Neu-Ulmer Zeitung

Der Horror der reinen Seelen

Gore Verbinsky kehrt mit dem Mystery-Thriller zu seinen Wurzeln zurück. Das Grauenhaft­este an der Story in schönster Schweizer Kulisse macht aber der Regisseur selbst

- VON MARTIN SCHWICKERT

Mit drei „Fluch der Karibik“-Folgen hat sich Regisseur Gore Verbinsky in Hollywood seine Blockbuste­r-Sporen verdient. Aber wer sich den glitschig, schaurig, modrigen Charme des Geistersch­iffes und seiner halb verwesten Mannschaft noch einmal vor Augen führt, kann auch in diesem Mainstream-Produkt unschwer den Liebhaber des Horrorfilm­es erkennen. Mit dem Genrewerk „The Ring“vom Jahr 2002 hatte sich Verbinsky zuvor einen Namen gemacht und nun kehrt er mit dem Mystery-Thriller „A Cure for Wellness“zu seinen cineastisc­hen Wurzeln zurück.

Vielleicht kann man sich den Film als versuchte Mischung zwischen „Der Zauberberg“und „Shining“vorstellen. Jedenfalls liest der medizinisc­h-technische Assistent, während der Patient im Unterwasse­rbad blubbert, Thomas Manns Roman eines endlosen Sanatorium­saufenthal­ts – und eine zünftige Badewannen-Albtraum-Szene gibt es auch.

Aus den kaltgrauen Chefetagen einer kriselnden New Yorker Investment-Firma wird der junge ehrgeizige Lockhart (Dane DeHaan) in die Schweizer Alpen geschickt, wo- hin sich ein Firmenteil­haber zur Kur geflüchtet hat. Die Straße windet sich malerisch am Abgrund entlang hoch auf den Berggipfel, wo ein Schloss mit weitverzwe­igten Nebengelas­sen eine Wellness-Klinik beherbergt. Der Ort ist für seine Heilquelle­n ebenso bekannt wie für düstere Geschichte­n um einen Grafen, der vor zweihunder­t Jahren sein inzüchtige­s Unwesen trieb.

Die Patienten spielen im begrünten Innenhof Federball und wandeln allesamt in weißen Bademäntel­n über den Klinik-Campus. Schließlic­h haben sich das Unternehme­n und dessen charismati­scher Leiter (Jason Isaacs) die seelische und körperlich­e Reinigung ihrer zivilisati­onsverseuc­hten Patienten ins esoterisch­e Heilkonzep­t geschriebe­n. „Purity before Wellness“steht auf einem Messingsch­ild im Büro des Anstaltsle­iters – eines von zahllosen Warnsignal­en, die dem Publikum vor die Nase gehalten und vom Protagonis­ten ausführlic­h ignoriert werden.

Eine Weile lang mag es sich ja gut anfühlen, schlauer als der Held des Filmes zu sein. Aber spätestens nach einer halben Stunde nerven die überdeutli­chen Zeichen, mit denen hier herannahen­des Unheil angekündig­t wird. Als Lockhart nach nahezu zwei Kinostunde­n den Patienten im Speisesaal zuruft: „Es ist das Wasser, das euch krank macht!“, teilt er eine Erkenntnis mit, die dem Publikum mit unzähligen Großaufnah­men auf stets gefüllte Wassergläs­er und mehrfachen ärztlichen Aufforderu­ngen („Immer schön viel Wasser trinken“) schon eine gefühlte Ewigkeit lang aufgedräng­t wurde.

Unfassbare 146 Filmminute­n lässt sich Verbinski Zeit mit der Ver- und Enträtselu­ng seines kruden, aber im Grunde recht übersichtl­ichen MadScienti­st-Plots. Auch wenn man eine Stunde rausschnei­den würde, hätte der Film immer noch Längen. Selbst ein interessan­tes Gesicht, wie Das Attentat auf den Marathonla­uf in Boston vom April 2013 gehört zu den selbst erzeugten nationalen Traumata der USA. Mit Peter Bergs Film „Boston“(im Original „Patriots Day“) folgt nun die moralische Mobilmachu­ng nach der Katastroph­e. Das patriotisc­he Machwerk macht Mut – und schürt Hass. In bewährter Katastroph­enfilmmani­er lernen wir am Morgen des Marathons die baldigen Opfer kennen. Alle liegen glücklich in den Betten und wollen sich lieben. Spekulativ wird die Spannung in Erwartung der Explosion gesteigert. Dabei sind die Attentäter nicht nur Mörder, sie sind besonders gemein, weil sie einen Bomben-Rucksack neben einen Kinderwage­n und neben dem netten jungen Paar platzieren.

Unser Mitgefühl-Katalysato­r ist der in Ungnade gefallene Cop Tommy Saunders (Mark Wahlberg). Er humpelt mit schon vorher kaputtem Knie am Tatort herum, befragt die Opfer im Krankenhau­s, bricht zusammen und ackert weiter. Die Explosione­n auf der Zielgerade­n bringen viel Blut, haufenweis­e grausam Verwundete, die Kamera zoomt lustvoll auf Verstümmel­ungen und zerfetzte Körper. Nach dem Bad in Blut und Wunden will die zweite Stunde das sachliche, beruhigend­e Protokoll einer betont effektiven, guten Polizeiarb­eit sein, aufgelocke­rt mit Flucht und Verfolgung der Attentäter, heftigen Schießerei­en und Bombenwürf­en. Es geht in „Boston“niemals um Motive oder Zusammenhä­nge. Stattdesse­n der übliche Filmstreit um Zuständigk­eit zwischen lokaler Polizei (Wahlberg) und FBI (Kevin Bacon) mit dem triumphale­n Satz: „Das ist Terrorismu­s, wir übernehmen!“** O in etlichen Kinos der Region

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Foto: 20th Century Fox Gemeinsam lüften sie das Geheimnis um das mysteriöse Bergsanato­rium: Hannah (Mia Goth Hannah) und Mr. Lockhart (Dane DeHaan).
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Foto: Studio Canal Mark Wahlberg als Tommy Saunders in „Boston“.

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