Die Eltern quälen sich mit Selbstvorwürfen
sprechen. Die Familie geht von Arzt zu Arzt, macht Gehirnwasser-Untersuchungen. „Das war sehr schlimm für meinen Mann und mich“, sagt Melanie Schrapp etwa zehn Jahre danach. „Man hat sich selbst Vorwürfe gemacht“, meint die 36-Jährige. Aber nicht nur das.
Auch das Umfeld habe der jungen Mutter in dieser Zeit das Gefühl gegeben, nicht gut für ihr Kind zu sorgen. „Man muss sehr viel wegstecken“, sagt die ausgebildete Kinderpflegerin heute selbstbewusst. Damals jedoch habe sie lange über die Dinge nachgedacht, die ihr an den Kopf geworfen wurden. In diesen Jahren der Ungewissheit weint sich die Mutter jeden Tag in den Schlaf, weil sie nicht weiß, was ihrem Kind fehlt.
Marcel hat in dieser Zeit epileptische Anfälle, er kippt um. Und dann die Diagnose. „Wir waren in der Kinderklinik in Memmingen“, erinnert sich Melanie Schrapp. „Ein älterer Arzt hat sich Marcel angesehen und gesagt, er wisse, was er hat. Wir haben dann einen Gentest gemacht.“Das Ergebnis: Angelman-Syndrom, benannt nach dem britischen Kinderarzt Harry Angelman (1915-1996).
Typische Symptome von Angelman-Betroffenen sind: Häufiges Lachen, weshalb die Krankheit ursprünglich auch als „Happy-PuppetSyndrom“(also Glückliche-PuppenSyndrom) bezeichnet wurde, Einschränkungen bei der Sprachentwicklung und körperliche sowie geistige Entwicklungsverzögerungen.
Viele Angelman-Betroffene leiden zudem an Epilepsie und Schlafstörungen. Für das Ehepaar Schrapp ist diese Diagnose ein Schock und eine Erlösung zugleich. „Es war teilweise schön, zu wissen, was es ist und dass es einen Namen hat. Und die Gewissheit: Ich bin nicht schuld“, erklärt die Mutter. Und sie sagt auch: „Ich habe ihn so akzeptiert, wie er ist, und ich liebe ihn so, wie er ist.“
Inzwischen steckt Marcel mitten in der Pubertät. Er hat ein eigenes Stockwerk, das seine Eltern extra für
ihn umgebaut haben. Eine Kindersicherungstür trennt die steile Treppe von seinen Räumlichkeiten. Auf einem großen Tisch ist eine riesige, quadratische Plastikschale mit Sand und nebenan, in einem weiteren Raum, ist Marcels Highlight: sein Bällebad. Marcel zögert nicht lange und wirft sich in die kleinen bunten Plastikkugeln.
Und er lacht. Laut, herzlich und übers ganze Gesicht. Dann nimmt er einen Ball und wirft ihn in den Raum. Kaum geworfen, hat er schon
den nächsten in der Hand und schmeißt wild um sich. Heute hat Marcel Besuch von Veronique Mahmuti. Das dunkelhaarige Mädchen mit den warmen, braunen Augen ist ebenfalls 14 Jahre alt und ein Angelman-Kind. Veronique hat im Vergleich zu Marcel noch zwei Geschwister, Chantal, 15, und Rebecca, elf Jahre alt. Alle drei Mädchen werden gleich behandelt, versichert Mutter Manuela Mahmuti, die mit Melanie Schrapp am „SandkastenTisch“sitzt. Während Marcel im