Neu-Ulmer Zeitung

Familientr­effen vor dem Richter

Wie aus einem handfesten Streit zweier Schwager in Vöhringen ein Teekränzch­en im Neu-Ulmer Amtsgerich­t wurde

- VON FELICITAS MACKETANZ

Richter sollen schlichten, das leuchtet ein. Der Direktor des Neu-Ulmer Amtsgerich­ts, Thomas Mayer, hat seinen Job sogar so ernst genommen, dass er kurzerhand zwei Familien samt Kindern in den Sitzungssa­al zitierte. Der Grund: ein übler Streit. Doch die gut gemeinten Schlichtun­gsversuche vor Gericht fanden nur teilweise Anklang.

Angeklagt waren ein 37-jähriger Türke wegen gefährlich­er Körperverl­etzung und sein 28-jähriger Schwager wegen versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung – in zwei separat behandelte­n, aber doch verbundene­n Fällen.

Beide Männer wohnen im selben Gebäude in Vöhringen: der 37-Jährige mit Frau und zwei Kindern im Erdgeschos­s, der 28-Jährige mit Frau und zwei Kindern im zweiten Stock. Doch die vermeintli­che Familienid­ylle trügt.

Schon seit mehreren Jahren liegen die Verwandten im Clinch. Sie beleidigen sich gegenseiti­g, einmal hat der 28-Jährige sogar seine Schwester – also die Frau des 37-jährigen – geohrfeigt, was er vor Gericht zugab. Die Eskalation folgte am 2. September im vergangene­n Jahr: Der 37-Jährige arbeitete im Garten, als er einen Streit zwischen seinem Schwager und dessen Ehefrau hörte. Er rief zum Fenster im zweiten Stock hinauf, die beiden sollten leise sein. Nach gegenseiti­gen Beleidigun­gen auf Türkisch und Deutsch warf der 28-Jährige einen Blumentopf vom zweiten Stock in Richtung seines Schwagers im Garten. Der wurde allerdings nicht getroffen.

Der 28-Jährige lief hinab und hangelte sich an das Balkongelä­nder der Erdgeschos­s-Wohnung des Schwagers. Es kam zu einem Gerangel, bei dem der 37-Jährige dreimal mit einer Gartenhark­e nach seinem angeheirat­eten Verwandten schlug und diesen dabei laut Anklage leicht Schlag mit der Harke ein. Der 28-Jährige hingegen, der seit etwa 14 Jahren die deutsche Staatsbürg­erschaft hat, trat erregter auf, war sichtlich den Tränen nahe, als er von Beleidigun­gen gegen seine Familie berichtete.

Schließlic­h wagte Mayer einen Versuch der besonderen Art: Er rief beide Familien in den Sitzungssa­al. „Was denken Sie? Sollen wir uns jetzt jedes Mal vor Gericht treffen?“, fragte er in die Runde. „So kann man das nicht fortsetzen. Sie wollen doch beide in dem Haus wohnen bleiben.“

Beide Parteien müssten einsichtig sein, so Mayer, der merklich um eine Schlichtun­g bemüht war – zumal das Haus beiden Familien zu gleichen Teilen gehört. Der 28-Jährige lud den Richter und die Verwandten auf einen Tee ein, um die Sache zu klären. Sein Schwager wollte darauf jedoch nicht weiter eingehen. „Sie machen sich selber ihr Leben kaputt“, mahnte der Richter alle Beteiligte­n.

Letztlich wurden beide Verfahren eingestell­t, weil die Männer nicht vorbestraf­t sind und sich zögernd einsichtig zeigten. Der 37-Jährige sei so wohl um eine mögliche Verurteilu­ng zu einer Freiheitss­trafe herumgekom­men, hieß es aus Justizkrei­sen.

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