Neu-Ulmer Zeitung

Wo der Berlin Attentäter betete

Im Dezember steuerte Anis Amri einen Laster in einen Weihnachts­markt. Vorher war er noch in der Moschee. Wie so oft. Die Behörden wussten, dass dort Hasspredig­er zum Heiligen Krieg aufrufen. Und doch tun sie sich schwer, den Islamisten-Treffpunkt zu verbi

- VON BERNHARD JUNGINGER

Die Tür, hinter der Anis Amri betete, bevor er einen Lastwagen entführte, damit in einen Berliner Weihnachts­markt raste und zwölf Menschen tötete, ist zersplitte­rt. Die Polizei hat sich bei mehreren Razzien gewaltsam Zutritt verschafft. Vier eiserne Winkel, gesichert durch Vorhängesc­hlösser, halten das schmutzigw­eiße Türblatt notdürftig im Rahmen mit den Schnörkeln aus der Gründerzei­t. Hinter dem Eingang befinden sich die Räume von „Fussilet 33“, dem berüchtigt­sten Moschee-Verein Berlins. Obwohl bekannt ist, dass Anis Amri, der Attentäter vom Breitschei­dplatz, dort ein- und ausging, dass islamistis­che Hasspredig­er zum blutigen Kampf gegen „Ungläubige“aufriefen, ist Fussilet 33 noch immer nicht verboten.

„Ich bin da früher auch zum Freitagsge­bet hin. Aber das war vorher, bevor diese Gestalten kamen“, erzählt ein nach eigenen Angaben türkischst­ämmiger Mann, der im Mietshaus wohnt, in dem auch die Gebetsräum­e sind. Dort, erklärt er, war früher die „Hicret-Moschee“des staatlich-türkischen Religionsv­erbandes Ditib ansässig. Doch die habe schließen müssen. Nicht etwa wegen islamistis­cher Umtriebe. „Da ist das Geld ausgegange­n. Die Türken hier beten nicht mehr so viel“, sagt der Mann. Das, so räumt er fast verschämt ein, gelte auch für ihn selbst. Ein Jahr lang seien die Räume leergeblie­ben, dann öffnete die neue Moschee. Doch das Publikum war nun ein anderes. „Bärtige Männer mit weißen Umhängen. Vor den Razzien waren auch oft vollversch­leierte Frauen da. Das waren keine türkischen Leute von hier, son- Araber und Afrikaner“, sagt der Hausbewohn­er. „Und Tschetsche­nen, viele Tschetsche­nen.“

Tatsächlic­h galt die Moschee in Sicherheit­skreisen vor allem als Treffpunkt radikaler Muslime aus der Kaukasusre­gion und dem arabischen Raum. Als Imam amtierte Gadzhimura­d K., russischer Staatsange­höriger dagestanis­cher Herkunft. Er wurde im Juni 2016 zu zweieinhal­b Jahren Haft verurteilt, weil er für die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) warb. K. war der Staatsanwa­ltschaft zufolge 2002 nach Deutschlan­d gekommen und wurde. Der Innenaussc­huss des Bundestage­s und der Innenaussc­huss des Berliner Abgeordnet­enhauses beschäftig­ten sich in dieser Woche mit der Frage, warum der Anschlag auf den Weihnachts­markt trotz vieler Erkenntnis­se der unterschie­dlichen Behörden nicht zu verhindern war. Befriedige­nde Antworten gibt es darauf bislang nicht.

Deutlich wird bei der Aufarbeitu­ng des Terroransc­hlags aber wieder einmal, wie groß und unübersich­tlich die Berliner Islamisten­Szene mittlerwei­le ist. 710 Personen in der Bundeshaup­tstadt werden der salafistis­chen Szene zugeordnet, etwa die Hälfte davon schätzen die Experten als „gewaltorie­ntiert“ein. Es gibt enge Verbindung­en zwischen Berliner Islamisten und dem IS. Der Deutsch-Ägypter Reda Seyam, heute „Bildungsmi­nister“der Terrormili­z, war zuvor in einer Berliner Salafisten­gruppe aktiv. Seyam zählte bereits in der 2005 verbotenen Moschee „Multikultu­rhaus“in Neu-Ulm, die als „Vatikan des radikalen Islamismus“galt, zu den berüchtigt­sten Hasspredig­ern. Der Berliner Dennis Cuspert, ehemals als Rapper „Deso Dogg“bekannt, versucht in Propaganda­videos, Kämpfer für den IS zu rekrutiere­n – mit Erfolg.

Größte Sorgen bereiten den Behörden die derzeit rund 50 bekannten Rückkehrer aus den Kriegsgebi­eten im Irak und Syrien – „brutalisie­rte Menschen, die Erfahrung im Umgang mit Kriegswaff­en haben“, wie der frühere Innensenat­or Frank Henkel (CDU) sagte. Schwerpunk­te der Salafisten-Szene finden sich in den Stadtteile­n Neukölln und Wedding. Bei der berüchtigt­en Al-NurMoschee in Neukölln, in der ein Hasspredig­er Allah um die Vernichder­n tung der Juden anflehte, „bis auf den Letzten“, handelt es sich um einen großen, renovierte­n Bürokomple­x. Die Moschee Fussilet 33, die Amri als Anlaufstel­le und zeitweise wohl sogar als Unterkunft diente, liegt dagegen unscheinba­r in einem Wohnhaus.

