Nach 2000 Jahren unter Dach
Für die Arena von Verona haben deutsche Architekten und Ingenieure eine wandelbare Bedeckung entwickelt. Der Entwurf ist technisch spektakulär
In zweierlei Hinsicht ist Verona weltberühmt. Da sind einmal Romeo und Julia – Shakespeare hat sein Liebesdrama bekanntlich in der Stadt an der Etsch angesiedelt. Und dann ist da die Arena, mitten im Zentrum gelegen. Das 2000 Jahre alte Amphitheater gehört zu den besterhaltenen Stadien aus römischer Zeit. Es ist das Wahrzeichen der oberitalienischen 260 000-Einwohner-Stadt, keine Verona-Postkarte, auf der das Monument mit den umlaufenden Arkaden nicht zu sehen wäre. Insbesondere ist das Amphitheater den Opernfreunden ein Begriff. Jeden Sommer finden hier unter freiem Himmel bombastische Aufführungen von Werken vornehmlich italienischer Komponisten statt. 22000 Besucher haben Platz auf den aufragenden Steinstufen, und dass die sich füllen, dafür sorgen nicht nur Busladungen von Musikbegeisterten aus ganz Italien, sondern auch aus dem Ausland, gerade auch aus dem deutschsprachigen Raum.
Kein Wunder, dass die Arena, die auch Konzerten offensteht, für den Veroneser Tourismus ein bedeutender Faktor ist. Der jedoch einen unliebsamen Gegenspieler hat: den Regen. Nicht nur, weil das Publikum in dem Oval ungeschützt den Wetterlaunen ausgeliefert ist. Der Regen nagt auch an den Jahrtausende alten Steinen. So gibt es seit langem Überlegungen, die Arena mit einem Dach zu versehen, um damit den antiken Bau vor schädlichen Umwelteinflüssen zu schützen, zugleich aber auch wetterunabhängig bei den Aufführungen zu sein.
Hierfür war nun ein internationaler Ideenwettbewerb ausgerichtet worden. Für die Teilnehmer vorgegeben war, möglichst wenig einzugreifen in die Substanz der von Kaiser Tiberius um 30 nach Christus erbauten Arena, die heute zum Weltkulturerbe zählt. Auch sollte die Überdachung nicht dauerhaft, sondern wandelbar sein, sodass die einmalige Freiluftatmosphäre in dem Rund erhalten bleibt.
80 Büros beteiligten sich an diesem Wettbewerb, den Sieg trug eine Kooperation aus Deutschland davon: die Architekten von Gerkan, Marg und Partner aus Hamburg und die Ingenieure von Schlaich Bergermann Partner (Stuttgart). Die beiden Büros haben Erfahrung mit der Überdachung großer Publikums- stätten. Nicht nur, dass die Architekten das nachträgliche Dach für das zur NS-Zeit entstandene Berliner Olympiastadion entwarfen. Für die Überdachungen von Fußballstadien in Frankfurt und Warschau wurden auch bereits ähnliche Technologien verwendet, wie sie nun in Verona zum Einsatz kommen sollen.
Der Siegerentwurf ist spektakulär. Er sieht vor, der Arena einen metallenen Ring aufzusetzen, welcher der elliptischen Form des Bauwerks folgt. Dieser Trägerring enthält zugleich die ausgeklügelte Überdachungstechnik. Soll das schützende Dach hervorgezogen werden, fahren zunächst Seile entlang des Trägerrings aus, die in der Endposition die gesamte Innenfläche der Arena überspannen.
Entlang dieses Seilgerüsts wird dann in einem zweiten Schritt eine Membran mittels Winden über die Arena gezogen. Ist dieses 9500 Quadratmeter umfassende Dach geeinerseits schlossen, nimmt es sich aus der Vogelperspektive aus wie eine riesige Muschel, die inmitten des Veroneser Zentrums liegt. Wenn freilich das Wetter danach ist, lassen sich Membran und Seile vollständig in den ovalen Trägerring zurückfahren, sodass der Blick Richtung Himmel wieder komplett freigegeben ist.
Der Wettbewerbsforderung, dass die Dachkonstruktion möglichst behutsam mit dem historischen Bestand verfährt, ist nicht nur dadurch Genüge getan, dass der auf der Arena aufliegende Trägerring, vom ebenerdigen Standpunkt aus besehen, sich relativ zurückhaltend ausnimmt. Er lässt sich auch, was ebenso Vorgabe war, ohne drastische Eingriffe zurückbauen.
Einen konkreten Zeitplan für die Realisierung des wandelbaren Dachs gibt es noch nicht, zumal auch noch die Behörden ihre Zustimmung geben müssen. Bezüglich der Kosten des Vorhabens halten sich die Architekten bedeckt; Medienberichten zufolge soll es sich jedoch um eine Summe von 13,5 Millionen Euro handeln. Im Gespräch ist auch, dass sich der italienische Strumpfwaren-Konzern Calzedonia an der Finanzierung beteiligt.
So muss man also in dieser und wohl auch in den nächsten Spielzeiten, wenn in der Arena der Gefangenenchor aus „Nabucco“aufrauscht oder „La donna è mobile“aus „Rigoletto“ins steinerne Rund geschmettert wird, weiterhin auf Wetterglück hoffen.