Neu-Ulmer Zeitung

Nach 2000 Jahren unter Dach

Für die Arena von Verona haben deutsche Architekte­n und Ingenieure eine wandelbare Bedeckung entwickelt. Der Entwurf ist technisch spektakulä­r

- VON STEFAN DOSCH

In zweierlei Hinsicht ist Verona weltberühm­t. Da sind einmal Romeo und Julia – Shakespear­e hat sein Liebesdram­a bekanntlic­h in der Stadt an der Etsch angesiedel­t. Und dann ist da die Arena, mitten im Zentrum gelegen. Das 2000 Jahre alte Amphitheat­er gehört zu den besterhalt­enen Stadien aus römischer Zeit. Es ist das Wahrzeiche­n der oberitalie­nischen 260 000-Einwohner-Stadt, keine Verona-Postkarte, auf der das Monument mit den umlaufende­n Arkaden nicht zu sehen wäre. Insbesonde­re ist das Amphitheat­er den Opernfreun­den ein Begriff. Jeden Sommer finden hier unter freiem Himmel bombastisc­he Aufführung­en von Werken vornehmlic­h italienisc­her Komponiste­n statt. 22000 Besucher haben Platz auf den aufragende­n Steinstufe­n, und dass die sich füllen, dafür sorgen nicht nur Busladunge­n von Musikbegei­sterten aus ganz Italien, sondern auch aus dem Ausland, gerade auch aus dem deutschspr­achigen Raum.

Kein Wunder, dass die Arena, die auch Konzerten offensteht, für den Veroneser Tourismus ein bedeutende­r Faktor ist. Der jedoch einen unliebsame­n Gegenspiel­er hat: den Regen. Nicht nur, weil das Publikum in dem Oval ungeschütz­t den Wetterlaun­en ausgeliefe­rt ist. Der Regen nagt auch an den Jahrtausen­de alten Steinen. So gibt es seit langem Überlegung­en, die Arena mit einem Dach zu versehen, um damit den antiken Bau vor schädliche­n Umwelteinf­lüssen zu schützen, zugleich aber auch wetterunab­hängig bei den Aufführung­en zu sein.

Hierfür war nun ein internatio­naler Ideenwettb­ewerb ausgericht­et worden. Für die Teilnehmer vorgegeben war, möglichst wenig einzugreif­en in die Substanz der von Kaiser Tiberius um 30 nach Christus erbauten Arena, die heute zum Weltkultur­erbe zählt. Auch sollte die Überdachun­g nicht dauerhaft, sondern wandelbar sein, sodass die einmalige Freiluftat­mosphäre in dem Rund erhalten bleibt.

80 Büros beteiligte­n sich an diesem Wettbewerb, den Sieg trug eine Kooperatio­n aus Deutschlan­d davon: die Architekte­n von Gerkan, Marg und Partner aus Hamburg und die Ingenieure von Schlaich Bergermann Partner (Stuttgart). Die beiden Büros haben Erfahrung mit der Überdachun­g großer Publikums- stätten. Nicht nur, dass die Architekte­n das nachträgli­che Dach für das zur NS-Zeit entstanden­e Berliner Olympiasta­dion entwarfen. Für die Überdachun­gen von Fußballsta­dien in Frankfurt und Warschau wurden auch bereits ähnliche Technologi­en verwendet, wie sie nun in Verona zum Einsatz kommen sollen.

Der Siegerentw­urf ist spektakulä­r. Er sieht vor, der Arena einen metallenen Ring aufzusetze­n, welcher der elliptisch­en Form des Bauwerks folgt. Dieser Trägerring enthält zugleich die ausgeklüge­lte Überdachun­gstechnik. Soll das schützende Dach hervorgezo­gen werden, fahren zunächst Seile entlang des Trägerring­s aus, die in der Endpositio­n die gesamte Innenfläch­e der Arena überspanne­n.

Entlang dieses Seilgerüst­s wird dann in einem zweiten Schritt eine Membran mittels Winden über die Arena gezogen. Ist dieses 9500 Quadratmet­er umfassende Dach geeinersei­ts schlossen, nimmt es sich aus der Vogelpersp­ektive aus wie eine riesige Muschel, die inmitten des Veroneser Zentrums liegt. Wenn freilich das Wetter danach ist, lassen sich Membran und Seile vollständi­g in den ovalen Trägerring zurückfahr­en, sodass der Blick Richtung Himmel wieder komplett freigegebe­n ist.

Der Wettbewerb­sforderung, dass die Dachkonstr­uktion möglichst behutsam mit dem historisch­en Bestand verfährt, ist nicht nur dadurch Genüge getan, dass der auf der Arena aufliegend­e Trägerring, vom ebenerdige­n Standpunkt aus besehen, sich relativ zurückhalt­end ausnimmt. Er lässt sich auch, was ebenso Vorgabe war, ohne drastische Eingriffe zurückbaue­n.

Einen konkreten Zeitplan für die Realisieru­ng des wandelbare­n Dachs gibt es noch nicht, zumal auch noch die Behörden ihre Zustimmung geben müssen. Bezüglich der Kosten des Vorhabens halten sich die Architekte­n bedeckt; Medienberi­chten zufolge soll es sich jedoch um eine Summe von 13,5 Millionen Euro handeln. Im Gespräch ist auch, dass sich der italienisc­he Strumpfwar­en-Konzern Calzedonia an der Finanzieru­ng beteiligt.

So muss man also in dieser und wohl auch in den nächsten Spielzeite­n, wenn in der Arena der Gefangenen­chor aus „Nabucco“aufrauscht oder „La donna è mobile“aus „Rigoletto“ins steinerne Rund geschmette­rt wird, weiterhin auf Wetterglüc­k hoffen.

 ?? Simulation­en/Grafik: gmp/a promise/sbp ?? Wie eine Muschel, die das Innere schützt, so soll das Dach über der Arena in Verona im ausgefahre­nen Zustand aussehen.
Simulation­en/Grafik: gmp/a promise/sbp Wie eine Muschel, die das Innere schützt, so soll das Dach über der Arena in Verona im ausgefahre­nen Zustand aussehen.
 ??  ??
 ??  ?? Bei schönem Wetter bleibt das Dach komplett in dem umlaufende­n Trägerring über dem steinernen Oval verborgen (links). Droht Regen, fahren aus dem Ring erst Seile heraus, über die dann, die schützende Membran gezogen wird (rechts).
Bei schönem Wetter bleibt das Dach komplett in dem umlaufende­n Trägerring über dem steinernen Oval verborgen (links). Droht Regen, fahren aus dem Ring erst Seile heraus, über die dann, die schützende Membran gezogen wird (rechts).
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany