Eine Monostadt, geboren in der Planwirtschaft
dass ein Mensch in dieser Rakete saß.“Aus ihren Augen spricht auch Jahrzehnte später noch Entrüstung. „Als ich es später aus dem Radio erfahren habe, war es schwer zu glauben. Aber ich kann kaum beschreiben, wie stolz wir waren.“Über Jahrzehnte blieb der Ort von Geheimnissen umweht. Um den Westen zu verwirren, hatte die SowjetFührung ihrem Weltraumbahnhof einen Tarnnamen gegeben. USFlugzeuge kreisten über der Steppe und hielten nach dem Kosmodrom Ausschau.
Maria hat verschiedene geheime Militärprojekte erlebt. Sie wuchs inKapustin Jar auf, bei einem Raketentestgelände aus den 1940er Jahren. Das Areal in der Nähe des südrussischen Stalingrad (heute Wolgograd) war ebenfalls „top secret“. Dort rüstete sich die Sowjetunion für den Kalten Krieg. Maria wurde in „Kapi-Jar“zur Technikerin ausgebildet. Doch für die immer größeren Interkontinentalraketen der jungen Atommacht wurde „KapiJar“bald zu klein. So fiel 1955 die Entscheidung, in einem Steppenstreifen am Fluss Syrdarja in der Nähe des Aralsees das „Forschungsund Testgelände Nummer fünf“zu bauen. Baikonurs heutige Konkurrenz durch Wostotschny beobachtet Maria mit Sorge. Zwar sollen die ersten bemannten Starts im Osten Sibiriens nicht vor 2023 beginnen. Aber: „Wenn in Wostotschny die gleichen Raketen starten wie hier, dann schließen sie Baikonur über kurz oder lang. Dann haben die Leute hier keine Arbeit mehr.“
Heute sind von den einst 15 Startrampen nochfünf in Betrieb. An der Rampe Nummer eins, von der 1961 Gagarin gestartet war, herrscht noch immer Hochbetrieb. Von hier wird auch die eine Sojus mit drei Raumfahrern zur ISS abheben, die vorhin durch das Stahltor gefahren wurde. Unter den Blicken hunderter Schaulustiger wird die Rakete nun mit einer surrenden Hydraulik aufgerichtet. Ein Priester segnet das Geschoss bei eisigem Wind.
In der Stadt grüßen pastellfarbene Raketenbilder von Plattenbauten. Baikonur gleicht einem Museum: Satelliten und Denkmäler von Raumfahrern prägen die Plätze. Für die Menschen in Baikonur war das Ende der UdSSR jedoch ein Wendepunkt, der den Abstieg einleitete. Das Kosmodrom lag nun aus russischer Sicht im Ausland – in Kasachstan. Die Bevölkerung schrumpfte von einst mehr als 100000 vorübergehend auf rund 50 000 Einwohner. Erst ein Vertrag zwischen beiden Staaten brachte 1994 neue Ordnung. Seitdem pachtet Moskau das Areal für rund 110 Millionen Euro. Russland verwaltet die Stadt. In den vergangenen Jahren konnte der rasante Niedergang gebremst werden. Heute hat Baikonur rund 73000 Einwohner. Die Bevölkerungsstruktur hat sich verschoben, viele Russen sind gegangen. 65 Prozent sind heute Kasachen, 35 Russen. Um das Zusammenleben zu erleichtern, gibt es russische und kasachische Schulen, Polizisten und Gerichte.
Die Alltagsprobleme der Menschen jedoch betreffen fast jeden, unabhängig von der Nationalität. Wöchentlich gibt es Ausfälle bei Strom, Wasser und Gas. Außerdem gelten strenge Reisekontrollen. Am Stadtrand erhebt sich eine Mauer aus dem Steppensand. Der Betonwall umschließt den Ort. Raus geht es nur an Kontrollstellen mit Schlagbäumen. Derzeit verlassen etwa 500 Menschen pro Jahr Baikonur für immer. Mit vergleichbaren Problemen kämpfen in Russland viele Orte: Monostädte. In der sowjetischen Planwirtschaft wurden sie auf einen Industriezweig ausgerichtet. In der heutigen Marktwirtschaft hat sich dieses Konzept überholt.
In Baikonur sind es vor allem junge und gebildete Leute, die wegwollen. Den 17-jährigen Michail zieht es fort, aber er sieht seine Zukunft in der Raumfahrt. „Ich will Raketen entwickeln“, sagt Michail. Stolz präsentiert er ein Sojus-Modell, das er gebastelt hat. „Ich will nach St. Petersburg und dort studieren. Mal sehen, in welchem Kosmodrom ich dann lande“, sagt er. Noch ist der Betrieb in Baikonur ja gesichert. Ende Dezember haben Russlands Präsident Wladimir Putin und sein