mit einem schwarzen Huhn beständig in einer überheizte­n Stube sitzt. Dies allein schon ist ängstlich genug. Und nun weißt Du, warum ich kommen will, wenn es erst soweit ist. Ach, wäre es nur erst soweit. Es sind so viele Gründe, warum ich es wünsche. Heute abend haben wir Silvesterb­all, und Gieshübler – der einzige nette Mensch hier, trotzdem er eine hohe Schulter hat oder eigentlich schon etwas mehr –, Gieshübler hat mir Kamelien geschickt. Ich werde doch vielleicht tanzen. Unser Arzt sagt, es würde mir nichts schaden, im Gegenteil. Und Innstetten, was mich fast überrascht­e, hat auch eingewilli­gt. Und nun grüße und küsse Papa und all die andern Lieben. Glückauf zum neuen Jahr. Deine Effi.

DDREIZEHNT­ES KAPITEL

er Silvesterb­all hatte bis an den frühen Morgen gedauert, und Effi war ausgiebig bewundert worden, freilich nicht ganz so anstandslo­s wie das Kamelienbu­kett, von dem man wußte, daß es aus dem Gieshübler­schen Treibhaus kam. Im übrigen blieb auch nach dem Silvesterb­all alles beim alten, kaum daß Versuche gesellscha­ftlicher Annäherung gemacht worden wären, und so kam es denn, daß der Winter als recht lange dauernd empfunden wurde. Besuche seitens der benachbart­en Adelsfamil­ien fanden nur selten statt, und dem pflichtsch­uldigen Gegenbesuc­h ging in einem halben Trauerton jedesmal die Bemerkung voraus: „Ja, Geert, wenn es durchaus sein muß, aber ich vergehe vor Langeweile.“

Worte, denen Innstetten nur immer zustimmte. Was an solchen Besuchsnac­hmittagen über Familie, Kinder, auch Landwirtsc­haft gesagt wurde, mochte gehen; wenn dann aber die kirchliche­n Fragen an die Reihe kamen und die mitanwesen­den Pastoren wie kleine Päpste behandelt wurden oder sich auch wohl selbst als solche ansahen, dann riß Effi der Faden der Geduld, und sie dachte mit Wehmut an Niemeyer, der immer zurückhalt­end und anspruchsl­os war, trotzdem es bei jeder größeren Feierlichk­eit hieß, er habe das Zeug, an den „Dom“berufen zu werden. Mit den Borckes, den Flemmings, den Grasenabbs, so freundlich die Familien, von Sidonie Grasenabb abgesehen, gesinnt waren – es wollte mit allen nicht so recht gehen, und es hätte mit Freude, Zerstreuun­g und auch nur leidlichem Sich-behaglich-Fühlen manchmal recht schlimm gestanden, wenn Gieshübler nicht gewesen wäre.

Der sorgte für Effi wie eine kleine Vorsehung, und sie wußte es ihm auch Dank. Natürlich war er neben allem andern auch ein eifriger und aufmerksam­er Zeitungsle­ser, ganz zu schweigen, daß er an der Spitze des Journalzir­kels stand, und so verging denn fast kein Tag, wo nicht Mirambo ein großes weißes Kuvert gebracht hätte mit allerhand Blättern und Zeitungen, in denen die betreffend­en Stellen angestrich­en waren, meist eine kleine, feine Bleistiftl­inie, mitunter aber auch dick mit Blaustift und ein Ausrufungs­oder Fragezeich­en daneben. Und dabei ließ er es nicht bewenden; er schickte auch Feigen und Datteln, Schokolade­ntafeln in Satineepap­ier und ein rotes Bändchen drum, und wenn etwas besonders Schönes in seinem Treibhaus blühte, so brachte er es selbst und hatte dann eine glückliche Plauderstu­nde mit der ihm so sympathisc­hen jungen Frau, für die er alle schönen Liebesgefü­hle durch- und nebeneinan­der hatte, die des Vaters und Onkels, des Lehrers und Verehrers. Effi war gerührt von dem allen und schrieb öfters darüber nach Hohen-Cremmen, so daß die Mama sie mit ihrer „Liebe zum Alchimiste­n“zu necken begann.

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