„Ich habe das Gefühl, dass dieser Krieg nie enden wird.“
die „promka“, wie die Industriezone heißt, wo die Konfliktparteien nur noch wenige Meter trennen und wo fast täglich geschossen wird. Zuletzt haben sich die Kämpfe auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet. Auch schwere Artillerie wurde eingesetzt auf beiden Seiten der Front. Dutzende Menschen sind getötet worden, viele verletzt.
Es sind alte und frische Wunden, die das Leben in Awdijiwka prägen. Viktoria weist auf Einschusslöcher an der Fassade und Schrapnellspuren in dem türkisfarbenen Gartenzaun, die noch von alten Kämpfen stammen. Seit der Konflikt vor drei Jahren ausgebrochen ist, sind laut UN-Angaben etwa 10 000 Menschen getötet worden. Doch so schlimm wie in den Februartagen dieses Jahres war es hier noch nie, schwören die Nachbarn: Tagelang waren die Bewohner ohne Strom, Wasser und auch ohne Handynetz. Im Minutentakt habe es im „alten Awdijiwka“Einschüsse gegeben. „Es war die Hölle“, sagt eine Nachbarin bitter.
Von einem Schweigen der Waffen kann auch heute nicht die Rede sein. Immer wieder donnern Explosionen durch die Stadt, auch an diesem Donnerstag. Zwei Männer werden im Laufe des Tages von Granatsplittern verletzt. Am Freitag sterben bei Kämpfen in der Region drei ukrainische Soldaten. Binnen 24 Stunden werden zehn Soldaten verletzt, heißt es. Aber die 10000 Explosionen, die die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) zuletzt entlang der 500 Kilometer langen Frontlinie registriert hat, sind zumindest auf 700 pro Tag zurückgegangen. Genug, um die Stromleitungen zu reparieren und die „humanitäre Katastrophe“, von der Präsident Petro Poroschenko zuletzt gewarnt hat, abzuwenden.
der schweren Kämpfe war der Strom ausgefallen, der Betrieb in der Kokerei von Awdijiwka, zugleich der wichtigste Arbeitgeber, drohte zusammenzubrechen. An der Fabrik hängt zugleich die Heizversorgung der Stadt. Kurzzeitig wurde über der Stadt der Ausnahmezustand verhängt. Fridon Wekuan, stellvertretender Leiter der Stadtverwaltung, spricht sogar von einer „Blockade“: „Als es die Blockade gab, haben wir uns darauf vorbereitet, die ganze Stadt zu evakuieren.“So wurden schon Busse bereitgestellt, um die Bewohner im Notfall auf die Nachbarstädte umzusiedeln. In der Stadt selbst wurden Zelte und Feldküchen aufgestellt. Humanitäre Hilfslieferungen versorgen die Bewohner mit Lebensmitteln.
Heute, bei der Münchner Sicher- heitskonferenz, wird der UkraineKonflikt eines der Themen sein. Zuletzt war viel über die Hintergründe der aktuellen Eskalation spekuliert worden. Testen die prorussischen Separatisten, mit maßgeblicher militärischer Unterstützung aus Russland, die Grenzen unter der Ära des neuen US-Präsidenten Donald Trump aus? Oder ist es zuletzt – wie Reporter vor Ort berichtet haben – zu einer „schleichenden Offensive“der ukrainischen Armee gekommen, die immer weiter in der grauen Zone zwischen dem ukrainisch kontrollierten und dem Separatistengebiet vorgedrungen war?
Eine Frage, die auch vor Ort schwer zu beantworten ist. Fakt ist, dass die Kämpfe dieser Tage unter Vermittlung der OSZE wieder eingedämmt werden konnten. ZuminInfolge dest so weit, dass sich die Stromleitungen wieder reparieren ließen. Die meisten Bewohner sind geblieben. Nur rund 200 Kinder mussten in die Nachbarstädte evakuiert werden. Heute sind die Zelte der Hilfsorganisationen leer. Die Trupps sind ausgeschwärmt, um die Häuser zu reparieren. Doch auch sie geraten immer wieder unter Beschuss.
Es ist eine fragile Normalität, die in Awdijiwka seit den jüngsten Kämpfen eingekehrt ist. An der Berufsschule läuft der Unterricht wieder. „Silvia is in Britain for three months“, schreibt Swetlana, die Englisch-Lehrerin, an die Tafel. Grammatikstunde. An der Wand hängen Bilder der englischen Queen, gleich neben der Fahne der Ukraine und einem Fanposter des Fußballklubs Schachtar Donezk, dem Rekordmeister aus der Nachbarstadt, auf der anderen Seite der Front. Der Fußballklub ist nach Ausbruch des Konflikts in das westukrainische Lemberg geflohen.
Doch hier in Awdijiwka sind viele geblieben. Es wird geschätzt, dass noch 22000 von den ursprünglich 35000 Einwohnern in der Stadt leben. In die Englischstunde sind heute 13 der 27 Schüler gekommen. Vom Krachen der Artillerie, die immer wieder von draußen in das Klassenzimmer dröhnt, nehmen sie kaum Notiz. Die Schüler machen Scherze. Nicht wegen der Kämpfe, sondern nur wegen der ausgefallenen Heizung war die Schule zuletzt für eine Woche geschlossen. Draußen hat es minus 18 Grad, mit Anoraks und dicken Mützen sitzen die Schüler in der Klasse. Im Innenhof