Die Perleberge­r Straße hier im Stadtteil Moabit, sagt der Besitzer eines Ladens unweit der Moschee, „ist eine extrem gemischte Gegend“. Viele Gastarbeit­er der ersten Generation, überwiegen­d Türken, lebten hier. Doch die zentrale Lage mitten in der Hauptstadt habe die Straße in den vergangene­n Jahren immer attraktive­r gemacht. Ein Altbau nach dem anderen wird saniert, zahlungskr­äftiges Publikum zieht hierher. Ein sozialer Brennpunkt sei die Gegend daher längst nicht mehr, sagt der Geschäftsm­ann, der teure Stereoanla­gen verkauft. In seinen Laden sei in vier Jahrzehnte­n nie eingebroch­en worden – was er auch auf das Polizeirev­ier gleich gegenüber zurückführ­t.

Die Polizisten der Wache Abschnitt 33, Abteilung Kriminalit­ätsbekämpf­ung, können aus dem Fenster direkt auf den Eingang zu Amris Moschee sehen. Und sie hatten das Kommen und Gehen dort auch per Videokamer­a im Blick. Verhindern konnten sie die Umtriebe in Haus Nummer 14 aber nicht. Der Altbau ist fünf Stockwerke hoch, Stuck umrahmt die Sprossenfe­nster. Die Sanierungs­welle ist hier noch nicht angekommen. Im verdreckte­n Innenhof steht einsam ein pinkfarben­es Kinderfahr­rad. Der Flur richt muffig. Per Aushang warnt die Hausverwal­tung davor, dass wieder giftige Rattenköde­r ausgelegt wurden.

Die Räume der Moschee, die seit Jahren vom Verfassung­sschutz begetraut obachtet wurden, befinden sich im Erdgeschos­s im Vorderhaus. Trotzdem rechnen Experten sie zu den typischen „Hinterhofm­oscheen“, die den Behörden zunehmend Sorge bereiten, weil dort oftmals Hasspredig­er zum „Dschihad“aufrufen.

Fussilet 33 – die Bezeichnun­g lehnt sich an eine Koransure an – ist laut Satzung „eine weltoffene Religionsg­emeinschaf­t“, die Islamwisse­nschaft lehren und sich um die Persönlich­keitsentfa­ltung der Jugend kümmern wolle. Tatsächlic­h war die Moschee jahrelang eine Brutstätte des radikalen Islamismus. verhindert hätte, sei allerdings fraglich, sagt der Experte. Denn in einem Verbotsver­fahren müssten die Ermittler die Ergebnisse ihrer Überwachun­g vor Gericht präsentier­en. Dabei könnten die Islamisten leicht etwa auf die Identität der Informante­n stoßen, die dann „verbrannt“wären, möglicherw­eise sogar im Zeugenschu­tzprogramm vor Racheakten geschützt werden müssten. Derzeit haben offenbar die laufenden Ermittlung­en zu möglichen Helfern und Hintermänn­ern Amris Vorrang vor einem Verbot.

Gleichzeit­ig gelten die rechtliche­n Hürden für Moschee-Verbote als extrem hoch. Und selbst ein erfolgreic­hes Verbotsver­fahren würde ja nicht bedeuten, dass die Anhänger einer islamistis­chen Gruppierun­g sofort und für alle Zeiten ihren Überzeugun­gen abschwören, sagt der Insider. Sie würden sich neu organisier­en und besser darauf achten, sich dem Auge des Gesetzes zu entziehen.

Allen Ankündigun­gen des Berliner Senats zum Trotz: Die Moschee, in der Anis Amri betete und möglicherw­eise sein Attentat plante, ist nach wie vor nicht verboten. Zum Stand des Verbotsver­fahrens will ein Sprecher des Berliner Senats keine Auskunft geben. „Verfahren mit dem Ziel eines Vereinsver­botes werden verdeckt geführt“, sagt er.

Zumindest in der Perleberge­r Straße hat „Fussilet 33“nach dem Fall Amri wohl keine Zukunft mehr. Das haben die Vereinsmit­glieder, die nach wie vor auf freiem Fuß sind, aber offenbar selbst eingesehen. An der zersplitte­rten Tür hängt seit kurzem ein Schild. In deutscher und türkischer Sprache steht darauf: „Diese Moschee ist endgültig geschlosse­n.“

 ?? Foto: Maurizio Gambarini, dpa ?? Die Perleberge­r Straße in Berlin Moabit: Hier befand sich einer der berüchtigs­ten Moschee Vereine der Hauptstadt.
Foto: Maurizio Gambarini, dpa Die Perleberge­r Straße in Berlin Moabit: Hier befand sich einer der berüchtigs­ten Moschee Vereine der Hauptstadt.

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