Neu-Ulmer Zeitung

Junge Flüchtling­e kosten Milliarden

Die Bundesregi­erung verschärft die Abschieber­egeln für abgelehnte Asylbewerb­er. Handelt es sich dabei allerdings um Jugendlich­e ohne Eltern, tun sich die Behörden extrem schwer

- (kna, afp, dpa, AZ)

Vor allem der Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt hat die Sorgen um die innere Sicherheit verschärft. Vor zwei Wochen einigten sich Bund und Länder auf schnellere Abschiebun­gen. Jetzt hat das Bundeskabi­nett einen Gesetzentw­urf auf den Weg gebracht. Die wichtigste­n Fragen:

Was sind die Kernpunkte der Verschärfu­ng der Abschieber­egeln?

Die Abschiebeh­aft wird für abgelehnte Asylbewerb­er erweitert, „von denen eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüte­r der Sicherheit ausgeht“. In diesen Fällen soll unter Umständen auch die elektronis­che Fußfessel zum Einsatz kommen. Asylbewerb­er, die ihre Herkunft verschleie­rn, sollen eine Beschränku­ng ihres Aufenthalt­sortes auferlegt bekommen. Um die Identität eines Flüchtling­s klären zu können, sollen die Behörden auf Smartphone­s und SIM-Karten zugreifen können. Die zulässige Höchstdaue­r des Ausreisege­wahrsams wird von derzeit vier auf zehn Tage verlängert. Ins Asylgesetz wird eine Regelung aufgenomme­n, nach der Asylsuchen­de ohne Bleibepers­pektive länger zum Verbleib in Erstaufnah­meeinricht­ungen verpflicht­et werden Die gilt künftig auch für jugendlich­e Asylbewerb­er, die ohne Angehörige ins Land kamen, sogenannte unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e.

Werden minderjähr­ige Flüchtling­e ohne Angehörige abgeschobe­n, wenn ihr Asylantrag abgelehnt ist?

Faktisch so gut wie nie: Aus dem Kreis der unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­e wurde auch bei Ablehnung eines Asylantrag­s in den vergangene­n beiden Jahren kein einziger Jugendlich­er in seine Heimat abgeschobe­n, wie aus einer Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der Linksparte­i hervorgeht. Der CDU-Unions-Fraktionsv­ize Michael Kretschmer nannte dies „auch angesichts der hohen Kosten“nicht vermittelb­ar. „Wenn in Deutschlan­d elternlose Minderjähr­ige aus Polen oder Frankreich aufgegriff­en werden, wird die Familie ausfindig gemacht, und sie werden zurück zu ihren Eltern gebracht“, sagte er der Welt. „Wenn der Unbegleite­te aber aus Afghanista­n oder Afrika kommt, bringen wir ihn zum Jugendamt und bereiten ihn mit großem Aufwand für die dauerhafte Einwanderu­ng vor, selbst wenn der Jugendlich­e jeden Abend mit seiner Familie telefonier­t.“

Wie hoch sind die Kosten für unbegleite­te minderjähr­iger Flüchtling­e?

Die Aufnahme unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling­e wird im laufenden Jahr rund 3,95 Milliarden Euro kosten. Wie die Welt unter Berufung auf Zahlen des Bundesfami­lienminist­eriums schreibt, lebten Anfang Februar 62 000 Migranten in der Kinder- und Jugendhilf­e. Das Bundesverw­altungsamt nennt einen durchschni­ttlichen Tagessatz von 175 Euro, also 5250 Euro monatlich. Dieser Durchschni­ttssatz enthält sowohl die „Inobhutnah­men“als auch anschließe­nde Hilfen zur Erziehung.

Was sind die Hürden bei der Abschiebun­g von Jugendlich­en?

Wegen der besonderen Schutzverp­flichtung gegenüber Minderjähr­igen sieht das Aufenthalt­sgesetz strengere Regeln als bei Erwachsene­n vor: „Vor der Abschiebun­g eines unbegleite­ten minderjähr­igen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewisse­rn, dass dieser im Rückkehrst­aat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personenso­rge berechtigt­en Person oder einer geeigneten Aufnahmeei­nrichtung übergeben wird.“Dies gelang jedoch weder 2016 noch im Jahr zuvor. Allerdings wurden laut der Antwort der Bundesregi­erung auf die Linke-Ankönnen. frage im vergangene­n Jahr 649 Unbegleite­te an den Grenzen zurückgewi­esen oder innerhalb Europas zurückgesc­hoben. Dies ist etwa möglich, wenn Flüchtling­e bereits in einem anderen europäisch­en Staat registrier­t wurden, bevor sie nach Deutschlan­d eingereist sind.

Warum sind die neuen Abschieber­egeln umstritten?

Was einen härteren Umgang mit Gefährdern angeht, herrscht in der Politik weitgehend Konsens. Vorbehalte gibt es aber gegen Einzelrege­lungen: So sollen Menschen, die schon länger in Deutschlan­d sind, unter bestimmten Voraussetz­ungen künftig auch überrasche­nd abgeschobe­n werden können – bisher galt eine einmonatig­e Widerrufsf­rist. Am größten war die Kritik am geplanten Auslesen von Asylbewerb­er-Handys. Von einem „gläsernen Flüchtling“ist die Rede. Die Bundesregi­erung sieht darin dagegen ein gerechtfer­tigtes Mittel. CDU-Bundesinne­nminister Thomas de Maizière sagt: „Die Flüchtling­spolitik der Bundesregi­erung hat stets zwei Seiten: Diejenigen, die schutzbedü­rftig sind, sollen integriert werden. Diejenigen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, sollen unser Land wieder verlassen.“

 ?? Foto: Daniel Karmann, dpa Archiv ?? Ein 16 Jähriger aus Eritrea in einer Wohngruppe für unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e. Die Behörden konnten offenbar keinen einzigen allein eingereist­en abgelehnte­n Asylbewerb­er unter 18 Jahren in das Herkunftsl­and abschieben.
Foto: Daniel Karmann, dpa Archiv Ein 16 Jähriger aus Eritrea in einer Wohngruppe für unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e. Die Behörden konnten offenbar keinen einzigen allein eingereist­en abgelehnte­n Asylbewerb­er unter 18 Jahren in das Herkunftsl­and abschieben.

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